Ruhe und Regen auf dem Rütli

TagesAnzeiger

Ruhe und Regen auf dem Rütli

Ein Grosseinsatz der Polizei hielt die Rechtsextremen von der 1.-August-Feier auf dem Rütli fern. In Lenzburg versuchten 200 von ihnen, die Rede von Bundesrat Schmid zu stören.

Von Philipp Mäder, Rütli

Ein erster Spähtrupp der Rechtsextremen kam um 10.06 Uhr mit dem Zug in Brunnen an und testete das Sicherheitsdispositiv der Polizei. Die vier jungen Männer – mit Sonnenbrille und Schweizerkreuz-Shirt ausgerüstet – mussten schnell einsehen, dass kein Durchkommen war: Die Polizisten überprüften ihre Personalien, wiesen sie aus Brunnen weg und geleiteten sie zum Perron. Falls sie nochmals auftauchten, teilte die Polizei den Männern auf einem Zettel mit, drohe ihnen eine Strafanzeige. Die Nachricht verbreitete sich rasch. Am Handy informierte ein Glatzköpfiger seine Kollegen: «Ich glaube nicht, dass wir gross was anfangen können.»

Wie viele Polizisten insgesamt zum Einsatz kamen, wollten die Verantwortlichen nicht sagen. Allein am Bahnhof Brunnen standen aber rund hundert Polizistinnen und Polizisten aus mehreren Deutschschweizer Kantonen im Einsatz. Weitere errichteten an den Zufahrten Strassensperren. Und an einer zentralen Kontrollstelle mussten alle, die an die 1.-August-Feier aufs Rütli wollten, noch einmal ihr Ticket fürs Rütli und einen Ausweis vorzeigen. Die Polizei verfügte gegen 120 Personen Wegweisungen. 40 von ihnen nahm sie fest, weil sie sich der Wegweisung widersetzten.

Schmid erneut Ziel der Rechten

Letztes Jahr waren es noch rund 700 Rechtsextreme gewesen, die aufs Rütli pilgerten und dort die Rede von Bundesrat Samuel Schmid massiv störten. Schmid war auch dieses Jahr Ziel der Rechten: 150 bis 200 von ihnen versuchten gestern, seine 1.-August-Rede in Lenzburg zu stören – ohne Erfolg. Die Polizei verhinderte, dass sie auf den Burghügel gelangen konnten, nahm aber niemanden fest. Schmid sagte, jede Form von Extremismus sei «unschweizerisch» und entspreche «nicht unserer politischen Kultur».

Auf dem Rütli hingegen konnte Markus Rauh, ehemaliger Verwaltungsratspräsident der Swisscom, seine Rede ungestört halten. Und dies, obwohl er die geplanten Verschärfungen im Asylgesetz kritisierte und einen Beitritt der Schweiz zur EU forderte (siehe Kasten). Beides löste lediglich ein leises Murren bei dem Grüppchen Rechtsgesinnter aus, die es trotz aller Kontrollen aufs Rütli geschafft hatten. Nur der Regen, der während Rauhs Rede einsetzte, sorgte für Unruhe im Publikum, weil alle Regenschutz oder -schirm hervorkramten.

Die Polizisten behielten auch auf dem Rütli das Publikum im Auge, verwiesen rund ein Dutzend Personen von der Wiese und fuhren sie mit dem Polizeiboot zurück über den See. Im Gegensatz zum Bahnhof Brunnen hielten sie sich aber im Hintergrund. Einem jungen Mann mit Glatze und schwarzen Kleidern verboten sie, oben auf die Wiese zu stehen, wo letztes Jahr die Rechtsextremen mit dem so genannten Kühnengruss und Schmährufen die Rede von Bundesrat Schmid störten. Zwei Bündner, die beim Absingen der Nationalhymne mit der einen Hand eine Schweizerfahne in die Höhe reckten und mit der anderen Hand den Rütlischwur formten, liess die Polizei gewähren.

Judith Stamm, die als Präsidentin der Gemeinnützigen Gesellschaft für den Anlass verantwortlich ist, zeigte sich zufrieden, dass es dieses Jahr wieder eine «würdige und ungestörte Feier» gab. Obschon weniger Leute aufs Rütli kamen: Waren es letztes Jahr rund 2000 Personen, so ging die Kantonspolizei Uri dieses Jahr von 1200 Personen aus – nachdem sie diese von Stamm genannte Zahl zunächst nicht bestätigen wollte. Tatsächlich dürften es deutlich weniger gewesen sein.

Kritik am Polizeiaufwand

Der grosse Aufwand – der Polizeieinsatz kostete rund 1 Million Franken – habe sich gelohnt, sagte Stamm. Mehrere Zaungäste aus Brunnen fanden den Polizeiaufmarsch hingegen völlig unverhältnismässig. Dieser schade dem Image von Brunnen und sei schlecht für das Geschäft.

Auch manche Besucher der Bundesfeier waren nicht glücklich über die vielen Polizisten. Anders wäre es aber kaum möglich gewesen, Bilder wie aus dem Jahr zuvor zu verhindern, meinten sie. Und hätte man die Feier ganz ausfallen lassen, wäre dies einer Kapitulation vor den Rechten gleichgekommen.

Zur Frage, wie der 1. August auf dem Rütli in Zukunft aussehen werde, wollte Stamm nichts sagen. Sie hoffe aber, dass in Zukunft nicht mehr ein so grosser Polizeiaufwand nötig sei.

In Brunnen gab es für Rechtsradikale kein Durchkommen.

BILDER SOPHIE STIEGER

Auf dem Rütli verlief die Nationalfeier erstmals seit Jahren wieder friedlich.

Rauh fordert neue AKW und den Beitritt zur EU

Ex-Swisscom-Präsident Markus Rauh ruft dazu auf, Unpopuläres an die Hand zu nehmen. Und er plädiert für ein Nein zum Asylgesetz.

Von Gaby Szöllösy

Die Wahl von Rütli-Redner Rauh passte nicht allen: Der ehemalige Wirtschaftsführer werde auf der mythischen Matte Abstimmungspropaganda betreiben und damit viele Leute provozieren, argwöhnten die SVP-Nationalräte Hans Fehr und Walter Wobmann im Vorfeld.

Markus Rauh hat gestern keine Abstimmungsrede gehalten und die Rütli-Gemeinde nicht explizit aufgefordert, das revidierte Asylgesetz abzulehnen. Er sagte aber deutlich, was er von den Verschärfungen hält, und gab damit gleichwohl eine Abstimmungsempfehlung ab:

«Es ist keine Heldentat, auf die Schwächsten loszugehen und dabei unsere Bundesverfassung zu verletzen, menschenrechtswidrig zu handeln, von uns mitgestaltete und ratifizierte internationale Konventionen nicht einzuhalten – und erst noch Mehrkosten und mehr Kriminalität zu verursachen. Dieser Angriff auf eine nicht organisierte kleinste Minderheit ist ein Angriff auf unsere Demokratie und ein Bruch mit unseren humanitären Werten.»

Zwar sei er sich bewusst, dass es Missbräuche gebe; doch diese dürften nicht mit staatlicher Willkür bekämpft werden, mahnte der ehemalige Verwaltungsratspräsident der Swisscom. Dann richtete er den Blick in die etwas fernere Zukunft, wobei ihn drei Themen umtreiben:

Mehr Kinder: Die gesunkene Geburtenrate habe zur Folge, dass in 15 Jahren eine Viertelmillion Erwerbstätige fehlten. Rauh empfiehlt, den Frauen das Kinderkriegen mit familienfreundlichen (Teilzeit-)Arbeitsplätzen, erschwinglichen Krippen und hohen Kindergeldern zu erleichtern. Zudem sei die Lebensarbeitszeit zu verlängern.

Neue Atomkraftwerke: Der steigende Verbrauch fossiler Brennstoffe führt laut Rauh zu einem Umweltkollaps. Alternative Energiequellen könnten die fossilen Energieträger aber höchstens teilweise ersetzen. Er sieht daher nur eine Lösung: den Bau neuer Atomkraftwerke. Dieser sei konsequent an die Hand zu nehmen.

Der EU beitreten: Langfristig gehöre die Schweiz in die EU, findet Rauh. Das Land müsse den Mut haben, den Beitritt jetzt vorzubereiten, wo unsere Position noch einigermassen stark sei. Mit Zuwarten werde sich diese in einer immer grösseren EU nur verschlechtern.

KOMMENTAR

Ermutigendes Zeichen

Von Gaby Szöllösy

Die Glatzköpfe sind auch gestern wieder aufmarschiert: in Lenzburg, wo Bundesrat Samuel Schmid just gegen solche extremistischen Kräfte anredete. Der Aargauer Polizei ist es zu verdanken, dass er dabei nicht niedergejohlt wurde – so wie vor einem Jahr auf dem Rütli.

Dort, auf jener Wiese, die als Wiege der Eidgenossenschaft gilt, verlief die Feier heuer ruhig. Markus Rauh konnte unbehelligt sprechen. Nicht alle werden seine Meinung teilen, doch bewiesen die Besucher genügend Anstand, ihn ausreden zu lassen. Und verliehen damit dem Anlass jene Würde, die man sich von einer Nationalfeier erwünscht. Derweil sorgte ein starkes Polizeiaufgebot in und um Brunnen dafür, dass die allermeisten Springerstiefel gar nicht erst aufs Rütli schreiten konnten.

Die Abschirmung hat ihren Preis: Auf eine Million Franken schätzen die Organisatoren die Kosten für die reibungslose Durchführung und das aufwändige Ticketsystem – ein Vielfaches dessen, was die Rütli-Feier in vergangenen Jahren kostete. Ist sie das wert?

Die Antwort kann nur Ja lauten. Seit nunmehr zehn Jahren versuchen die rechten Irrlichter, den Ort für sich und ihr intolerantes Gedankengut zu vereinnahmen. Doch gerade die Schweiz, die auf engstem Raum Angehörige verschiedener Sprachen und Kulturen vereint, ist der Meinungsvielfalt und der Toleranz gegenüber anders Denkenden verpflichtet. Das Rütli muss offen bleiben für all die demokratisch gesinnten Schweizerinnen und Schweizer, die am 1. August an einem symbolträchtigen Ort über die Zukunft der Heimat nachdenken mögen.

Insofern ist die Abwehr der Kahlköpfe gestern ein ermutigendes Zeichen. Doch damit ist es nicht getan. Der Rechtsradikalismus ist auch bei uns kein Randgruppenphänomen mehr: Auf rund 1800 Personen schätzt das Bundesamt für Polizei diese Szene – Tendenz steigend. Um diese Tendenz zu brechen, muss die Schweiz zeigen, dass sie das forsche Auftreten der Skins nicht länger ignoriert, sondern ächtet. Ein Mittel dazu ist, das Tragen von Hakenkreuzen und faschistischen Symbolen zu verbieten. Seit 2000 diskutiert man im Parlament darüber. Höchste Zeit, dass Justizminister Blocher eine Vorlage präsentiert, auch wenn seine SVP Bedenken anmeldet.