NZZ Online: Die Schweizer Neonazi-Band «Mordkommando» spricht Drohungen gegen Schweizer und deutsche Politiker aus. Im Interview erklärt der Extremismusexperte Samuel Althof, wie damit umzugehen ist.
Die Schweizer Neonazi-Band namens «Mordkommando» hetzt in ihrem neuen Album gegen eine Reihe von Schweizer Prominente, unter anderem die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (sp.). Auch die deutsche Linken-Politikerin Katharina König erhält Morddrohungen. Das klingt dann ungefähr so: «Bald bist du endlich dran. Du wirst grausam sterben, das ist nicht die Frage. Vom Landtag auf die Bahre.» Detailliert wird besungen, wie der Vater der Politikerin mit einer Schalldämpfer-Waffe erschossen werden soll und sie selbst «tief im dunklen Wald», wo man Schreie nicht mehr höre.
Herr Althof, Sie sind Extremismusexperte. Sind solche Gewaltdrohungen in Liedertexten eine neue Qualität?
Nein, die Qualität ist nicht neu, wenn man sich die Geschichte anschaut. Das soll aber keineswegs beruhigend sein. Vor allem Rechtsextreme schaffen mit Wirkung ein Bedrohungsszenario, das man nicht widerspiegeln sollte. Sie schüchtern ein, evozieren und spielen Doppelbilder aus dem Nationalsozialismus, die wir in uns tragen.
Die Drohungen, die ausgestossen werden, sehen wir demnach im Kontext des Nationalsozialismus?
Genau. Und es ist wichtig, dass man das versteht. Mit der öffentlichen Spiegelung solcher Drohungen darf man die Wirkung des Rechtsextremismus nicht schüren.
«Man sollte den Rechtsextremismus in seiner tatsächlichen Grösse sehen; eine Disproportionalität ergäbe ein Zerrbild. Die Folge: Man sieht die reale Gefahr nicht mehr.»
Wie sollte man mit dieser Angstproblematik umgehen?
Die kriminelle Relevanz sollte nicht aus einer historischen Perspektive beurteilt werden. Vielmehr muss man verstehen, wie gefährlich diese Menschen in Realität sind. Dafür muss ihr Gewaltpotenzial abgeklärt und der Tatbestand eingegrenzt werden. Weiter muss geprüft werden, ob ein solcher Songtext die Strafnorm verletzt. Ist das pervertierte Kunst? Freie Meinungsäusserung? Das ist teilweise auch ein Abwägungskonflikt.
Wie schätzen Sie den aktuellen Fall ein?
Ich bin kein Jurist, aber ich schätze, dass zum Beispiel im Song «Bomben auf Wiedikon» zwar ein Bedrohungsszenario aufgebaut wird, es sich aber nicht um eine reale Drohung handelt. Wird man hingegen namentlich genannt, ist die Drohung direkter. Das muss man ernst nehmen, wenn auch die Tat wohl nicht von der Band selber vollzogen würde. Aber die Gefahr besteht, dass sich Nachahmer finden.
Ist der Rechtsextremismus extremer geworden?
Nein. Durch die mediale Berichterstattung der vergangenen Wochen bezüglich des Neonazi-Konzertes in Unterwasser und die Pnos-Feier in Rapperswil könnte aber der Eindruck entstehen. Auch SP-Nationalrat Cédric Wermuth verstärkt mit seinen politischen Forderungen nach einer stärkeren Beobachtung der rechtsextremen Szene diesen Eindruck. Doch man sollte den Rechtsextremismus in seiner tatsächlichen Grösse sehen; eine Disproportionalität ergäbe ein Zerrbild. Die Folge: Man sieht die reale Gefahr nicht mehr.
Wie real ist denn die Gefahr in der Schweiz?
In der Schweiz ist die Szene kleiner und schlechter vernetzt als in Deutschland, wo man davon ausgehen muss, dass es bewaffnete Rechtsextreme gibt, welche ihre Drohungen umsetzen würden. Stichwort NSU. Die Bedrohung hierzulande ist kleiner. Dennoch besteht die Gefahr, dass Dritte aufgehetzt werden und die Taten vollziehen könnten.
Inwiefern muss Rechts- und Linksextremismus unterschieden werden?
Das sind zwei Paar Schuhe. In Bezug auf die Gewalt sind Vergleiche dennoch möglich. So sehen die Linksextremen den Saat systematisch als Feind, die Rechtsextremen hingegen wollen den Staat übernehmen. Die Linksextremen haben eine Gewaltprogrammatik formuliert, die sogenannte Flugschrift Subversion (Mai 2010). Dort ist von einer Kampfzone die Rede, von revolutionären Räumen, dort wird Gewalt als Gegengewalt legitimiert.
«Die Gewaltprogrammatik der linksextremen Szene ist gefährlicher als die punktuelle Gewalt der rechtsextremen.»
Die Gewalt richtet sich in der Regel aber nicht gegen Personen.
Genau. In der Regel richtet sich linksextreme Gewalt gegen Objekte, was den Linksextremen zur Verharmlosung ihrer Gewalt dient. Bis zu einem bestimmten Punkt, ist das nachvollziehbar. Sieht man die linksextreme Gewalt aber in einer längerfristigen Perspektive, ändert sich das. Stellen Sie sich vor, die Linksextremen könnten mit Gewalt ihre Ideologie durchsetzen. Da wird einem gleich schwarz vor Augen. Auch solche Szenarien kennen wir aus der Geschichte.
Und was ist mit rechtsextremer Gewalt?
Die Rechtsextremen haben in der Schweiz keine formulierte Gewalt-Programmatik, ihre Gewalt ist punktuell, deshalb aber nicht weniger gefährlich. Wir erinnern uns an die «Arischen Ritter» von Unterseen im Kanton Bern, wo ein Rechtsextremist 2001 zusammen mit drei Komplizen einen 19-jährigen Kollegen bei der Ruine Weissenau mit einem Stahlrohr bestialisch erschlagen hatte. Anschliessend versenkten sie die Leiche im Thunersee.
Inwiefern beziehen sich die beiden Szenen aufeinander?
Sie sind nicht immer Teil voneinander, rechtfertigen ihre Existenz aber aufgrund der Existenz der jeweils anderen Szene. Es gibt die Rechtsextremen also nicht wegen der Linksextremen, oder umgekehrt.
In Sachen Radikalisierung geht von den Linksextremen laut dem Bund ein grösseres Gefahrenpotenzial aus als von den Rechtsextremen. Wie kommt das?
Der Bund bezieht sich bei Radikalisierung auf staatsgefährdende Gewalt, demnach ist die Gewaltprogrammatik der linksextremen Szene gefährlicher als die punktuelle Gewalt der Rechtsextremen. Die programmatische, also hierzulande linksextreme Gewalt kann an mehreren Orten gleichzeitig in Erscheinung treten. In Deutschland hingegen gibt es eine rechtsextreme Gewalt-Programmatik.
Wie definieren Sie Radikalisierung?
Radikalisierung ist ein Phänomen, bei dem sich jemand in ein ideologisches Gedankengebäude zurückzieht. Für diese Person ist dann nur noch das Eine wahr, diese Person ist kompromissunfähig. Das nennt man auch Dominanzorientierung. Im extremsten Fall, dem Terrorismus spricht man von Hyperradikalismus.
Welche Rolle spielt in Sachen Radikalisierung der Rechtsstaat?
Der Rechtsstaat definiert die Normen, gegen welche wir nicht verstossen dürfen. Was ein Verstoss ist und wie ein solcher gewichtet wird, das muss man dem Rechtsstaat überlassen. Leider machen viele Medien derzeit Stimmungspolitik, was dazu führt, dass man nicht mehr weiss, was eigentlich gilt.