Schwarzenbachs Vorreiterrolle in Europa

Der Bund

id. Die von James Schwarzenbach angeführte «Überfremdungsbewegung» war die erste europäische Anti-Ausländer-Partei, was von nichtschweizerischen Journalistinnen und Journalisten als Kuriosum des reichen Alpenlandes gewertet wurde. Dabei kam der Schweiz nur eine Vorreiterrolle zu: Ab den Achtzigerjahren breiteten sich in ganz Westeuropa rechtspopulistische Bewegungen aus, die von Nationalismus, Xenophobie und Rassismus geprägt sind.

Neben der NA, heute Schweizer Demokraten (SD), organisierte sich nach 1980 ein Teil des rechtspopulistischen Protestes in der Autopartei, der späteren Freiheits-Partei, die heute praktisch von der Bildfläche verschwunden ist. Im Tessin entstand die Lega dei Ticinesi.
In den Neunzigerjahren übernahm die SVP, insbesondere deren Zürcher Kantonalpartei unter der geistigen Führung von Christoph Blocher, das Erbe der Überfremdungsbewegung und benutzte das Asyl- und Ausländerthema für populistische Wahl- und Abstimmungskampagnen. Zwar ist die SVP seit 1929 ununterbrochen Regierungspartei. Dennoch trug sie in den letzten Jahren wesentlich dazu bei, dass sich der rechtspopulistische Diskurs in der Schweiz verbreitete. An der Urne wurde die SVP dafür belohnt: Aus den Nationalratswahlen 1995 und 1999 ging sie als eindeutige Siegerin hervor.


Der erste Meister im Spiel mit den modernen Medien

JAMES SCHWARZENBACH / Von Ende Sechziger- bis Anfang Siebzigerjahre sass er im Nationalrat, zuerst für die NA, später für dieRepublikaner. Der Rechtspopulist James Schwarzenbach hatte sich dem Schüren der Überfremdungsangst verschrieben und tat dies mit pionierhaftem Gespür für mediengerechte Auftritte. Am Bildschirm verbündete er sich mit dem «Volk» gegen die «Classe politique».

° ISABEL DREWS*

1967 war der freischaffende Verleger und Journalist James Schwarzenbach, Sprössling einer der reichsten Familien der Schweiz, einem breiten Publikum noch weitgehend unbekannt. Nur wenige Monate vor den Nationalratswahlen wurde er in Zürich von der «Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat» (NA) angefragt, ob er sich als Spitzenkandidat zur Verfügung stelle. Der Grandseigneur sagte bereitwillig zu, obwohl die NA für ihn «im Ruf einer Splittergruppe von Fremdenhassern» stand, wie er später in seinen Memoiren berichtete. Schliesslich konnte seine berufliche Karriere einen neuen Impuls gut gebrauchen: Sein soeben veröffentlichter Heimatroman, in dem er eine dörfliche Bergidylle heraufbeschwor, fand bei Kritik und Publikum wenig Beachtung. Der eigene Verlag, der «Thomas-Verlag» mit Sitz in Zürich, fristete bloss noch ein Schattendasein. Gescheitert war ebenso der Versuch, eine eigene Zeitung zu gründen. Zur grossen Überraschung aller zeitgenössischen Kommentatoren wurde der politische Aussenseiter Schwarzenbach im Oktober 1967 gewählt. Er zog als erster und einziger NA-Vertreter im

Eine Woge aufkommender Fremdenfeindlichkeit

Nationalrat ein. Wie eine Analyse des Wahlresultats zeigt, wurde er nicht als Persönlichkeit gewählt. Vielmehr hatte ihn eine Woge aufkommender Fremdenfeindlichkeit in den Rat getragen.
Gerade im Kanton Zürich, dem Zentrum der wirtschaftlichen Modernisierung der Schweiz, erhielt die Überfremdungsbewegung ab Mitte der Sechzigerjahre kräftig Zulauf. Sie wehrte sich gegen den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, die infolge des rasanten Konjunkturaufschwungs aus den südlichen Mittelmeerländern, vorab aus Italien, in unser Land kamen. Die Überfremdungsbewegung war Ausdruck eines Unbehagens, das damals weite Teile der Bevölkerung ergriff. Ein Gefühl kam auf, dass die Schweiz in ihrem Wesen durch die Internationalisierung ihrer Wirtschaftsbeziehungen bedroht sei. Die Abwehrreaktion richtete sich also nicht nur gegen «die Fremden», sondern auch gegen «das Fremde», gegen Veränderungen in der Lebenswelt, die bisher noch nie so radikal empfunden worden waren.
Dabei war der Begriff Überfremdung keineswegs neu: Er war bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg aufgetaucht. In den Sechzigerjahren gelangte die Frage der Überfremdung wieder auf die politische Agenda. Angeheizt wurde das Klima der Fremdenfeindlichkeit aber nicht nur durch die Kampagnen der Nationalen Aktion, sondern auch von Seiten der Parteien, Gewerkschaften und Behörden. So kam 1964 eine vom Bundesrat eingesetzte «Expertenkommission zum Studium der Ausländerproblematik» zum Schluss, die Schweiz befinde sich «im Stadium einer ausgesprochenen Überfremdungsgefahr». Weiter hiess es, die «übermässige Zunahme der fremden Einflüsse» gefährde «unsere nationale Eigenart und damit die wichtigste Grundlage unserer staatlichen Eigenständigkeit».
Die Veröffentlichung des Berichts 1964 wurde zum grossen massenmedialen Ereignis und gab der Überfremdungsbewegung zusätzlichen Aufwind. Worauf die linksbürgerliche «Demokratische Partei» des Kantons Zürichs 1965 eine erste Überfremdungsinitiative lancierte. Nachdem sie in beiden eidgenössischen Räten klar durchgefallen war, beschloss die Parteileitung im Frühjahr 1968, die Initiative zurückzuziehen. Damit verstiess sie gegen den Willen der Basis, welche das Volksbegehren aufrechterhalten wollte. Der frischgewählte Nationalrat Schwarzenbach und seine Mitstreiter nutzten die Gunst der Stunde und lancierten wenige Wochen später eine zweite Überfremdungsinitiative. Diese forderte den Abbau der ausländischen Bevölkerung pro Kanton auf zehn Prozent, eine Sonderregelung erhielt nur Genf. Faktisch hätte dies bedeutet, dass rund die Hälfte aller Ausländerinnen und Ausländer – eine halbe Million Menschen – die Schweiz hätte verlassen müssen.
Der Abstimmungskampf verlief ungewöhnlich heftig. Auf der einen Seite standen Regierung und Parlament, Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, ebenso die Massenmedien und die Landeskirchen, die sich

Allabendliche Schwarzenbach-Show
in ungewohnter Einmütigkeit geschlossen gegen die Initiative aussprachen. Auf der Befürworterseite stand einzig James Schwarzenbach, so machte es zumindest in der Öffentlichkeit den Eindruck. Man sprach von der «Schwarzenbach-Show», wenn er in den Monaten vor der Abstimmung praktisch allabendlich an einer Podiumsveranstaltung irgendwo in der Schweiz auftrat, und die Initiative wurde immer häufiger als «Schwarzenbach-Initiative» bezeichnet.
Obwohl die geschlossene Front der Gegner eindringlich vor Fremdenfeindlichkeit und wirtschaftlichem Eigengoal warnte, warfen am 7. Juni 1970 46 Prozent der Schweizer ein Ja für die «Schwarzenbach-Initiative» in die Urne. Die Stimmbeteiligung war mit 75 Prozent die höchste seit der Einführung der AHV im Jahre 1947. «Schwarzenbach hat die Schlacht verloren – doch eine Mobilmachung gewonnen», kommentierte die «Zürcher AZ». Worin bestand Schwarzenbachs Erfolgsrezept? In der Öffentlichkeit trat er nicht als Parlamentarier der Nationalen Aktion auf, sondern er ernannte sich zum Sprachrohr des «Volkes». Bezeichnenderweise liess er später seine politischen Memoiren unter dem Titel «Im Rücken das Volk» erscheinen. Den Gegenspieler des «Volkes» ortete Schwarzenbach in der sogenannten «Classe politique», was als typisches Merkmal

C lasse politique als Gegenspieler des Volkes
eines Rechtspopulisten gilt. «Jeder von uns bedauert, dass zwischen Volk und Behörde, von zuunterst bis zuoberst ein tiefer Graben klafft, der leider immer breiter und breiter wird», verkündete Schwarzenbach in seiner 1.-August-Rede 1973 beim Soldatendenkmal auf der Forch bei Zürich der versammelten Anhängerschaft. Regierung und Parlament warf er vor, sie würden am Volk vorbeipolitisieren. Ihr Handeln sei von einem Klüngel aus Partei-, Verbands- und Wirtschaftsinteressen bestimmt. Indem Schwarzenbach behauptete, die meisten Parlamentarier würden bloss die Interessen mächtiger Verbände vertreten, blendete er aus, dass auch sie vom Volk gewählt worden waren.
Diese Diffamierung der «Classe politique» kommt auch in einem Brief an den damaligen Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, Bundesrat Hans Schaffner, zum Ausdruck. An ihn richtete Schwarzenbach vorwurfsvoll die Frage: «Hat das Schweizervolk in unserm Lande Industrien aufgezogen, für welche die Arbeitskräfte im Auslande gesucht werden mussten?» Dem Volk sei schon längst klar geworden: «Bundesrat und Parlament und die vielzitierte bedrohte Wirtschaft stecken unter einer Decke.» Sich selbst hingegen stilisierte Schwarzenbach zum wahren Volksvertreter, der sich pausenlos für die Anliegen des «Volkes» einsetze. Dieses «Volk» stellte er als organische Gemeinschaft dar. Schichtzugehörigkeiten oder andere unterschiedliche Interessenlagen ignorierte er. Um ein Zusammengehörigkeitsgefühl herstellen zu können, betonte er die nationale Identität. Diese nationale Gemeinschaft stufte er als höherrangig ein als die pluralistische Gesellschaft. Aus dem Kreis der «richtigen Schweizer» schloss er nicht nur die Ausländer aus, sondern letztlich alle, die seine nationalistischen Forderungen nicht gutheissen wollten.
Um sich als Volkstribun wirksam in Szene zu setzen, lancierte Schwarzenbach mehrere Volksinitiativen. Sie scheiterten alle an der Urne. Einen Erfolg erreichte er einzig 1976, als der Souverän das Referendum annahm, das er gegen einen Kredit an eine Entwicklungsorganisation der Weltbank ergriffen hatte. Schwarzenbach kündigte noch eine Reihe weiterer Volksbegehren an, die er später aber wieder zurückzog oder versanden liess. Damit hielt er den Druck aufrecht, dem die Behörden in der Überfremdungsfrage ausgesetzt waren.
So erklärte er beispielsweise am Abend, nachdem das Abstimmungsergebnis zur «Schwarzenbach-Initiative» bekannt geworden war, in der Kommentarsendung des Schweizer Fernsehens vor laufenden Kameras, er werde nun eine Initiative zur Direktwahl des Bundesrates starten. Die Sendung lief zur Hauptsendezeit und schloss unmittelbar an die Ausstrahlung des Fussball-Weltmeisterschaftsspiels Brasilien gegen England an. Hunderttausende sassen vor dem Fernseher und erlebten mit, wie Schwarzenbach nach diesem Abstimmungskampf, der einer der heftigsten und emotionalsten in der Schweizer Geschichte gewesen war, die Wogen nicht glättete, sondern – dazu ruhig Pfeife rauchend – zu neuem Sturm blies. Erst einige Jahre später zeigte sich, dass Schwarzenbachs Bewegung die nötigen Unterschriften nicht zusammenbrachte, so dass die Initiative nicht zustande kam.
Diese Szene macht deutlich, wie gut Schwarzenbachs Gespür für die Wahl des medial günstigen Augenblicks war. Im Umgang mit den Massenmedien bewies er grosses Geschick. Schliesslich war er ein Medienprofi. Bei seiner ersten Wahl 1967 konnte er bereits auf 35 Jahre aktive Medienerfahrung als Journalist, Vortragsreisender und Verleger zurückblicken. In dieser Hinsicht war er

Gespür für den medial günstigsten Augenblick
moderner als viele seiner Ratskollegen, die in ihm einen altväterischen Sonderling sahen. Denn im Verlaufe der Sechzigerjahre gewannen die Massenmedien in der Politik zunehmend an Bedeutung: Schwarzenbachs Aufstieg wurde zeitlich vom Siegeszug des Fernsehens begleitet, das politische Inhalte oft personalisiert. Hinzu kommt, dass Politik in den Massenmedien häufig in der Gegenüberstellung von Pro und Kontra dargestellt wird, worauf Schwarzenbach seine Strategie anlegte.
Da er insbesondere bei den Überfremdungsinitiativen das gesamte politische Establishment gegen sich hatte, bestritt er auf der Seite der Befürworter die öffentliche Kampagne weitgehend selbst. Damit repräsentierte er praktisch als einziger die Befürworter-Seite, während ihm auf der anderen Seite immer neue Gegnerinnen und Gegner gegenübertraten, wodurch eine Personifizierung, wie sie bei Schwarzenbach stattfand, ausblieb.
Pro-Stellungnahmen zu den Überfremdungsinitiativen verfasste er eigenhändig, ebenso viele Leserbriefe. Dies förderte einerseits die Identifikation der Initiative mit seiner Person, andererseits aber auch Schwarzenbachs Begehrtheit in den Medien.
Diese öffentliche Dominanz Schwarzenbachs widerspiegelte auch seine Stellung innerhalb der Überfremdungsbewegung. Bereits ein halbes Jahr nach seiner überraschenden Wahl in den Nationalrat hatte er sich als deren Schlüsselfigur etabliert: Er war nicht nur ihr einziger Nationalrat, sondern übernahm auch das Amt des NA-Zentralpräsidenten und wurde verantwortlicher Redaktor des Organs «Volk und Heimat».
Längerfristig wollte Schwarzenbach die NA zentralisieren und von ihrem Einthemenkurs abbringen. Als im Sommer 1970 in der NA Strömungen auftraten, die mittels einer Politik der Strasse Druck auf die Behörden ausüben wollten, trat Schwarzenbach überraschend von seinem Amt als NA-Zentralpräsident zurück. Er begann nun, Mitglieder für seine politische Neugründung, die «Schweizerische Republikanische Bewegung», zu sammeln. Bei den Nationalratswahlen 1971 erreichten die Republikaner mit insgesamt sieben Sitzen einen sensationellen Erfolg, während die NA nur vier verbuchen konnte.
Wie es für einen Rechtspopulisten kennzeichnend ist, erhob Schwarzenbach innerhalb der Republikaner einen autoritären Führungsanspruch. Widerspruch duldete er kaum, Kritiker wurden kurzerhand ausgeschlossen. Den zentralistischen und hierarchischen Aufbau, der für schweizerische Verhältnisse ungewöhnlich war, rechtfertigte er damit, dass er für den politischen Erfolg notwendig sei. So wurden die Republikaner in verschiedener Hinsicht klar von ihm beherrscht: Er bestritt nicht nur alle wichtigen Auftritte und entschied, was in die Spalten der Zeitung

Konservative Inhalte, aber in der Wahl der Mittel sehr modern
«Der Republikaner» kam, sondern griff der Bewegung auch finanziell unter die Arme. Diese Dominanz Schwarzenbachs in allen Parteibelangen führte dazu, dass die Republikaner in der Öffentlichkeit mit ihm identifiziert wurden. James Schwarzenbachs Name wurde in den Siebzigerjahren zusammen mit Clay Ragazzoni und Bernhard Russi weltweit am häufigsten genannt. Man sprach von «Schwarzenbachs Republikanern» oder «Schwarzenbachs Gefolgsleuten». So überrascht es nicht, dass die Republikanische Bewegung Schwarzenbachs Rückzug aus der Politik 1978 nicht lange überlebte.
In der Schweiz, wo gewöhnlich nach dem Konkordanzprinzip Politik betrieben wird, fallen Leadertypen wie Schwarzenbach umso mehr auf. James Schwarzenbach verkörperte in ausgeprägter Weise eine rechtspopulistische Führerfigur. Er vertrat zwar konservative Inhalte, war aber in der Wahl seiner Mittel sehr modern. Dies erklärt seinen Bekanntheitsgrad, den er um 1970 erreichte.

*Die Autorin ist Historikerin. Der vorliegende Artikel basiert auf ihrer Lizentiatsarbeit «James Schwarzenbach als rechtspopulistische Führerfigur der Überfremdungsbewegung», eingereicht bei Prof. Urs Altermatt.