Tages-Anzeiger vom 08.05.2012
Der neue Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) liegt vor. Verteidigungsminister Ueli Maurer will den Dienst «fit machen» für die wachsenden Anforderungen.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) soll mehr Möglichkeiten für die präventive Überwachung erhalten. «Wie weit wir gehen werden, ist noch nicht klar», sagte Maurer am Dienstag bei der Präsentation des nachrichtendienstlichen Lageberichtes vor den Medien in Bern. Es handle sich um eine politische Gratwanderung.
Fest steht laut Maurer, dass der Nachrichtendienst auch künftig nicht in eigener Kompetenz Telefone und Computer anzapfen oder Hotelzimmer verwanzen darf. Er werde dafür im Einzelfall die Bewilligung einer Behörde einholen müssen, versicherte Maurer.
Varianten dazu sind derzeit in der Ämterkonsultation, im Sommer will Maurer den Gesetzesentwurf vorlegen. Die letzten Pläne hatte das Parlament zurückgewiesen, weil ihm der geplante «Lauschangriff» zu weit ging.
Neonazis nicht mehr fichiert
Bei der Fichierung ist der Nachrichtendienst nach eigenen Angaben zurückhaltender geworden, nachdem ihn die parlamentarische Aufsicht wegen des unrechtmässigen Sammelns von Daten gerügt hatte. «Der NDB bearbeitet Neonazis, Holocaustleugner, Rassisten oder Bezüger von Propagandamaterial grundsätzlich nicht mehr», heisst es im Lagebericht 2012.
Heute würden nur noch «staatsschutzrelevante» Daten gesammelt, sagte Maurer. «Wir betreiben keine Gesinnungsschnüffelei.» Beobachtet werden demnach nur Personen, die zu Gewalt aufgerufen haben oder bekannte Exponenten einer Organisation sind, die auf einer Beobachtungsliste steht.
Laut Maurer hat der Nachrichtendienst in den vergangenen zwei Jahren zwei Drittel seiner Daten gelöscht. Die Aufarbeitung der Pendenzen schreite planmässig voran, derzeit müssten noch 16’000 Einträge überprüft werden. Vor zwei Jahren waren es 114’000. Bis Ende Jahr sollen die Pendenzen abgebaut sein.
Weniger extremistische Ereignisse
In seiner allgemeinen Lageanalyse kommt der Nachrichtendienst zum Schluss, dass sich die Gefahren in Grenzen halten: «Eine dominierende, direkte Bedrohung gegen die Sicherheit der Schweiz ist derzeit nicht auszumachen», sagte NDB-Chef Markus Seiler. Weder der Links- noch der Rechtsextremismus seien «staatsgefährdend».
Die Zahl der extremistischen Ereignisse hat im vergangenen Jahr leicht abgenommen. Insgesamt zählte der NDB 244 linksextreme Ereignisse, davon 113 gewaltsame (Vorjahr: 254 und 109). Rechtsextreme Ereignisse wurden dem NDB 51 bekannt, davon 18 gewalttätige (Vorjahr 55 und 13). Zu den «Gewalttaten» werden sowohl Briefbombenanschläge als auch beschädigte Fassaden gezählt.
Zurzeit trete beinahe ausschliesslich der Linksextremismus gewalttätig in Erscheinung, heisst es im Bericht. Eine mögliche Erklärung für den Rückgang rechtsextrem motivierter Gewalttaten sieht der NDB in den Bestrebungen von Teilen der Szene, sich in politische Ämter wählen zu lassen.
Migration wegen arabischem Frühling
Der Lagebericht 2012 widmet sich auch der EU-Schuldenkrise sowie dem arabischen Frühling und möglichen Folgen. In den nächsten Jahren sei generell mit anhaltend hoher Migration aus den arabischen Staaten zu rechnen, schreibt der NDB.
Nicht gefährdet sieht er die Energieversorgung: Nur eine anhaltende Destabilisierung Saudi-Arabiens würde sich negativ auf die Versorgung der Schweiz auswirken, heisst es. Allerdings könnte der Erdölpreis auf ein Niveau steigen, das die Schweizer Wirtschaft stark belasten würde. Beim Erdgas streicht der NDB die Abhängigkeit von Russland hervor.
Jihadisten aus der Schweiz
Zum Terrorismus hält der NDB fest, dass ihm mehrere Personen mit früherem Wohnsitz in der Schweiz bekannt seien, die sich in Somalia, Afghanistan oder Pakistan aufhielten, um zu kämpfen. Erstmals gebe es auch Indizien dafür, dass solche Personen in die Schweiz zurückkehrten, sagte Seiler. Ferner beobachtet der NDB in sozialen Netzwerken wie Facebook in der Schweiz Personen, die «deutlich eine islamistische Weltanschauung haben».
Sorgen bereiten dem Nachrichtendienst nach wie vor Cyberangriffe. Die zunehmende Vernetzung ermögliche es selbst rein finanziell motivierten Kriminellen, eine staatsgefährdende oder schädigende Aktion durchzuführen, heisst es im Bericht. Es sei absehbar, dass auch Staaten und deren Nachrichtendienste vermehrt auf die Möglichkeiten von Cyberangriffen zurückgreifen würden. Laut Seiler zeichnet sich zudem eine Vermischung von privaten und staatlichen Akteuren ab.