Tagesanzeiger. Ein Dutzend Linksradikale und fünf Rechtsextreme lieferten sich am Mittwochabend nach einer Podiumsdiskussion eine Auseinandersetzung. Eine Expertin kritisiert die Antifa, ein Nationalrat die Stadtpolizei.Â
Am Mittwochabend fand im Debattierhaus Karl der Grosse in Zürich eine Podiumsdiskussion zu Rechtsextremismus statt. Es ging darum, ob Neonazis unbeob- achtet salonfähig und Teil des Alltags in den Medien und auf den Strassen geworden sind und wie die Politik reagieren könnte.
Unter die etwa 120 Zuhörerinnen und Zuhörer im fast vollen Saal mischten sich auch mehrere Aktivisten der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat. Mit politischen Aktionen versuchten die neuen Rechten zuletzt immer wieder, Aufmerksamkeit für ihre ausländer- und genderfeindlichen Themen zu erregen.
Als die Diskussion begann, standen die – zunächst unerkannt gebliebenen – Mitglieder der Jungen Tat hinter dem sitzenden Publikum. Die Moderatorin bat die stehenden Gäste, die freien Plätze in der ersten Reihe direkt vor dem Podium einzunehmen, was fünf Aktivisten auch taten. Dort erkannte die Extremismusexpertin Mirjam Eser Davolio von der ZHAW das Junge-
Tat-Führungsduo Manuel C. und Tobias L. «Ich habe die Veranstalter darauf aufmerksam gemacht, dass Mitglieder der Jungen Tat im Saal sind. Wir haben gewusst, dass es explosiv werden könnte», sagt die Wissenschaftlerin dieser Zeitung.
«Da die Veranstaltung schon im Gange war und um eine mögliche Eskalation zu verhindern, haben wir uns gegen einen Verweis entschieden. Gleichzeitig haben wir umgehend Kontakt mit der Stadtpolizei Zürich aufgenommen», sagt ein Vertreter des Veranstalters Fachverein Polito der Universität Zürich. Das bestätigt auch ein Polizeisprecher.
«Provokante» Frage zur «Terrororganisation Antifa»
Gemäss SP-Nationalrat Fabian Molina, der auch auf dem Podium sass, und den Veranstaltern waren jedoch mehrere Anrufe und ein massives Insistieren nötig, bis die Stadtpolizei einen Streifenwagen schickte.
Die Podiumsdiskussion sei ruhig und friedlich verlaufen. Erst gegen Ende stellte ein Mitglied der Jungen Tat eine laut Teilnehmern «provokante» und «wirre» Frage: Weshalb es keine Diskussion über die «Terrororganisation Antifa» gebe, welche rechte Aktivisten öffentlich brandmarke?
«Ich antwortete, dass ich die Vorgehensweise der Antifa mit dem Blaming und Veröffentlichen von Namen und Telefonnummern von Rechtsextremen problematisch finde und dass dies nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar ist, weil es gegen Persönlichkeitsrechte verstösst», sagt Extremismusforscherin Eser Davolio.
SP-Nationalrat Molina antwortete, dass auch Nazis Menschen seien und Grundrechte hätten. «Wenn sich Nazis politisch betätigen, ist es die Aufgabe von Demokratinnen und Demokraten, sich ihnen im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung vehement in den Weg zu stellen», sagte der Politiker.
Gegen 20.15 Uhr endete die Podiumsdiskussion über Rechtsextremismus, und der Streifenwagen verliess in Absprache mit dem Veranstalter den Ort. Etwa 15 Minuten später gingen bei der Stadtpolizei fast zeitgleich zwei Anrufe ein, die eine «Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen» in der Uraniastrasse beim Heimatwerk meldeten. «Wir sind ausgerückt, haben aber niemanden mehr angetroffen», sagt ein Polizeisprecher. Ob jemand verletzt wurde, ist nicht bekannt.
«Antifa bleibt letztlich doch Handarbeit»
Die beiden Junge-Tat-Anführer Manuel C. und Tobias L. schrieben noch am selben Abend in einem sozialen Netzwerk, dass sie nach einer «absurden, aber interessanten Diskussion» über Rechtsextremismus von etwa einem Dutzend Linksextremen angegriffen worden seien.
Einen Tag später fragte die Antifa in einem sozialen Netzwerk: «Stell dir vor, alle reden auf dem Podium von Rechtsextremismus – Nazis der Jungen Tat sitzen dabei in der ersten Reihe, und niemand macht was im Saal?!» Dazu postete sie ein Foto, das Mitglieder der Jungen Tat zeigt, wie sie den Veranstaltungsort betreten. Es sei doch noch «ungemütlich für die Nazis auf Zürichs Strassen» geworden – «denn Antifa bleibt letztlich doch Handarbeit».
Stadtpolizei weist Vorwurf zurück
Die Veranstalter der Podiumsdiskussion wehren sich gegen die Darstellung der Antifa. «Der Ein- druck, wir hätten nichts unter- nommen, ist falsch. Wir hatten schon bei der Planung der Podiumsdiskussion Sicherheitsbedenken gehabt und vor zwei Wochen die Stadtpolizei informiert», sagt ein Vertreter des Fachvereins Polito. Zusammen mit der Polizei habe man die Situation so eingeschätzt, dass es keinen Sicherheitsdienst brauche. «Zudem wollten wir der Jungen Tat keine Eskalationsmöglichkeiten bieten und keine zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen.»
SP-Nationalrat Molina lobt das «professionelle Verhalten» des Veranstalters, der sich nicht provozieren liess, kritisiert aber die Stadtpolizei: «Es ist logisch, dass bei so einer Podiumsdiskussion über Rechtsextremismus viel passieren kann, die Polizei hat das offenbar völlig unterschätzt.» Die Stadtpolizei weist den Vorwurf zurück. Es habe keine unmittelbare Gefährdung be- standen. Schon kurz nach der Ab- klärung sei eine Patrouille losgeschickt worden, sagt ein Sprecher.
Für die Extremismusexpertin Eser Davolio gehört es zur Strategie der Jungen Tat, «stubenrein» in der Öffentlichkeit aufzutreten. «Wie gewaltbereit sie wirklich sind, kann ich wenig einschätzen», sagt sie. Die Präsenz der rechtsextremen Aktivisten bei der Diskussion habe sie nicht als Provokation empfunden.