Newsnet: Eine ETH-Untersuchung kommt zum Schluss, dass Deutsche in der Schweiz im Alltag nicht diskriminiert werden. Der deutsche Co-Studienleiter Andreas Diekmann sagt, welche Gruppe benachteiligt wird.
Herr Diekmann, Sie haben in einer Studie überprüft, ob Deutsche in der Schweiz diskriminiert werden. Was war Ihre wichtigste Erkenntnis? Wir haben fünf Experimente durchgeführt (siehe Box). Als wir in der Stadt Zürich Passanten einmal auf Hochdeutsch und einmal auf Schweizerdeutsch um zwei Franken für ein Trambillett fragten, stellten wir fest, dass die Sprache keinen nennenswerten Effekt auf das Ausmass der Hilfsbereitschaft hatte. Unter beiden Bedingungen zückten mehr als 40 Prozent der Angesprochenen das Portemonnaie. Und bei den angeblich verlorenen Briefen, die wir mit unterschiedlicher Adresse unter die Scheibenwischer parkierter Autos klemmten, war die Rücklaufquote nicht etwa nach Berlin am geringsten, sondern nach St. Gallen. In beiden Experimenten fanden wir keine Anhaltspunkte für die Diskriminierung von Deutschen. Das gilt im Übrigen auch für eine andere Religionsgruppe: Als eine Studentin sowohl mit als auch ohne Kopftuch auf der Strasse Unterschriften sammelte, wurde sie unabhängig von ihrer Aufmachung stets gleich behandelt.
Haben Sie die Ergebnisse überrascht? Ja, es überraschte uns durchaus, dass sich bei den Experimenten keine signifikanten Unterschiede ergaben. Das zeigte uns, dass die Menschen zumindest im Alltag und im öffentlichen Raum keinen Unterschied machen, ob jemand Deutscher, Schweizer oder Kopftuchträgerin ist. In anderen Ländern, in denen es Auseinandersetzungen zwischen Religions- oder Volksgruppen gibt, hätten wir durchaus zu anderen Befunden kommen können.
Warum hält sich denn das Klischee so hartnäckig, Deutsche würden in der Schweiz besonders diskriminiert? Vielleicht weil die Medien ständig darüber berichten?
Die immer wieder aufflammende mediale Diskussion könnte ein Abbild der Realität sein: Das Verhältnis scheint kein unverkrampftes zu sein. Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit hat der Zustrom Deutscher in die Schweiz zugenommen. Die SVP nahm das zum Anlass, um gegen die qualifizierten deutschen Einwanderer wie Ärzte oder Universitätsangestellte Stimmung zu machen. Damit stösst sie teilweise auf fruchtbaren Boden, denn mit der Einwanderung geht auch das Wachstum der Stadt einher – und damit sind Effekte wie der ausgetrocknete Wohnungsmarkt verknüpft. Wo Minderheiten einwandern, die durch ihr Verhalten, ihre Sprache oder Kleidung als solche erkennbar sind, kann es zu Spannungen kommen. Manche sehen sie als Bereicherung, andere fühlen sich von ihnen bedroht. Das verhält sich nicht nur in der Schweiz so: Jüngst hat etwa der «Schwabenkrieg» in Berlin Aufsehen erregt, in dem zugezogene Süddeutsche durch «einheimische» Berliner diskriminiert wurden.
Die Schweiz ist also nicht fremdenfeindlicher als andere Länder. Natürlich gibt es auch in der Schweiz Fremdenfeindlichkeit. Viele Ausländer werden auch über negative Erlebnisse berichten können. Dazu muss man nur die Internetforen anschauen. Aber Fremdenfeindlichkeit gibt es genauso in anderen Ländern. Denken Sie zum Beispiel an rechtsextreme Übergriffe gegen Ausländer in Deutschland. Und dass eine Partei ihr Süppchen mit der Überfremdungsangst kocht, lässt sich leider in vielen europäischen Staaten beobachten.
Die Experimente wurden in Zürich durchgeführt. Die multikulturelle Stadt hat die Zuwanderungsinitiative abgelehnt. Ihre Bewohner dürften also kaum repräsentativ für die gesamte Schweiz sein. Auch in Zürich haben viele Stimmbürger der Initiative zugestimmt. Aber Sie haben recht: An anderen Orten und in anderen Kantonen könnte das Ergebnis anders ausfallen. Ob das so wäre – darüber können wir nur spekulieren.
Sie haben auch die Wirkung und die allfällige Diskriminierung anderer Ausländer geprüft. Unterscheidet sich beispielsweise die Behandlung von Migranten aus Deutschland oder aus dem Balkan? Bei einem Experiment haben wir je 150 Blindbewerbungen an Deutschschweizer Unternehmen versandt. Der Stellensuchende hiess einmal Mark Muggli und einmal Dukan Jovanovic. Abgesehen vom Namen waren die Lebensläufe und Motivationsschreiben identisch. Trotz derselben Ausbildung erhielt der Bewerber mit dem ex-jugoslawischen Namen weniger positive Rückmeldungen. Bei dieser Benachteiligung verdeutlichte sich eine Tendenz zur Diskriminierung. Das zeigt: Im Arbeitsmarkt ist dies eher der Fall als in alltäglichen Situationen. Das könnte auch für den Wohnungsmarkt gelten – eine entsprechende Studie existiert jedoch nicht. Entscheidend ist also nicht nur die Nationalität, sondern auch der Kontext.
Haben Sie persönlich als Deutscher je Diskriminierung in der Schweiz erfahren? Ich lebe seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Schweiz und in Süddeutschland und hatte bisher kein einschneidendes Diskriminierungserlebnis. Natürlich kann das auch davon abhängen, in welchem sozialen Umfeld man sich bewegt. Mein Arbeitsumfeld, die ETH, ist von einer kulturellen Mischung geprägt. Viele Sitzungen führen wir in englischer Sprache. In dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahren viel verändert: Heute stammt die Mehrheit der Professoren und Doktoranden aus dem Ausland. Das trägt zum Erfolg der ETH bei. Bei der Kritik an der Zuwanderung Deutscher darf man beispielsweise im Fall von Ärzten nicht vergessen, dass deren Ausbildung von den deutschen Steuerzahlern bezahlt wurde. Sie könnten sich allenfalls beschweren – die Schweiz dagegen profitiert von der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte.
Fühlen Sie sich in der Schweiz überall gleich wohl – in Zürich genauso, wie wenn Sie zum Wandern in die Berge gehen? In den Bergen fühle ich mich besonders wohl; leider komme ich in letzter Zeit zu wenig zum Wandern. Negative Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit habe ich persönlich nicht gemacht – im Gegenteil.