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«Wer den Schweizer Pass hat, ist Schweizer – und fertig», lautet die verbreitete Meinung. Eine Umfrage unter den Leserinnen und Lesern zeigt: Wer eingebürgert ist, wird als Schweizer, aber oft nicht als «Eidgenosse» wahrgenommen.
Von Erich Aschwanden, Daniel Gerny:
Der Name des Mannes mit Schweizer Pass und Migrationshintergrund war für einen Deutschschweizer nicht einfach auszusprechen – und Grund genug für den Polizisten, sich lustig zu machen. «Aber ich bin doch Eidgenosse – wie Sie», antwortete der Mann bei der Polizeikontrolle. «Wie bitte?», antwortete der Polizist: «Sie sind Schweizer – aber niemals Eidgenoss.» In einem anderen Erlebnisbericht heisst es: «Du kannst mit deinem roten Pass herumwedeln, wie du willst, da kannst du dich noch so viel beschweizerkreuzigen, es nützt alles nichts. Der Migrationshintergrund überschattet alles. An dem kannst du dich ein Leben lang kaputtschleppen – und die Kinder gleich mit.»
Umstrittene Debatte
Die Schilderungen stammen von Betroffenen, die sich auf einen entsprechenden Aufruf der NZZ von letzter Woche gemeldet hatten: Etabliert sich eine neue Begrifflichkeit, die zwischen eingebürgerten Schweizern und Eidgenossen unterscheidet? Lanciert wurde die Umfrage aufgrund eines Stelleninserats, das in der Zentralschweiz für Diskussionsstoff sorgte. Darin wurde ein Landmaschinenmechaniker gesucht, wobei es sich beim Bewerber um einen «interessierten Eidgenossen» handeln sollte.
Wohl sind die meisten Leserinnen und Leser der Ansicht, dass es keine Unterscheidung zwischen «Eidgenossen» und Schweizern gebe, die durch Einbürgerung zu ihrem Pass gekommen sind. Und auch Schilderungen wie die eingangs erwähnten kamen nicht häufig vor. Manche Leser empörten sich gar darüber, dass die NZZ überhaupt eine Umfrage zu einem solchen Thema starte: Es gebe wichtigere Probleme, und man dürfe diese künstliche oder gar nicht existierende Debatte nicht noch anheizen.
Ganz so inexistent ist diese Debatte indes nicht: Auf der politischen Bühne wurde sie bereits verschiedentlich lanciert. So verlangte 2012 eine SVP-Parlamentarierin in einem Vorstoss , dass die Zürcher Behörden in Zukunft die Schweizer Bürger konsequent in «Eingebürgerte» und «Schweizer seit Geburt» unterteilen. Mit einer Statistik könnten Unterschiede wie der überproportionale Bezug von Sozialhilfe oder eine höhere Kriminalität der Eingebürgerten sichtbar gemacht werden, lautete die These. Im Kanton Luzern verlangte die SVP, dass die Behörden zwingend über einen allfälligen Migrationshintergrund der Täter informieren.
Unterscheidung wird gemacht
Bei verschiedenen Leuten weckt der Begriff Eidgenosse ganz andere Assoziationen. So steht Eidgenosse für einen Leser als «urchiger Begriff für einen bodenständigen Schweizer, aber auch für das alte Militärvelo und gute Schwinger». Ein anderer verbindet mit dem Namen Eidgenosse «eines der schönsten Lokale in Bern». Ebenfalls nicht erstaunlich ist, dass manche Wortmeldungen in einem offen diskriminierenden Ton abgefasst sind: Der Begriff «Eidgenosse» ist in rechtsextremen und nationalistischen Kreisen verbreitet.
Doch Betroffene sind auch mit unterschwelliger Diskriminierung konfrontiert. Das lässt sich nicht nur aus den eingangs erwähnten Erlebnisberichten herauslesen. Mehrere Leser weisen darauf hin, dass diese Unterscheidung beispielsweise in der Armee weit verbreitet sei. Dies nach dem Motto: «Ich bin Eidgenosse, kein Schweizer. Denn Schweizer kann jeder werden.» Aber auch in ländlichen Gebieten scheint diese Unterscheidung teilweise gebräuchlich zu sein. Sogar eine dreistufige Unterteilung in Secondo (eingebürgert), Schweizer (seit mindestens zwei Generationen eingebürgert und Dialekt sprechend) und Eidgenosse (auf Schweizer Boden seit Beginn der Familienchronik) wird vorgeschlagen.
Sich als Schweizer fühlen
In mehreren Beiträgen wird über die Ursachen für diese sprachliche Differenzierung spekuliert und die Einbürgerungsdebatte dafür verantwortlich gemacht: «Der Bedeutungswandel eines Begriffs ist in den Sprachwissenschaften immer dann anzutreffen, wenn ein neues Unterscheidungsbedürfnis entsteht, aktuell gegeben durch erhöhte Kriminalitätsquote, Lohndumping und Verschleierung der Masseneinwanderung», stellt ein Leser fest. Doch der Grundtenor lautet, dass diese Differenzierung nicht Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs werden dürfe. «Ab wann ist jemand Schweizer?», setzt ein Leser zur rhetorischen Frage an – und gibt die Antwort gleich selbst: «Dann, wenn sich jemand als Schweizer fühlt.»