Auf dem Rütli fand gestern ein ruhiges Fest statt – bis ein Gewitter zum Abbruch der Feier zwang. Innerschweizer Politiker wollen am Konzept der lokalen Feier festhalten.
Von David Schaffner
Die Bundesfeier auf dem Rütli scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Nun haben sich die Organisatoren dieses Jahr peinlichst darum bemüht, niemanden zu provozieren. Und dennoch mussten sie die Feier gestern zum ersten Mal abbrechen. Was 700 Rechtsextreme vor drei Jahren nicht vermochten, richtete ein Platzregen aus. Nach der Rede des Urner Sicherheitsdirektors Josef Dittli war Schluss. Noch bevor die Besucher gemeinsam den Schweizerpsalm singen konnten.
Dabei hatte alles so gemütlich begonnen. Auf dem Rütli war gestern erstmals jene Ruhe eingekehrt, die sich viele Innerschweizer Politiker seit Jahren wünschten. Das Ticketsystem und der eingeschränkte Schiffsverkehr sorgten dafür, dass weniger als zehn Rechtsextreme auf die Wiese fanden. 26 weitere wurden von der Polizei in Seelisberg und Brunnen zurückgewiesen. Mit Dittli stand ein Politiker am Rednerpult, der nirgendwo aneckt. Mit bloss 500 Gästen war die Feier denn auch viel schlechter besucht als in den Jahren zuvor.
Fliessender Übergang
Bis der Regen die Menschen in eine Art Massenflucht schlug, herrschte eine familiäre Stimmung. Vielen war kurz nach ein Uhr, als der Kinderchor zu einer Probe anstimmte, nicht einmal klar, dass die Feier noch nicht begonnen hatte. Nachdem der Chor die Alpenrose von Polo Hofer zum Besten gegeben hatte, gab es bereits lauten Applaus. Ansonsten führte vor allem eine Frage zu heissen Diskussionen: «Stecken die Cervelats bereits in diesen komischen neuen Därmen?»
Die Feier begann mit einer Ansprache von Annemarie Huber-Hotz. Die ehemalige Bundeskanzlerin ist die neue Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), die die Rütlifeier organisiert. Huber-Hotz sagte, dass es ihr «ein grosses Anliegen sei, auf dem Rütli eine schlichte Feier zu organisieren». Also kein Fest, das die ganze Schweiz bewegt, wie jenes von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey vor einem Jahr.
Für dissonante Zwischentöne sorgte gestern allein das Trio um den Jazz-Percussionisten Pierre Favre. Den drei Herren machten ihre experimentellen Klänge mit Schlagzeug, Alphorn und grossen Meeresmuscheln sichtlich Spass – vielen Besuchern eher weniger.
Starke Sicherheitsmassnahmen
Trotz des Wetterpechs fand die Feier bei Innerschweizer Politikern Anklang: «Wir haben das Modell für die künftige Rütlifeier gefunden», sagte der Schwyzer Baudirektor Lorenz Bösch. Redner Josef Dittli war ebenfalls begeistert: «Die Feier war ruhig und bescheiden, so wie es auf dem Rütli sein soll.» Zwar seien nur wenige Leute gekommen. Das sei aber gut so.
Trotz des geringen Interesses mussten die SGG und die Kantone Uri und Schwyz starke Sicherheitsvorkehrungen treffen. Aufs Rütli gelangen konnte nur, wer ein Ticket besass und in Luzern eines der beiden Schiffe bestieg, die zur Wiese fuhren. Die Kantonspolizei Uri, verstärkt durch weitere Polizisten aus der Innerschweiz, war im Umfeld und auf der Rütliwiese präsent. Die Schwyzer Polizei kontrollierte in mehreren Orten die Autos und Passanten.
Stamm für nationale Rütlifeier
Gut gelaunt stieg Judith Stamm in Luzern auf ein Schiff, das die Gäste zum Rütli brachte. Es war das erste Mal seit neun Jahren, dass die Ex-Präsidentin der Gemeinnützigen Gesellschaft unbeschwert zur Feier aufbrechen konnte. 2007 hatte sie noch dezidiert für einen national bedeutenden Anlass gekämpft. Viele Politiker wollten damals Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey ihr Fest für die Frauen verbieten.
Auf dem Schiff will Stamm etwas abseits sitzen. «Nur nicht mitten in den Trudel», sagt sie. «In der Innerschweiz bin ich wohl für viele eine Reizfigur.» Es komme vor, dass sie am Bahnhof von Fremden angepöbelt werde. Wurmt es sie nicht, dass nach ihrem jahrelangen Kampf nun eine eher belanglose Feier stattfindet? Die Antwort fällt diplomatisch aus: «Es braucht wohl eine ruhige Phase», sagt sie.
Trotzdem ist die ehemalige CVP-Nationalrätin im Gegensatz zu vielen Innerschweizer Politikern überzeugt: «Auf dem Rütli braucht es eine Feier mit schweizweiter Ausstrahlung.» Der Mythos der Wiese sei in der ganzen Schweiz von Bedeutung. Es sei nicht an ihr, zu entscheiden, wie die Feier künftig aussehen solle. Nur so viel: «Wunderbar ist doch, dass es sich um eine Wiese handelt und nicht um ein Schlachtfeld oder ein Denkmal.» Eine Wiese sei offen für Interpretationen. «Nun ist es eine Denksportaufgabe, welche Bedeutung wir dieser Wiese geben wollen.»