Wenn einem die erfolgreiche SVP vor der Sonne steht: Die rechtsextreme Szene in der Schweiz kam im vergangenen Jahr nicht vom Fleck. Und kämpfte mit hausgemachten Problemen.
Eigentlich hätten Schweizer Neonazis allen Grund zum Frohlocken, sofern sie sich die im Februar 2009 präsentierten Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms über Rechtsextremismus überhaupt zu Gemüte geführt haben: Rund 4 Prozent der Bevölkerung – primär Jugendliche und junge Erwachsene – vertreten eine antidemokratische, autoritäre und gewaltbereite Haltung. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung – bis tief in die Mitte der Gesellschaft – ist xenophob und rassistisch eingestellt: 50 Prozent haben Angst vor Fremden, 30 Prozent vor dem Islam, 20 Prozent sind antisemitisch. Der kontinuierliche und aufdringliche Rechtspopulismus der Schweizerischen Volkspartei (SVP) trägt Früchte. Längst nimmt die Partei mit ihren millionenschweren Kampagnen gegen «Überfremdung» und «Sozialschmarotzertum» europaweit eine Pionierrolle ein.
Bewegung im Stillstand
Und dennoch: Die rechtsextreme Szene kann aus dieser Atmosphäre der Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung kaum Profit schlagen. Im Gegenteil: Sie fristet ein Nischendasein und stagniert, allerdings auf hohem Niveau. Der harte Kern umfasst, so der Jahresbericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) für 2009, um die 1200 Exponentinnen und Exponenten, das Reservoir an Mitläufern um die 600 Personen – Zahlen, welche die Nachrichtendienstler seit Jahren herumreichen.
Das Treten an Ort hat vor allem zwei Gründe. Erstens dürften für viele patriotisch gesinnte Jugendliche die erfolg- und einflussreiche SVP und ihre umtriebige Jugendorganisation, die Junge SVP, die weitaus attraktivere Wahl sein. Zumal gewisse SVP-Parteigrössen keine Berührungsängste gegenüber Rechts kennen, wie drei Beispiele aus dem Jahr 2009 belegen: Der jurassische Nationalrat Dominique Baettig liess es sich im Oktober nicht nehmen, an der rechtsextremen «Convention Identitaire» im französischen Orange eine Rede zu halten. Der Zürcher SVP-Vordenker und -Nationalrat Christoph Mörgeli seinerseits zählte gestandene Rechtsextremisten – Michael Herrmann, Kassier der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS), und PNOS-Gründer Sacha Kunz – zu seinen rund 800 Facebook-Freunden, zumindest bis ihn die «Basler Zeitung» im November darauf aufmerksam machte. Und: Im Dezember vermeldete die islamfeindliche Bürgerbewegung «Pro Köln» den Beitritt des Aargauer SVP-Grossrats und -Fraktionspräsidenten Andreas Glarner, der bereits 2007 mit reisserischen Wahlplakaten wie «Aarau oder Ankara?» aufgefallen war.
Zweitens liegt es an der Heterogenität und gegenwärtigen Verfassung der Neonazi-Szene selbst: Die PNOS als wichtigste rechtsextremistische Kraft ist stark mit sich selbst beschäftigt. Um die beiden – teils miteinander konkurrierenden – Naziskin-Dachorganisationen «Schweizer Hammerskins (SHS)» und «Blood & Honour» ist es 2009 eher still geworden, nachdem sie ihren «Bruderstreit» in den Vorjahren auch schon mal mit Fäusten ausgetragen haben. Nebst den wenigen, über Jahre hinweg bestehenden Organisationen wie der Kameradschaft Morgenstern, war in den letzten Jahren eine Zunahme neuer regionaler Kameradschaften feststellbar, die aber mit wenigen Ausnahmen («Helvetische Jugend», «Waldstätterbund» oder «Frei Nationale Kameradschaft Schweiz-Germania») oft rasch wieder von der Bildfläche verschwinden. Und: Der Kreis der Holocaust-Leugner ist in den letzten Jahren merklich geschrumpft.
PNOS: mit angezogener Handbremse unterwegs
Die politisch ambitionierte PNOS hat eine ihrer turbulentesten Zeiten seit der Parteigründung im September 2000 hinter sich: Gerichtsprozesse, Rücktritte von Exponenten (teils nur ins zweite Glied), Knatsch in den eigenen Reihen sowie eine in letzter Minute abgeblasene Sektionsgründung haben der Partei zugesetzt. Die PNOS ist heute weit davon entfernt, ihren ehrgeizigen Anspruch als salonfähige und ernstzunehmende Polit-Kraft einlösen zu können. Dennoch: Zumindest in der Neonazi-Szene diesseits des Röstigrabens spielen die «Eidgenössischen Sozialisten» noch immer – und vielleicht stärker denn je – die erste Geige.
Die PNOS konnte 2009 ihre Strategie, sich in möglichst vielen Regionen auszubreiten und zu etablieren, nur zum Teil weiterverfolgen. Dabei begann das Jahr für die PNOS verheissungsvoll, gelang es ihr doch, sich endlich in ihrer Ursprungsregion formell festzusetzen: Am 17. Januar wurde in Gelterkinden die Sektion Basel-Stadt/Basel-Land aus der Taufe gehoben. Schlag auf Schlag ging es im Herbst: Am 1. November vermeldete die PNOS die Gründung der Sektion Schwyz – eine eigentliche Reorganisation, erfolgte doch gleichzeitig die Auflösung der Ortsgruppe Küssnacht am Rigi. Am 12. November schaltete sie ein Infoportal für den Kanton Aargau auf, die Vorstufe zur Sektionsgründung.
Dünne Personaldecke – schillernde Figuren
Eine Vielzahl von internen Ereignissen dürfte der PNOS einiges Bauchweh bereitet haben: Die fleissige PNOS-Sektion Berner Oberland erlebte 2009 einen veritablen Aderlass auf Vorstandsebene. Anfang Mai trat der Vorsitzende Jordi de Kroon per sofort und «aus persönlichen Gründen» zurück, Mitte Juni tat es ihm der stellvertretende Vorsitzende Mario Friso gleich, auch er «mit sofortiger Wirkung». Nachgerückt sind zwei politisch völlig unbedarfte PNOS-Leute: Marco Gaggioli und Marcel Gafner. Der bislang äusserst aktive Neonazi Friso, der im Sommer 2009 enorm im Rampenlicht stand und deswegen seine Stelle als Koch verlor, stellte wenig später auch den Betrieb seines Aktionsportals «Nationaler Beobachter Berner Oberland» ein. Andererseits tauchte kurz darauf der neue Online-Versandhandel «Holy War Records» auf. Ebenfalls im Juni berichtete der «Walliser Bote», dass die PNOS entgegen ihrer Ankündigung im Wallis keine Sektion gründen würde. Als Präsident wäre der «Blood and Honour»-Mann Jonathan Leiggener vorgesehen gewesen.
Anfang Oktober trat zudem der Kopf der PNOS-Sektion Emmental, der Hammerskin Markus Martig, «wegen Differenzen» aus der Partei aus. Ein Abgang, der die Partei doppelt schmerzte: Martig war Mitglied des Bundesvorstandes gewesen und hatte auch als Mediensprecher fungiert. Auch der einzige PNOS-Parlamentarier, Timotheus Winzenried, trat am 15. November – nach nur einem Amtsjahr – aus dem Langenthaler Stadtrat zurück. Zugleich verliess der als Hoffnungsträger gefeierte Winzenried auch die Partei. «Wir waren noch nie so stark wie jetzt», liess sich der regionale PNOS-Chef Dominic Lüthard darauf in der «Berner Zeitung» zitieren. Trotzdem musste nochmals Tobias Hirschi ran, der zuvor als Mitglied der Langenthaler Legislative keine grossen Stricke zerrissen hatte. Doch damit nicht genug: Ende Dezember musste sich die PNOS von ihrem eigenen Kandidaten fürs Gemeindepräsidium in Langnau am Albis distanzieren. Georg Jaggi hatte keinen Hehl aus seiner völkischen Gesinnung gemacht: «Ich möchte die germanische Rasse vertreten.»
Gerichtstermine sind fester Bestandteil der PNOS-Agenda. Das war 2009 nicht anders. Am 28. Januar verurteilte das Bezirksgericht Aarau die fünf aktiven oder ehemaligen PNOS-Exponentinnen und -exponenten Denise Friederich, André Gauch, Michael Haldimann, Adrian Spring und Dominic Bannholzer zu Geldstrafen: Das frühere Parteiprogramm der PNOS – eine Kopie des 25-Punkte-Programms der NSDAP – hatte gegen die Rassismus-Strafnorm verstossen. Am 18. März befand das Bezirksgericht Brig Jonathan Leiggener und 17 weitere Neonazis der Rassendiskriminierung für schuldig. Sie hatten am 17. September 2005 in Gamsen das von 400 Rechtsextremen besuchte «ISD-Memorial» (ISD sind die Initialen des 1993 verstorbenen «Screwdriver»-Sängers Ian Stuart Donaldson) organisiert, an dem unter anderem die Zürcher Rechtsrock-Band «Amok» aufgetreten war. Das Schweizer Fernsehen hatte das Konzert mit versteckter Kamera dokumentiert. Drei der Organisatoren erhielten bedingte Freiheitsstrafen, die anderen 15 bedingte Geldstrafen.
Mehr Glück hatte Dominic Lüthard, der im Oktober 2008 die damalige Miss Schweiz Whitney Toyloy als «Geschwür» bezeichnete hatte. Das Amtsgericht Aarwangen-Wangen sprach ihn am 1. April vom Vorwurf der Rassendiskriminierung frei – ein schlechter Scherz. Mächtig Ärger eingehandelt hat sich der damalige Präsident der Basler PNOS-Sektion, Philippe Eglin. Er bezeichnete im Juni das Tagebuch der Anne Frank als «geschichtliche Lüge», die zur «Holocaust-Indoktrination» von Kindern diene. Die Basler Staatsanwaltschaft erhob Anklage, auch verlor Eglin seine Stelle als Logistiker bei Novartis. Und: Am 16. September verurteilte das Landgericht Uri Markus Martig wegen Rassendiskriminierung und Holocaust-Leugnung zu einer bedingten Geldstrafe sowie zu einer Busse. Martig hatte als Redner an der PNOS-Feier am 5. August 2007 auf dem Rütli unter anderem behauptet, die Rassismus-Strafnorm sei installiert worden, «um eine geschichtliche Lüge zu stützen».
Kleiner Coup am 8. März
Trotz aller Unbill: Die PNOS gab innerhalb der Neonazi-Szene auch 2009 den Takt an. So bestimmte sie die Agenda der Aufmärsche. Für den 8. März rief die PNOS zu einer Demonstration «Für Meinungsfreiheit – Antirassismusgesetz abschaffen!» in Burgdorf auf. Die Antifa kündigte Proteste an, die Behörden erlaubten der PNOS deshalb nur eine Kundgebung auf einem abgelegenen Parkplatz. Die Neonazis verlegten ihre Aktion kurzfristig nach Bern und schlugen so der Antifa und der Polizei ein Schnippchen. Die 150 Rechtsextremen mussten ihre Kundgebung auf dem Berner Bundesplatz allerdings im Schnellzugstempo durchziehen. Auch bei den längst zum Ritual gewordenen Auftritten an der Schlachtfeier in Sempach (27. Juni) und zum 1. August (Nationalfeiertag) übernahm die PNOS den inhaltlichen und organisatorischen Lead. In Sempach beteiligten sich gut 200 Neonazis am Marsch zum Schlachtgelände, auch rund 100 Antifas markierten in Sempach Präsenz. Rund 180 Personen folgten am 2. August einem Aufruf der PNOS zu einem «Nationalfeiertag der eidgenössischen Jugend». Als Redner traten Dani Herger, Exponent des «Waldstätterbund», der Westschweizer Holocaust-Leugner Philippe Brennenstuhl sowie Philippe Eglin auf.
Die PNOS lud 2009 regelmässig zu (Bildungs-)Veranstaltungen mit rechtsextremen Intellektuellen. Am 8. Februar sprach in Langenthal Bernd Rabehl, einst Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), heute der extremen Rechten zugeneigt. Rabehl votierte in seiner Rede für die Querfront. Mit dem Hamburger Reinhold Oberlercher referierte am 26. Juli in Langenthal ein weiterer ehemaliger 68er, der sich selbst als «Nationalmarxist» bezeichnet. Sein Thema: «die Notwendigkeit einer nationalen und sozialen Revolution». Am 15. August feierte die PNOS Berner Oberland ihr dreijähriges Bestehen. Neben der deutschen Rechtsrock-Band «Act of Violence» trat unter anderem ein «völkisches Urgestein» aus dem Kanton Bern als Referent auf, der in Gesetzen wie der Rassismus-Strafnorm «die Grundlage für die biologische und kulturellen Vernichtung Europas» sieht. Der Wiener Revisionist und Publizist Walter Marinovic bestritt den Hauptprogrammpunkt des PNOS-Parteitags am 8. November in Langenthal und hielt eine Lobrede auf den Dramatiker Friedrich Schiller.
Auch beim – inzwischen geschlossenen – Neonazi-Treffpunkt «RAC-Café» (RAC steht für «Rock against Communism») auf dem Areal der Langenthaler Porzellanfabrik zogen PNOS-Exponenten die Fäden: Benjamin Lingg, Stellvertretender Vorsitzender der PNOS-Sektion Willisau, und Dominic Lüthard. Das Lokal lockte im vergangenen Jahr viel rechtsextremes Party-Publikum aus dem In- und Ausland an – und mutierte zum Politikum: Die Nachbarschaft beklagte sich wiederholt über den nächtlichen Lärm.
Eidgenossen-Romantik und unverhohlener Rassismus
Eine ganze Reihe weiterer nationalistischer (Kleinst-)Cliquen, mehrheitlich der noch jungen Schweizer Kameradschaftsszene zuzuordnen, setzte sich 2009 auf unterschiedliche Weise in Szene. Ihr Aktionsradius beschränkte sich meist auf eine bestimmte Region, ihr Mobilisierungspotenzial hielt sich in Grenzen (30 bis 100 Teilnehmende). Mit einem «nationalen Abendspaziergang» am 23. Januar in Luzern protestierte ein bislang unbekannter «Nationaler Widerstand des Kantons Luzern» gegen die Schliessung des Gemeinschaftsraumes der Kameradschaft «Morgenstern», die in der Region Sempach aktiv ist. In letzter Minute vereitelt wurde hingegen eine «Kundgebung gegen Kinderschänder» am 13. Juni in Aarau. Hinter der Aktion steckte Marina Rechsteiner aus Wiedlisbach, die der «Frei Nationalen Kameradschaft Schweiz-Germania» nahesteht. Der im Mai 2008 gegründete «Waldstätterbund» um den Schwyzer PNOS-Exponenten Dani Herger veranstaltete am 11. September in Ennetmoos bei Stans eine «Gedenkfeier zum Franzosenüberfall von 1798». Am 14. November liess der Bund eine «Gedenkfeier zur Schlacht bei Morgarten» folgen, Fackelumzug inklusive.
Die rechtsextreme, im Oberaargau und ländlichen Luzern beheimatete «Helvetische Jugend» – das Kürzel HJ stand einst auch für die Hitler-Jugend – konnte ihr Aktionsfeld markant ausweiten. Seit dem 21. Juni 2009 verfügt die HJ über einen Ableger im Berner Oberland und betätigt sich mehr denn je als Jugend- und Vorfeldorganisation der PNOS. Der «Nationale Beobachter» definierte in einem Bericht zur Gründungsfeier die Rolle der HJ so: «Unser Nachwuchs im Berner Oberland wird von nun an hauptsächlich in die Kameradschaft der HJ Oberland integriert werden und politisch der örtlichen PNOS-Sektion angehören.» Gemeinsam mit der Mutterpartei führte die HJ am 14. November denn auch in Thun, Spiez und Einigen eine Flugblattaktion zur Minarett-Initiative durch.
In Genf sorgte im vergangenen Jahr die xeno- und islamophobe Gruppierung «Jeunesses Identitaires» um Jean-David Cattin mit teilweise ausgefallenen Aktionen für Aufsehen. Zwei Beispiele: Am 30. Mai befestigten Aktivisten ein Transparent mit der Aufschrift «Reprenez vos Clandestins» («Nehmt eure Illegalen zurück») ans Portal der algerischen Botschaft. Am 7. November wurde das Quartier Petit-Saconnex, Standort der Genfer Moschee, gegen 7 Uhr morgens aus einem fahrenden Auto mit einem Muezzin-Gebetsruf beschallt. Ebenfalls im November war die Moschee zweimal Ziel eines Anschlages – wer hinter den Attacken steht, ist bis heute unklar.
Wenig schwer verdauliche Musikkost
Arm an (Konzert-)Höhepunkten, nur ein neuer Tonträger: Das Jahr 2009 war kein guter Musikjahrgang für hiesige Neonazis. Hat die Schweiz ihr Image als Rechtsrock-Konzertparadies Europas definitiv abgestreift? Zumindest sind die Behörden wachsamer als auch schon, was die rechtsextreme Szene zur konspirativen Organisation ihrer Konzerte zwingt. Mit der Folge, dass die Teilnehmerzahl meist klein bleibt. Am 25. April veranstalteten die Schweizer Hammerskins (SHS) und ihr Unterstützungsnetzwerk «Crew 38» einen Rechtsrock-Event im Raum Zürich. Vor rund 250 Personen spielten die drei deutschen Bands Propaganda, Sturmtrupp und Radikahl. Am 31. Juli trafen sich rund 200 Neonazis zur Plattentaufe der Band «Indiziert» in Huttwil: «Das riecht nach Ärger» heisst das bereits vierte Album der Band um die beiden Burgdorfer Brüder Alex und Cédric Rohrbach. Insgesamt brachte es «Indiziert» 2009 nur auf zwei Auftritte. Im September gab die Band ein Konzert am «ISD-Memorial» im italienischen Verona. Am 8. August fand in einer Waldhütte in Männedorf zudem ein von rund 100 Rechtsextremen besuchtes Konzert mit drei deutschen Bands und einer Balladen-Sängerin statt.
Braune Klänge wurden 2009 auch ausserhalb der Neonazi-Szene geboten: Am 25. April traten im Zuger Kulturzentrum «Industrie 45» unter anderem die rechten Metal-Bands «Riger» und «Varg» aus Deutschland auf, die beide gerne mit NS-Symbolik kokettieren. Zumindest «Varg» wird dem «National Socialist Black Metal» (NSBM) zugerechnet. Nicht in die Schweiz einreisen durfte hingegen Marko Perkovic alias «Thompson». Der kroatische Ultranationalist und Rechtsextremist, der in seinem Liedgut auch die Ustascha-Faschisten verherrlicht, hätte am 3. Oktober in einem Dancing in Kriens ein Konzert geben sollen. Als Ersatz-Act trat der Kroate Ante Matic auf – und sang fast ausschliesslich «Thompson»-Lieder. Im Saal trugen mehrere Besucher einschlägige T-Shirts oder schwenkten faschistische kroatische Fahnen.
Geschichtsrevisionismus vor grossem Publikum
Die merklich geschrumpfte Szene der Negationisten und Holocaust-Leugner verbreitete ihre kruden Thesen im vergangenen Jahr nur punktuell. Eine Veranstaltung der völkisch-heidnischen Avalon-Gemeinschaft widmete sich am 28. März in Solothurn dem NSDAP-Führer-Stellvertreter Rudolf Hess. Als Referenten traten sein letzter Krankenpfleger, Abdallah Melaouhi, und der deutsche Revisionist Olaf Rose auf. Diese hätten die Ermordung von Hess durch die Engländer «meisterlich» aufgezeigt, resümierte der Westschweizer Holocaust-Leugner Gaston Armand Amaudruz in seinem Heft «Courrier du Continent».
Neben Philippe Brennenstuhl – am PNOS-Aufmarsch auf dem Rütli (siehe oben) – hatte auch Bernhard Schaub 2009 einen medienwirksamen Auftritt: Der Holocaust-Leugner referierte am 31. Oktober am Kongress der Anti-Zensur-Koalition in St. Gallen. Vor fast 2000 Zuhörerinnen und Zuhörern verlangte er eine Revision der Geschichte und sprach beiläufig auch von «Negern». Im fernen Moskau meldete sich zudem der prominenteste Schweizer Justiz-Flüchtling, Jürgen Graf, zu Wort. Der Revisionist hielt am 15. April einen Vortrag an einer Privatuniversität, welche vom bekannten russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowski gegründet worden war.
Attacken, Provos, Prügeleien – in trauriger Regelmässigkeit
Die menschenverachtende Gesinnung der Neonazis gipfelt immer wieder in Übergriffen von teils erschreckender Brutalität, so auch im vergangenen Jahr: In den Nächten auf den 22. und 26. März zerstörten Rechtsextreme Fenster, Türen und den Tischfussballkasten des autonomen Kulturzentrums «LaKuZ» in Langenthal. Am 2. Mai griffen rund 15 Naziskins ein von Punks und linken Jugendlichen veranstaltetes «Antifaschistisches Bräteln» in Biglen an. Mit Baseballschlägern und Schlagringen ausgerüstet, lauerten sie beim Bahnhof den Abreisenden auf. Ein 16-Jähriger aus der linken Szene wurde spitalreif geschlagen. Am 6. Juni versuchte eine grössere Gruppe Rechtsextremer, den Umzug der schwullesbischen «Euro-Pride» in Zürich zu stören. Die Polizei nahm insgesamt 30 Störer fest, die unter anderem rechtsextreme Parolen skandierten.
Rechtsextreme prügelten sich am 8. Oktober am Jahrmarkt von Kaltbrunn mit anderen Festbesuchern. Traurige Bilanz: zwei Verletzte. Herbeieilende Polizisten wurden provoziert und übel beschimpft. Zwei Personen setzten sich bei ihrer Festnahme heftig zur Wehr. Unbekannte bewarfen am 1. November in Möriken eine Asylunterkunft mit Eiern und beschädigten eine Türe sowie eine Fernsehantenne. Auch sprayten sie «Tamil stirb», «Heil Hitler» und Hakenkreuze. Vor dem Areal des «Bar & Pub Festivals» in Tuggen lieferte sich eine Naziskin-Clique aus dem Glarnerland in der Nacht auf den 8. November eine wüste Keilerei mit weiteren Jugendlichen. Vier Personen mussten sich im Spital behandeln lassen. Und: In Saillon provozierte am 5. Dezember ein Naziskin in einer Disco die Umstehenden zunächst mit Nazisprüchen. Als ihn ein Schweizer kosovarischer Herkunft massregelte, stach er diesem mit einem Messer in den Hals. Das Opfer überlebte nur mit viel Glück. Später wurde bekannt, dass der Naziskin am selben Abend bereits einem Musiker zwei Zähne ausgeschlagen hatte.
Auch die Justiz bekommt es regelmässig mit Nazi-Schlägern zu tun. Drei exemplarische Fälle aus dem Jahr 2009: Das Glarner Kantonsgericht verurteilte am 21. Januar zwei Neonazis aus Hombrechtikon und Rüti – einer der Täter ist Schlagzeuger bei der Band «Amok» – wegen ihrer Beteiligung am Angriff auf eine Juso-Veranstaltung im Glarner Volksgarten vom Sommer 2007 zu Geldstrafen. Bei der Attacke hatte es Verletzte gegeben, unter ihnen auch Zivilpolizisten, die eingeschritten waren. Am 27. Januar mussten sich drei Naziskins, die einen Hörbehinderten spitalreif geschlagen hatten, vor dem Bezirksgericht Aarau verantworten. Die Rechtsextremen hatten das Opfer noch traktiert, als es bereit auf dem Boden gelegen hatte. Auch sie erhielten Geldstrafen. Glimpflich davon gekommen – mit bedingt ausgesprochenen Strafen und einem Freispruch – sind am 2. September hingegen sieben Neonazis, die zwischen Mai 2005 und Anfang 2007 bei diversen Veranstaltungen mehrere Personen teilweise erheblich verletzt hatten. Wegen der schlampigen Ermittlungsarbeit der Untersuchungsbehörden in drei Kantonen fehlten dem Baselbieter Strafgericht die griffigen Beweise.