Rechtsextreme. Wirre Glatzköpfe mit präzisen Feindbildern

BernerZeitung

Stefan von Bergen fragte Szenekenner Hans Stutz nach den Hintergründen des Aufruhrs von rechts

BZ: Herr Stutz, ist der aktuelle rechtsextreme Aufruhr mehr als nur eine Sommerloch-Geschichte der Medien?
Hans Stutz: Dass in den Medien ein Thema vier Wochen lang Schlagzeilen macht, ist in der Tat aussergewöhnlich. Rechtsextremismus ist keine Medienerfindung. Man hat das Problem bis jetzt in der Schweiz nicht wahrgenommen – oder nur ganz rudimentär, wenn etwas passiert ist, beispielsweise Angriffe.

Sind also die Rechtsextremen jüngst gefährlicher und organisierter geworden?
Organisierter ja. Es gibt ja nicht nur die Nazi-Skinheads, denen im Moment das ganze Medieninteresse gilt. Daneben gibt es noch drei weitere Tendenzen. Die Holocaust-Leugner haben einen aktiven Verein, sind im Internet präsent und veranstalten Anlässe mit bis zu 150 Leuten, unter denen sich Skinheads oder alte Mitglieder der Waffen-SS finden. Dann gibt es eine ideologische Strömung, in der Deutschschweiz ist das der Avalon-Zirkel, dem der Berner Roger Wüthrich vorsteht. Schliesslich gibt es politische Gruppen: Rechtsableger der Schweizer Demokraten wie die Nationale Partei der Schweiz (NPS) oder die welsche Union des Patriotes Suisses.

Erleben wir also eine eigentliche Formierung der Szene?
Das ist so. Und zwar seit etwa drei Jahren. Das stellt auch die Bundespolizei fest. Seit 1997 hat sich die Skinheadszene vergrössert und teilweise radikalisiert. Nazi-Skins waren aber immer schon gewaltbereit. Dort wo Skinhead-Zirkel existieren, gibt es auch Angriffe auf Linke, Leute mit anderer Hautfarbe oder Schwule. Seltener auf Juden, weil sie in den Städten leben. Die Glatzen-Szene ist aber vor allem in Kleinstädten und ländlichen Gebieten zu finden.

Warum ist das so?
Das führt zur Frage, warum es Skinheads überhaupt gibt. Nach meiner Einschätzung gibt es dafür drei Erklärungen. Die eine ist die ökonomische Entwicklung: Trotz Konjunktur sind gewisse Sektoren unter grossem Druck, etwa die Landwirtschaft und das ländliche Kleingewerbe. Konkurrenzgefühle gegen ausländische Arbeitskräfte entstehen dort unabhängig von der Konjunktur. Dann gibt es eine politisch-gesellschaftliche Erklärung: den Schweizer Überfremdungsdiskurs, der bis zur aktuellen 18-Prozent-Initiave als langfristige Ideologie andauert. Und drittens gibt es Brandstifter-Debatten, wie sie heute von der SVP und früher auch vom «Blick» lanciert wurden. Da werden bestimmte Teile der Bevölkerung – und ich zähle Asylbewerber zur Bevölkerung – stigmatisiert. In den achtziger Jahren waren die Tamilen das Feindbild, nun sind es vor allem Leute aus Ex-Jugoslawien. Die Zuwanderungsströme sind doch heute schwächer. Die Rechtsextremen hätten sich eigentlich während dem Kosovo-Krieg mehr ärgern müssen. Rechtsextremisten reagieren nicht bloss auf Tagesparolen. Und wie gesagt: Rechtsextremismus nährt sich aus gesellschaftlichen und ideologischen Entwicklungen mit langer Dauer.

Aber es muss doch einen aktuellen Funken ins Pulverfass gegeben haben?
Nein, den gibt es eben nicht. Das gibt es eigentlich nie in der rechtsextremistischen Szene.

Ist die Formierung in Gruppen ein Signal für straffe Strukturen mit führenden Köpfen?
Speziell die Skinheads nehme ich als subkulturelle Strömung wahr, die sich patriotisch gibt und rassistisches Gedankengut verwendet. In der Glatzen-Szene gibt es zwar Organisatoren. Aber es gibt keine hierarchisierten Strukturen.

Gibt es intellektuelle Vordenker, deren Gedankengut von den jungen Glatzköpfen auf der Strasse umgesetzt wird?
Es gibt natürlich Szenemitglieder, die rechtes Gedankengut – etwa aus Ulrich Schlüers «Schweizerzeit» oder Emil Rahms «Memopress» – weiterdenken. Es gibt auch Leute, die nationalsozialistische oder faschistische Autoren der Vorkriegszeit lesen. Aber die Szene folgt keiner bestimmten Person. Es gibt keinen rechten Mao. Rechte Denker liefern für die Extremen höchstens Vorlagen, nicht Gebrauchsanweisungen.

Exponenten der SVP gelten nicht als Vordenker?
Gewisse Aussagen werden sympathisierend wahrgenommen. Christoph Blocher etwa gilt in rechtsextremen Publikationen als Anwalt des Schweizer Volkes.

Gibt es in diesen Publikationen oft Lob für Blocher?
Das gibt es seit 10 Jahren immer wieder. Aber es gibt auch Debatten über Blocher. Einerseits wird gelobt, dass die Schweiz dank Blocher noch nicht in der EU sei, andererseits wird kritisiert, dass er nicht gegen die bilateralen Verträge angetreten sei, weil es ihm nur um sein Geld gehe. Auch dass er sich nicht gegen die Rassismus-Strafnorm gewehrt hat, haben ihm die Rechtsextremen nicht vergessen. Selbst wenn Blocher heute diese Strafnorm wieder abschaffen will.

Die Behauptung, die Radikaliserung der SVP unter Blocher bereite auch den Rechtsextremen das Feld, ist also falsch?
Die Rechtsextremen bewegen sich im grossen Schatten der SVP. Es gibt zwar zahlreiche Distanzierungen und Abgrenzungen. Nach meiner Einschätzung fühlen sich die Rechtsextremen aber durch die SVP getragen.

Dagegen würde sich die SVP verwahren.
Natürlich verwahrt sie sich dagegen. Aber die Distanzierungen der SVP sind unglaubhaft, solange sie nicht gegen fremdenfeindliche Exponenten in ihrer Partei vorgeht. Und auch solange die Partei Versatzstücke aus dem Fundus rechtsextremistischer Ideologien verbreitet.

Führen also verschiedene politische Faktoren zu einer Art Enthemmung, die die Rechtsextremen auftrumpfen lässt?
Von Enthemmung würde ich nicht unbedingt reden. Aber von einer Politik der Fremdenfeindlichkeit der SVP und der Schweizer Demokraten. Diese Politik benennt die Opfer. Sie stellt einen Teil der Bevölkerung aus als Aggressionszielscheibe. Diese Leute sind dann die potenziellen Opfer der Rechtsextremisten.

Könnten FDP und CVP den rechtsextremen Aufbruch beeinflussen, wenn sie sich von der SVP abgrenzen würden?
Sicher, vor allem dann, wenn sie die SVP aus der Landesregierung wie auch aus den Kantonsregierungen ausschliessen würden. Allerdings wäre es schwer nachvollziehbar, einerseits die SVP zu isolieren und andererseits weiterhin eine repressive Ausländerpolitik zu betreiben. Unser Ausländergesetz von 1931 ist voll von fremdenfeindlichen Unterstellungen, und die werden in der Praxis auch ausgelebt. Etwa von der Fremdenpolizei.

Die Einwanderung wird überhaupt gebremst, seit die EU etwas weiter östlich als früher eine neue Grenze durch Europa zieht. Das muss den Rechtsextremen gut passen.
Ja. Wobei Rechtsextremisten meist eine andere Vorstellung von Europa haben. Für sie hört Europa schon in Ljubliana auf. Europäer müssen für sie germanisch oder romanisch sein und in einer christlichen Tradition leben. Die Avalon-Gemeinschaft hält gar das Christentum für eine asiatische Religion und propagiert die germanische oder keltische Götterwelt.

Das tönt diffus. Verdient rechtsextremes Denken überhaupt den Namen «Ideologie»?
Diese Frage läuft darauf hinaus, die Latte so hoch zu legen, das die Rechtsextremisten als apolitische, harmlose Wirrköpfe durchgehen können. Sicher haben sie keine ausgebaute Weltanschauung und keine politische Vorstellung von einer zu schaffenden Gesellschaftsordnung. Verglichen mit der marxistischen Theorieproduktion nach 1968 existiert auf der rechten Seite wirklich nicht viel Theorie. Die Feindbilder sind aber ganz klar. Sie haben ihre Basis im Antisemitismus, im Rassismus und im Nationalsozialismus. Und: Die Opfer rechtsextremistischer Drohungen und Angriffe fragen nicht, wie präzis das Weltbild der Angreifer ist. Die Frage zielt aber auch darauf ab, ob rechtsextreme Gruppierung den Staat bedrohen.

Was sie natürlich nicht tun.
Nein. Es gibt aber neben dem politischen ein gesellschaftliches Problem: Dass ein Teil der Bevölkerung sich nicht mehr überall und zu jeder Zeit frei bewegen kann. Etwa in Burgdorf oder in St.Gallen. Diese Entwicklung muss gestoppt werden, und sie ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht tragbar.

Rechtsextremismus ist weniger eine Theorie als ein Anti-Programm. Richtet es sich gegen die globalisierte Moderne?
Es ist noch grundsätzlicher. Die Rechtsextremen betreiben eigentlich eine Negierung der Aufklärung, weil diese festhält, dass alle Menschen gleiche Rechte haben und dass es eine Vernunft gibt.

Einen klaren Nenner gibt es im diffusen Denken von rechts doch: es ist sehr männlich
. Ja. In der rechtsextremen Szene gibt es nur vereinzelt Frauen, die eine von aussen wahrnehmbare Funktion erfüllen.

Und die Männer sind jung. Ist Rechtsextremismus eine spätpubertäre Erscheinung?
Aus Skinhead-Zirkeln wachsen viele hinaus. Wo sie dann später politisch stehen, ist allerdings eine andere Frage. Für viele Skinheads ist die Glatzenphase der Altersabschnitt zwischen Stimmbruch und Konkubinat.

Stimmt das Bild, dass Skins Subproletarier sind?
Subproletarier sind sie nicht, denn sie sind stolz, Arbeiter zu sein und eine Arbeitsstelle zu haben. Und es ist in der rechten Szene ein Anspruch da, ein geordnetes Leben zu führen.

Was ist denn nun zu tun gegen den Rechtsextremismus? Was halten Sie von einer verstärkten Polizeipräsenz im öffentlichen Raum?
Das ist ein zweispältiger Vorschlag, weil sich ein Teil der potenziellen Opfer von Rechtsextremen nicht sicher fühlt, wenn die Polizei da ist. Das gilt etwa für Schwarze, Jugoslawen und Jugoslawinnen oder auch Punks. Wichtiger ist die konsequente Verfolgung von Tätern durch die Polizei.

Sollte sie vermehrt Veranstaltungen auflösen?
Das ist weniger eine Frage der Polizei. Die politischen Behörden müssen entscheiden, dass solche rechtsextreme Veranstaltungen und Konzerte nicht mehr geduldet werden. In der Westschweiz haben die Kantone 1998 beschlossen, Skinhead-Konzerte zu verbieten.

Wie setzt man das durch? Die Konzerte sind oft als Privatanlässe getarnt, für die kurzfristig per SMS oder Internet eingeladen wird.
Ganz verunmöglichen lassen sich solche Anlässe nicht. Aber viele sind im voraus angekündigt. Und es sind im Gegensatz zu den Beteuerungen der Veranstalter nicht private Veranstaltungen, sondern Anlässe die für die ganze Szene öffentlich sind. Das gilt erst recht, wenn die Anlässe im Internet mit E-Mail-Adresse erwähnt werden, wie zum Beispiel das Sommerfest des Patriotischen Ost-Flügels von Anfang Juli.

Müsste man nicht nur Anlässe, sondern auch Gruppen und Parteien verbieten?
Von einem Parteienverbot halte ich gar nichts. Hingegen viel von einer konsequenten und schnellen Verurteilung nach rechtsextremistisch oder rassistisch motivierten Taten. Es darf einfach nicht zwei bis drei Jahre dauern, bis die Täter vor Gericht kommen. So wird die Justiz in der rechten Szene gar nicht mehr ernst genommen. Verbote finde ich aber nutzlos. Wie kontrolliert man dann illegale Parteien? Da geraten wir wieder zu polizeistaatlichen Methoden. Viel wichtiger finde ich, dass die Politiker die ideologischen Versatzstücke der Rechtsextremen anprangern.

Nützen denn mahnende Worte und multikulturelle Absichtserklärungen der Politiker?
Plädoyers für Multikulturalität müssen ja noch nicht bedeuten, dass man die Probleme des multikulturellen Zusammenlebens ignoriert.

Müsste man in Ihren Augen auch die Einwanderung liberalisieren?
Wichtiger ist die Einbürgerung. Wir brauchen ein Gesetz, das in relativ kurzer Frist das Recht gibt, eingebürgert zu werden, in Form eines unkomplizierten Verwaltungsakts wie in anderen europäischen Ländern. Heute muss ein Ausländer oder eine Ausländerin in der Schweiz 12 Jahre warten, bis sie überhaupt nur ein Gesuch stellen kann. Am Ende des langen Verfahrens können dann immer noch demokratisch legitimierte Willkürentscheide stehen, wie zum Beispiel in Emmen. Einen Rechtsanspruch hat ein Ausländer oder eine Ausländerin nur in bestimmten Fällen, etwa wenn sie verheiratet sind.

Eine schnelle Einbürgerung wäre eine starkes Statement gegen rechts. Aber die Chancen stehen schlecht, oder?
Politisch ist das sehr schwierig durchzusetzen. Schon nur weil sich die bürgerlichen Parteien im Abstimmungskampf um Bürgerrechte fast nie engagieren.*

Der Experte: Hans Stutz ist Journalist in Luzern und Kenner des Rechtsextremismus und Rassismus in der Schweiz.
Zuletzt publizierte er «Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern 1933-45» (Raeber AG, Fr. 28.-). Im Oktober erscheint von ihm «Der Judenmord von Payerne» (Rotpunkt, Fr. 29.-). Er veröffentlicht jährlich die Chronologie «Rassistische Vorfälle in der Schweiz» (www.gra.ch). Der Autor: Stefan von Bergen ist Redaktor des «Zeitpunkt».