Beschuldigter führt sich vor Gericht als Ankläger auf
Neue Zürcher Zeitung. Der ehemalige Präsident der Schweizer Demokraten im Kanton Thurgau fordert, dass der Koran revidiert werde. Für Staatsanwalt und Richter sind seine Texte jedoch eine strafbare Herabsetzung von Muslimen.
Am Schluss regt sich der Beschuldigte nicht zum ersten Mal vor Gericht furchtbar auf. Er war am Mittwoch allein zur Urteilseröffnung zwei Tage nach der Hauptverhandlung erschienen. Dabei fiel er dem Einzelrichter, während dieser das Urteil mündlich erläuterte, wiederholt ins Wort und wurde gar ausfällig.
Der bald 74-jährige Willy Schmidhauser stand vor dem Bezirksgericht Andelfingen, weil unter seinem Namen 2009 in der «Schweizerzeit», deren Redaktion und Sitz sich im nahen Flaach befinden, ein Text unter dem Titel «Mit dem Islam zurück ins Mittelalter» erschienen war. Weitere islamkritische Texte hatte Schmidhauser 2010 und 2011 als damaliger Präsident der Schweizer Demokraten (SD) im Kanton Thurgau auf der Homepage der Partei publiziert.
«Nicht alle Muslime sind Vergewaltiger, aber die meisten Vergewaltiger sind Muslime.» Solche nicht belegten Behauptungen klagte der Staatsanwalt als pauschale und undifferenzierte Erniedrigung aller Angehörigen des muslimischen Glaubens und somit als Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm an. Schmidhauser wurde dafür bereits 2014 verurteilt. Das Obergericht bestätigte das Verdikt, das
Bundesgericht wies den Fall jedoch Ende 2015 zurück, weil die Anklage den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt hatte. Die Staatsanwaltschaft ergänzte ihre Anklageschrift, womit der Fall erneut vor dem Bezirksgericht Andelfingen landete.
Schmidhauser mutierte schon vor seiner Befragung zum Ankläger. Er forderte erfolglos, Staatsanwalt Hans Maurer habe am Prozess anwesend zu sein. Dieser habe keine Ahnung vom Islam, kenne nicht einmal den Koran. Maurer müsse für den angerichteten Schaden geradestehen. Der Fall belaste Tausende und habe eine Partei kaputtgemacht, deren Parolen die Medien nicht einmal mehr abdruckten, so Schmidhauser. Die SD sind im Kanton Thurgau zu den letzten Nationalrats- und Grossratswahlen allerdings gar nicht angetreten. Ihre Homepage macht eher den Eindruck eines fast täglich neu gefütterten Blogs.
Hier und in der «Schweizerzeit» hatte Schmidhauser ein Durcheinander von Koranversen und eigenen Kommentaren veröffentlicht. Darin unterstellte er gemäss Anklageschrift Muslimen eine «Zwanghaftigkeit zu Verbrechen», im Koran erkannte er einen «göttlichen Mordauftrag». Dass der Staatsanwalt das als grob verallgemeinernde Äusserung beurteilt, Muslime würden Andersgläubige nicht achten, wies er zurück. Es sei darum gegangen, ob der Koran mit der Verfassung vereinbar sei. Der Staatsanwalt drehe das gegen die Menschen, er habe aber nichts gegen Muslime. 99,9 Prozent der Muslime in der Schweiz seien friedlich, sagte Schmidhauser. Aber er äusserte mehrfach, der Koran müsse revidiert werden.
Erzürnt war der Beschuldigte auch, weil das Gericht es abgelehnt hatte, zwei der drei von ihm beantragten Zeugen, darunter Ringier-Journalist Frank A. Meyer, aufzubieten. Eingeladen hatte es einen christlichen Pastor, der aus Ägypten stammt und heute in Deutschland lebt. Er vertrat in einer Rede die Meinung, man müsse das wahre Gesicht des Islam und dessen Ziele aufdecken.
Einzelrichter Georg Merkli wickelte die schwierige Verhandlung freundlich und mit Engelsgeduld ab, obwohl der Beschuldigte schon auf die Frage nach seinem Namen geknurrt hatte, der stehe in den Akten. Einmal wurde das selbst dem Grüppchen altgedienter SD-Mitglieder im Saal zu viel. «Lass das, Willy, der Richter ist doch fair», rief der Ustermer Gemeinderat Werner Kessler, als Schmidhauser für seinen Zeugen eine höhere Entschädigung herausschlagen wollte.
Schmidhauser räumte ein, seine Aussage, es bleibe nur die Massenheimschaffung der Muslime, sei wohl juristisch heikel, und forderte einen Freispruch «in dubio pro reo». Merklis grosszügige Art änderte nichts daran, dass er den SD-Mann schuldig sprach. Er reduzierte die beantragte bedingte Geldstrafe von 3600 auf 2700 Franken und erliess die vom Staatsanwalt geforderte Busse von 1000 Franken. Der Grund ist die Länge des Verfahrens. Schmidhauser werden die Gebühren und Verfahrenskosten auferlegt. Die von ihm geforderte Entschädigung für sich, seine Familie und die SD Thurgau wurde abgelehnt. Für den Richter ist objektiv und subjektiv der Tatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt. Schmidhauser schnauzte den Richter an, er solle mit dem Theater aufhören und sich schämen, und wünschte ihm zwei Jahre in Afrika. Merkli liess sich nicht provozieren. Der Beschuldigte beruhigte sich gerade genug, um sofort Berufung anzumelden. Das Obergericht kommt also ein zweites Mal zum Zug.
Urteil GG 160007, 14. Juni 2017, noch nicht rechtskräftig.