NZZ am Sonntag: Die russische Botschaft in Bern wirft den höchsten Richtern vor, sie tolerierten Rassismus und wendeten das Schweizer Recht selektiv an.
Die Einmischung in innere Angelegenheiten kommt in Russland normalerweise nicht gut an. Dies hindert die russische Botschaft in Bern indes nicht daran, in unüblich scharfen Worten die Schweizer Justiz zu kritisieren. Sie hat auf ihrer Website eine Stellungnahme veröffentlicht, in welcher sie dem Bundesgericht vorwirft, Nazi-Ideologie zu tolerieren und die helvetische Rassismusstrafnorm lediglich selektiv anzuwenden.
Die Kritik betrifft das Urteil, mit dem die höchsten Richter kürzlich einen Rechtsextremen vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freigesprochen haben. Der Mann hatte 2010 während einer Veranstaltung der Partei national orientierter Schweizer auf dem Rütli seine Hand zum Hitlergruss erhoben, worauf ihn die Urner Justiz wegen Verletzung der Rassismusstrafnorm verurteilte. Die Bundesrichter hoben dieses Urteil im April wieder auf, mit der Begründung, der Mann habe nur seine persönliche Gesinnung bekundet, nicht aber rassistisches Gedankengut verbreitet und beworben.
Russland kritisiert dieses Urteil nun als Nachgeben gegenüber dem neonazistischem Gedankengut. Es handle sich, schreibt die Botschaft, um eine «Legalisierung der Verwendung rassistischer Symbolik» und um eine «selektive Anwendung der existierenden antirassistischen Gesetzgebung unter einem passenden Vorwand des Schutzes des Rechts auf freie Meinungsäusserung». Damit gerate auch die Arbeit des Nürnberger Tribunals in Vergessenheit, das die Nazi-Ideologie und die in ihrem Namen begangenen Verbrechen verurteilt habe. Russland, heisst es weiter, verurteile die Straflosigkeit neonazistischer Erscheinungsformen «aufs Schärfste» und halte diese für «unannehmbar».
Auf Nachfrage begründete der erste Sekretär der Botschaft, Maxim Turilow, die Reaktion auch mit den leidvollen Erfahrungen Russlands im Kampf gegen das Hitler-Regime. Er erinnerte ferner daran, dass mit Israel bereits ein anderes Land das Urteil kritisiert habe. Der Bund wollte sich derweil zur Kritik Russlands nicht äussern. Man kommentiere die Websites ausländischer Botschaften grundsätzlich nicht, lautete die lapidare Antwort des Departements für auswärtige Angelegenheiten.
Alexander Golovin
Der russische Botschafter in Bern kritisiert das höchste Schweizer Gericht, weil es den Hitlergruss toleriert hat.