Dieses Jahr findet auf dem Rütli keine 1.-August-Feier statt. Die Nationalwiese am Urnersee wird wohl abgesperrt. Doch Micheline Calmy-Rey zeigt sich unbeeindruckt.
Von Thomas Bolli, Luzern
Es sei für die Innerschweizer Kantone die schlechtere Lösung, wenn am 1. August auf dem Rütli nicht offiziell gefeiert werde. Das haben die zuständigen Sicherheitsdirektoren wiederholt betont. Ihre Sorge: Sie können kaum abschätzen, wo es allenfalls zu Ausschreitungen zwischen Rechtsradikalen und Linksextremen kommen wird. Die Wiese am See ist dabei besonders gefährlich, weil die Fluchtmöglichkeiten sehr beschränkt sind.
Dennoch hat die Rütlikommission gestern definitiv entschieden, dieses Jahr keine Feier zu veranstalten. «Das heisst vorerst, dass das Rütli von allen Schiffsstationen her und über die Wanderwege frei zugänglich sein wird», sagt der zuständige Urner Regierungsrat Josef Dittli. Für Hans Stutz, der sich in der rechtsextremen Szene auskennt, ist klar, dass die Rechtsradikalen wie in den vergangenen Jahren versuchen werden, aufs Rütli zu kommen. Ihnen gehe es weniger um die Feier als um den Ort.
Konfrontationen absehbar
Bereits hat das Bündnis für ein buntes Brunnen (BBB) angekündigt, es werde seine «antifaschistische Kundgebung» dort durchführen, wo sich die Rechtsextremen in Szene setzen wollen. «Wir werden je nach Situation entscheiden, wohin wir gehen», sagt Daniele Jenni. Mit Konfrontationen zwischen rechts- und linksextremen Gruppierungen ist also zu rechnen. Wo, ist ungewiss.
Falls aber auf dem Rütli gewaltsame Auseinandersetzungen drohen, wird Uri den Zugang zur Nationalwiese sperren. «Es ist rechtlich nicht eindeutig, wer eine solche Sperrung verfügen kann oder soll – der Bund als Eigentümer des Rütli, die Rütlikommission als Verwalterin oder der Kanton Uri, auf dessen Hoheitsgebiet die Wiese liegt», sagt Martin Hofer, Sprecher der Rütlikommission. Die Kommission könnte eine Sperrung allenfalls rein präventiv verlangen, der Kanton hingegen nur bei konkreten Anzeichen für gewaltsame Konfrontationen.
Es ist seit 1949 das erste Mal, dass eine Feier auf dem Rütli verunmöglicht wird. Dies, weil kein Kanton rund um den Vierwaldstättersee bei sich die Schiffe ablegen lassen will, welche die Gäste am 1. August aufs Rütli bringen könnten. Das sei «beschämend», findet die Rütlikommission. Sie bedaure es zutiefst, dass bei 161 Kilometer Uferlänge kein einziger von 33 Häfen offen sei. «Ohne einen Hafen können wir die Feier aber nicht durchführen», so Hofer.
Nächstes Jahr wieder eine Feier
Die Innerschweizer Kantone hatten verlangt, dass sich der Bund an den Kosten für die Sicherheit beteiligt. Der Bundesrat hat diese Bitte jedoch abgelehnt. Geplant war, dass die zurzeit höchsten Schweizerinnen – Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi und Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey – auf dem Rütli reden. Calmy-Rey will trotz der Absage der Feier am 1. August aufs Rütli (siehe Kasten).
Laut Rütlikommission sind am 1. August auf dem Rütli keine anderen Veranstaltungen zugelassen. 2008 soll dann wieder eine Feier stattfinden.
Calmy-Rey hält an Rütli-Auftritt fest – im doppelten Sinn
Die Bundespräsidentin lässt sich weder durch die Rütli-Kommission noch vom Bundesrat aufhalten: Sie will am 1. August aufs Rütli.
Micheline Calmy-Rey pflegt einen hörbaren und sichtbaren Patriotismus. Wenn ihr Handy klingelt, ertönt die Nationalhymne. Und als sie 2003 die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea überschritt, trug die Aussenministerin rote Schuhe mit dem Schweizer Kreuz. Es wäre also erstaunlich, würde sie den 1. August anderswo verbringen wollen als auf dem Rütli.
Zwar wird dort keine offizielle Bundesfeier stattfinden. Doch die unbeugsame Ministerin hält an ihren Plänen fest. So liess die Bundespräsidentin auch gestern – nach der Absage der Feier durch die Rütlikommission – ausrichten, was sie seit Tagen bekräftigt: «Ich werde am 1. August auf dem Rütli anwesend sein».
Offen ist laut ihrem Sprecher Jean-Philippe Jeannerat noch, wer Calmy-Rey begleiten soll und wie sie aufs Rütli gelangen will. Im Superpuma? Oder zu Fuss auf dem steil abfallenden Weg von Seelisberg hinunter? Um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: «Sie werden schon sehen, wie das geht.»
Es geht ganz einfach: Demnächst wird die Bundespräsidentin ihre 1.-August-Rede auf der Rütliwiese aufnehmen. So wird sie am Geburtstag der Schweiz tatsächlich vom Rütli aus zu den Fernsehzuschauern im ganzen Land sprechen. Die Aufzeichnung erfolgt frühzeitig im Sommer, denn die Produktion der Rede – in drei Landessprachen – ist aufwändig. Sprecher Jeannerat bestätigt, so sei es seit längerem mit der SRG vereinbart.
Wer nun meint, das sei des Rätsels Lösung und ein schlauer Trick, der irrt aber. Calmy-Rey will sich nämlich am Nationalfeiertag nicht mit einer virtuellen Rütli-Präsenz zufrieden geben. «Sie wird am 1. August auch physisch auf dem Rütli präsent sein», kündigt Sprecher Jeannerat an.
KOMMENTAR
Armes Rütli
Von Thomas Bolli
Es ist nicht so, dass im vergangenen Jahr die Rütlifeier in wüsten Ausschreitungen geendet hätte. Und es ist nicht so, dass die Kosten für den aufwändigen Polizeieinsatz die Innerschweizer Kantone zum Verlumpen gebracht haben. Hätte die Politik gewollt, hätte sie auch dieses Jahr eine ruhige Feier auf dem Rütli hingekriegt.
Handkehrum ist es nicht lustig, am 1. August auf der freien Wiese am See polizeilich streng überwacht zu feiern. Es ist auch nicht angenehm für die Kantone rund um den Vierwaldstättersee, den nationalen Aufmarsch der Rechtsextremen finanziell alleine bewältigen zu müssen. Hier lag der Ausgangspunkt für den Streit um die Rütlifeier 2007.
Doch um solche Dinge geht es längst nicht mehr. Es geht um Symbole und parteipolitische Interessen. Dabei erstaunt es, dass der Streit ums Rütli so ausdauernd geführt wird. Denn die Schweiz kennt zwar Symbole und Mythen, doch sie pflegt sie still und unaufgeregt. Zudem neigt die nüchtern-föderale Schweiz nicht zum Pathos, sich selber mit einer Grossfeier zu inszenieren. Als sie 1993 den 1. August zum nationalen Feiertag erhob, geschah dies vor allem wegen des arbeitsfreien Tags, den man sich neu landesweit in die Agenda einschreiben konnte.
Die politischen Parteien jedoch packen jede Gelegenheit, um Symbole zu besetzen, damit sie sie nicht an ihre Gegner verlieren. Das mag im Falle des Rütlis medial unterhaltsam sein. Es mag auch dazu dienen, dass die Schweizerinnen und Schweizer die unterschiedlichen politischen Konzepte, wie sie etwa Micheline Calmy-Rey und Christoph Blocher vertreten, eins zu eins erleben. Aber es ist und bleibt beschämend, dass das Land ob dieser Streitereien eine Feier streicht, an der zwei engagierte Frauen hätten zusammen auftreten können. Das zeugt nicht von guter politischer Kultur.