Respekt vor Rechtsextremen
Der Basler Samuel Althof holt junge Neonazis aus der Szene
MARTINA RUTSCHMANN
Samuel Althof von der «Aktion Kinder des Holocaust» (AKdH) findet es falsch, dass am 1. August keine Rechtsextremen aufs Rütli dürfen.
Viele Menschen haben ein falsches Bild von Samuel Althof (50). Sie denken, der Basler Jude und Gründer der «Aktion Kinder des Holocaust» sei ein radikaler «Glatzen-Jäger». Ein Mann, dessen Mission darin bestehe, die «braune Brut» auszulöschen. Ein Extremist auf der Seite der Guten. Ist er nicht. Er verurteilt Extremismus – egal, ob dieser religiöse Hintergründe hat oder politische. Selber ist er weder religiös, noch möchte er sich politisch einordnen.
Was rechtsorientierte Leute angeht, so sagt er: «Wenn man das Problem bekämpfen will, muss man den Gegner respektieren.» Das tut er. Respektiert die Jugendlichen, die mit Hakenkreuz-Emblemen auf der Jacke herumlaufen und proleten, alle Schwarzen und Türken gehörten ausgeschafft. Althof redet mit ihnen. Dies mit dem Ziel, eine «Win-Win-Situation» zu schaffen. Was oft gelingt. Dann läuft es Samuel Althof kalt den Rücken runter. Wenn ein Jugendlicher ihm «Mein Kampf» in die Hand drückt und sagt: «Das brauche ich nicht mehr.»
INTERNETKONTAKT. Die «Aktion Kinder des Holocaust» besteht seit 15 Jahren. Samuel Althof hat sie mit anderen Nachkommen von Überlebenden des Zweiten Weltkrieges gegründet. Inzwischen ist aus der Basler «Aktion» ein Verein gegen Antisemitismus, Rassismus und politischen Extremismus geworden. Die Präventionsarbeit der AKdH wurde schon vom Staat unterstützt. Inzwischen ist der dafür vorgesehene Fonds aufgebraucht.
Die Polizei schätzt Althof und seine Mitarbeiter als wertvolle Fachleute. «Es kommt vor, dass wir uns für Auskünfte an den Verein wenden oder umgekehrt, Herr Althof uns auf Missstände aufmerksam macht», sagt André Auderset von der Basler Polizei.
Mittels «Internet-Streetworking» per Mail und Chat gehen Althof und drei ständige Mitarbeiter auf Jugendliche zu. Für Althof ist es ein Halbtagesjob. Zielgruppe sind «symptomatische» Neonazis. Jugendliche, denen es weniger um politische Inhalte geht als um ein Ventil für andere Probleme. «Mit diesen jungen Männern und vereinzelt Frauen spreche ich nicht über Politik, sondern über familiäre Probleme oder Sorgen beim Job», sagt Althof. Als ausgebildeter psychologischer Berater mit eigener Praxis weiss er, wo ansetzen. Das gilt nicht für «programmatische» Neonazis, die in ihrer Ideologie verankert sind. «Da ist es zu spät für Prävention», sagt Althof.
DESERTEUR. Samuel Althofs Eltern haben zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geheiratet. Neun Jahre später kam der kleine Samuel als zweites von drei Kindern zur Welt. Eine Schwester lebt heute in Israel. Althof war seit über dreissig Jahren nicht mehr dort. Seit er als 18-Jähriger von der israelischen Armee eingezogen wurde und anderthalb Jahre später desertierte. «Wegen meiner Geschichte und meinen eigenen Erfahrungen kann ich heute unterscheiden, was bedrohlich ist und was nicht», sagt er. Er kritisiert die Medien, die das Thema des Rechtsextremismus «unverhältnismässig» aufbauschen. Die im Vorfeld des morgigen 1. Augusts eine Okkupierung des Rütlis durch Neonazis proklamierten – und unterstützten, dass die «braune Brut» (Blick) mit der neu geschaffenen Identitätskontrolle von der Bundesfeier ausgeschlossen wird. Althof ist der Meinung, jeder habe das Recht, auf dem Rütli zu feiern: «Ich bin der Ansicht, man löst das Problem nicht, indem man es unterdrückt.» Er ist überzeugt, dass es zu «punktuellen Störungsversuchen» kommt, die befürchtete Stürmung des Rütlis durch Neonazis aber ausbleibt. «Was nicht heisst, dass das Problem gelöst ist – es wird einfach anderswo sichtbar werden.»
Althofs Nummer steht im Telefonbuch, seine Adresse nicht. Eine Vorsichtsmassnahme. «Es kommt vor, dass ich bedroht werde.» Angst mache ihm das nicht. «Ich habe nur manchmal ein mulmiges Gefühl.» Gegen seine Person gerichtete Hass-Mails von Neonazis überprüfe er nach deren «Qualität». «Nicht selten handelt es sich bei solchen Mails um pervertierte Versuche, Kontakt aufzunehmen», sagt er. Das tut er dann. Manchmal enden diese Beziehungen mit Geschenken – Althof hat schon viele Bücher mit nationalsozialistischem Inhalt weggeworfen. Und er wird nicht müde, es weiterhin zu tun.