Spätestens Ende August war sie wieder präsent; die hetzerische und rassistische Wahlkampagne der SVP war mit ihren zahlreichen Plakaten nicht zu übersehen. «Masseneinwanderung stoppen» – ein Slogan, welcher die Ideologie der Partei klar aufs Papier bringt und Wählerstimmen einbringen sollte.
Vier Jahre nach den Ausschreitungen anlässlich des SVP-Aufmarsches in der Hauptstadt mobilisierte die Partei am 10. September erneut nach Bern. Die traurige Bilanz dieses Tages: eine mit rund 1000 Polizisten hermetisch abgeriegelte Innenstadt, Verhaftungen und Perimeterverbote für Personen, welche sich zum Teil kritisch äussern wollten, zum Teil jedoch auch als Unbeteiligte lediglich «zu nahe» an die Veranstaltung kamen.
Für ähnlich viel Furore sorgten die Schweizer Demokraten (SD) mit einem ihrer Kandidaten. Während des Wahlkampfs tauchte eine Fotografie auf, die Jonas Schneeberger, den Arm zum Hitlergruss erhoben, in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald zeigt. Diese offensichtliche Verherrlichung des Nationalsozialismus diskreditierte den damals 28-Jährigen, die SD distanzierte sich von ihrem Wahlkandidaten. Die Fotografie hatte für Schneeberger jedoch kein juristisches Nachspiel; die Staatsanwaltschaft Erfurt stellte das Strafverfahren wegen Volksverhetzung ein, da die Tat nach deutschem Recht bereits verjährt sein könnte.
Trotz bisheriger Wahlniederlagen kandidierte die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) in den Kantonen Bern (Dominic Lüthard, Denise Friederich, Raphael Würgler, Roger Wagner, Rico Burger, Roger Gehrig und Marcel Sägesser) und Waadt (Philippe Brennenstuhl) für den Nationalrat. Das Ergebnis fiel erwartungsgemäss aus; die Berner Kandidaten erreichten gerade mal 0,3 Prozent, Philippe Brennenstuhl konnte 2700 Stimmen für sich gewinnen.
Auch im Kanton Zürich wurde 2011 wieder gewählt. Die Schweizer Demokraten kandidierten mit dem bekannten Neonazi und langjährigen Busenkumpel von Jonas Schneeberger, Manuel Walker, auf den ersten beiden Listenplätzen für die Kantonsratswahlen.
Bürgerwehr als praktikable Massnahme
Dass die Misserfolge der Rechtsextremen bei den Wahlen keinesfalls als Zeichen einer antirassistischen Grundhaltung in der Schweiz gedeutet werden dürfen, zeigte sich deutlich, als der Bund erklärte, in Bettwil eine Asylunterkunft für 140 Menschen zu errichten. Eine ganze Gemeinde ging auf die Barrikaden, viele Bewohnerinnen und Bewohner zeigten ihr wahres Gesicht. Selbst als sich der Bund auf die Forderungen der Bevölkerung einliess und einen Kompromiss, 80 bis 100 Asylsuchende statt der ursprünglich geplanten 140, vorschlug, lehnte sich die Dorfbevölkerung bürgerwehrartig dagegen auf. Die PNOS lobte die Gemeinde in der Folge als gutes Beispiel in einer ihrer Medienmitteilungen und auch der Holocaustleugner Bernhard Schaub sprach den Bürgerinnen und Bürgern von Bettwil für ihren Kampf gegen das Asylzentrum am 8. Dezember öffentlich ein Lob aus.
Einer, der sich ganz alleine gegen die angebliche Islamisierung in seinem Land wehren wollte und damit Schlagzeilen machte, ist der Norweger Anders Behring Breivik. Am 22. Juli platzierte der damals 32-Jährige eine Autobombe in der Osloer Innenstadt, um anschliessend auf die Ferieninsel Utoya zu fahren, wo zu diesem Zeitpunkt ein Camp der sozial-demokratischen Jugendorganisation stattfand. Durch die Autobombe starben acht Menschen, auf der Insel jagte Breivik die anwesenden Jugendlichen und erschoss 69 weitere. Der Attentäter, der in Untersuchungshaft sitzt, stellte vor seiner Tat ein selbst verfasstes Manifest ins Internet, welches er auch an ausgewählte Personen und Organisationen schickte. Unter den AdressatInnen befanden sich auch mehrere Schweizer.
Der Nationalsozialistische Untergrund
Breivik ist nicht der einzige Rechtsextremist, der im letzten Jahr für traurige Schlagzeilen gesorgt hat. Am 4. November des letzten Jahres kam ans Licht, was viel zu lange unentdeckt blieb; die dreiköpfige Kerngruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) flog nach ihrem letzten Banküberfall noch am selben Tag auf. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen sich im Wohnmobil, welches ihnen als Versteck diente. Die dritte im Bunde, Beate Zschäpe, steckte kurzerhand die Wohnung, welche dem Trio als Unterschlupf diente, in Brand. Dies geschah wohl um Beweise zu vernichten. In den Trümmern der Wohnung und des Wohnmobils fand die Polizei unter anderem eine Bekenner-DVD und eine Pistole Typ Ceska. Bald darauf stand fest, dass von der Ceska gerade mal fünf Stück existieren und dass diese eine Pistole aus der Schweiz stammt.
Das Trio ermordete neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Ausserdem platzierten sie an diversen Orten selbst gebastelte Bomben.
Im Lauf der Ermittlungen stiessen Untersuchungsbehörden auf ein breites Netz aus UnterstützerInnen des Trios und nahmen auch in der Schweiz zwei Personen fest. Der Prozess gegen Zschäpe soll im Dezember 2012 beginnen.
Schweizer Nazis geben sich international
Auch die Schweizer Neonaziszene hat sich im vergangenen Jahr international betätigt, wenn auch spärlicher als auch schon. Philippe Eglin, ehemaliger Vorstand der PNOS-Sektion Basel, sprach gleich zweimal in Deutschland, wobei es ihm die Stadt Heilbronn besonders angetan zu haben scheint. So trat er zum einen an der 1.-Mai-Feier von örtlichen Neonazis auf, zum anderen hielt er eine Rede anlässlich der Gründungsfeier der Kameradschaft Heilbronn. Neben Eglin liessen es sich auch Bernhard Schaub und Jean-David Cattin nicht nehmen als Redner im Ausland aufzutreten. Cattin sprach bereits am 14. Mai an einer Kundgebung des Bloc Identitaire in Lyon. Schaub hielt am 19. November einen Vortrag an einer Veranstaltung in Dortmund, welche von ca. 50 Neonazis besucht wurde. Der bekannte Holocaustleugner machte im vergangenen Jahr jedoch vor allem auf nationaler Ebene von sich reden: Im Rahmen der Europäischen Aktion (EA), welche Schaub mitbegründet hat, rief er am 10. September zum «Europa Fest» in der Ostschweiz auf. Aufgrund von antifaschistischen Protesten musste die Veranstaltung nach Einsiedeln ausweichen, wo sie aber auch nicht willkommen war. Die EA verteilte ausserdem im Oktober Flugblätter am Rande der «Occupy Paradeplatz»-Kundgebung.
Die schwache Partei
Auch im Umfeld der PNOS hat sich im letzten Jahr einiges getan. Anfang März gab die Partei bekannt, dass neu Adrian Segessenmann im Vorstand vertreten sei. Fast auf den Tag genau ein Jahr später wurde Segessenmann zum Vizepräsidenten gewählt. Auf den ersten August gab Michael Vonäsch seinen sofortigen Rücktritt und gleichzeitig seinen Austritt aus der Partei. Seit Ende September erscheint das Magazin «Harus» als neue Parteizeitschrift und Nachfolgemedium des «Zeitgeist». Dass die PNOS trotz stetiger Beteuerungen, lediglich patriotisch, nicht aber rechtsextrem zu sein, keine Berührungsängste zu Neonazis kennt, zeigte sich an ihrem jährlichen Parteitag in Neukirch: Als Gastredner engagierten sie den bekannten deutschen Rechtsextremisten Axel Reitz.
Was sich in den letzten Jahren bereits abzeichnete, nahm auch 2011 weiter seinen Lauf. Die Partei schwächelt und als bisheriger Höhepunkt zogen sie sich sogar aus dem Langenthaler Stadtparlament zurück und gaben somit den einzigen Sitz auf, den sie zuvor über Jahre verteidigen konnten.
Die Schweizer Naziszene
Die restliche Neonaziszene der Schweiz verhielt sich wie in den Jahren zuvor verhältnismässig ruhig. Zwar gab es einige Anlässe, die aber jeweils nur wenige Besucher anzulocken vermochten. Im Juli beteiligten sich knapp 100 Rechtsextreme an der Kranzniederlegung in Sempach, welche mittlerweile losgelöst vom offiziellen Umzug stattfindet. Die Schlachtfeier ist nicht der einzige jährliche Anlass, welcher mit rückläufigen Teilnehmerzahlen zu kämpfen hat. Gingen letztes Jahr noch einige Anhänger der PNOS selbständig auf das Rütli um den Nationalfeiertag zu zelebrieren, so sparten sie sich den Weg 2011 gleich gänzlich.
Das selbe Schicksal ereilte den Waldstätterbund. Die einzige grössere Veranstaltung, welche die Gruppe im letzten Jahr plante, war ein zweitägiges Kultur-, und Erlebniswochenende. Die Veranstaltung war mit rund fünf(!) Teilnehmern extrem schlecht besucht. Der Besuch des Tellmuseums fiel ins Wasser, da dieses geschlossen hatte, zudem wurde die Gruppe am zweiten Tag von AntifaschistInnen beim Löwendenkmal vertrieben. Den bisherigen Stammtisch setzte der Waldstätterbund gleich ganz ab, um ihn mit «Festen, die unseren Werten entsprechen» zu ersetzen.
Wenige Verurteilungen
Auch juristisch blieb es 2011 einigermassen ruhig. Im Februar bestätigte das Bundesgericht das Urteil gegen Markus Martig wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm, begangen in seiner Rütli-Rede am 5. August 2007. Im März wurde der damalige Thurgauer Kantonalpräsident der Schweizer Demokraten, Willy Schmidhauser, ebenfalls wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm verurteilt. Er hetzte in der offiziellen Parteizeitschrift gegen Muslime. Trotz vieler unklarer Fälle in den letzten Jahren, entschloss sich der Ständerat im September, die Strafnorm nicht zu verschärfen und somit unter anderem einschlägige Symbole, wie z.B. das Hakenkreuz, nicht zu verbieten. Ein weiteres Urteil gegen die PNOS betraf die Nichteinhaltung behördlicher Auflagen an einer Kundgebung im Oktober 2010.
Abschliessend kann gesagt werden, dass die Tendenz der letzten Jahre weiter fortschreitet. Die Schweizer Neonaziszene verliert in ihren extremen Formen nach und nach an Bedeutung, während sich ihre ExponentInnen immer öfter in vermeintlich bürgerliche Parteiarbeit und Wertesysteme einzugliedern versuchen.