Das Bundesgericht entzieht rechtsextremen Konzerten und Veranstaltungen den (privaten) BodenDas Ende der «paradiesischen» Umstände für Skinhead-Konzerte und -Treffen in der Schweiz: Das Bundesgericht hat eine entsprechende Veranstaltung als öffentlich, also strafrechtlich relevant erklärt. Damit entfällt die umstrittene Schutzklausel der privaten Veranstaltung.
Christian Pauli
In deutschen Skinhead-Kreisen wird die Schweiz als «Konzertparadies» bewertet, weil es hierzulande ziemlich risikolos ist, ein Skinhead-Konzert oder ein rechtsextremes Referat zu organisieren. Gibt der Veranstalter vor, das Konzert sei privater Natur, kann er, anders als in Deutschland, von günstigen Umständen profitieren. Dank angeblicher Privatheit der Veranstaltungen (Einlass nur gegen Einladung, keine öffentliche Bekanntgabe der Lokalität) profitiert er von einer Art Schutzklausel: Strafbar macht sich gemäss Antirassismus-Strafnorm nur, wer seine Äusserungen öffentlich macht.
Nun hat das Bundesgericht mit der liberalen Praxis aufgeräumt: Es hat die Definition von Privatheit, die vor Strafverfolgung schützt, massiv eingeschränkt. «Als privat sind Äusserungen anzusehen, die im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld erfolgen», schreibt das oberste Gericht in seinem Urteil (siehe Seite 1). Bisher wurden Veranstaltungen quantitativ beurteilt: Mit weniger als 20 Teilnehmern galten sie als nicht öffentlich. Das Bundesgericht meint es aber noch präziser: Die Antirassismusstrafnorm «will verhindern, dass sich rassistisches Gedankengut in Zirkeln, die ihm zuneigen, weiter verfestigt und ausweitet». Damit sind rechtsextreme Veranstaltungen gemeint, die sich ? anders als etwa das Skinheadtreffen auf dem Rütli ? primär gegen innen richten: Konzerte, Referate, Kameradschaftstreffen.Von den 101 «rechtsextrem motivierten Ereignissen», die das Bundesamt für Polizei (BAP) für das letzte Jahr auflistet, werden 26 zum Bereich «Partys, Vorträge, Konzerte» gezählt. In den letzten Jahren habe die rechtsextreme Schweizer Szene, insbesondere mit Konzerten, in Deutschland und Frankreich eine «Sogwirkung» erzielt, erklärt Jürg Bühler, stellvertretender Chef des Dienstes für Analyse und Prävention. Die Bedeutung solcher Konzerte dürfe nicht unterschätzt werden: «Sie sind Eintrittspforten für junge Leute.»
Polizei möchte mehr Wanzen
Bühler hofft, dass das Bundesgerichtsurteil, auch wenn dessen Anwendbarkeit noch geprüft werden müsse, eine «präventive Wirkung entfaltet». Ungeklärt sei die Frage, ob die Polizei dank dem nun ausgeweiteten Öffentlichkeitsbegriff vermehrt auch zu Abhörvorrichtungen, sprich Wanzen, greifen darf. Dies sei für die Erbringung von Beweisen betreffend die Verletzung der Antirassismusnorm eine Voraussetzung, glaubt Bühler.Michele Galizia von der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus spricht von einem «ausserordentlich wichtigen Urteil». Jetzt könne die Polizei endlich gegen einschlägige Konzerte und Treffen vorgehen. Die Einschätzung, dass der Bundesgerichtsentscheid rechtsextremen Veranstaltern den Garaus macht, wird innerhalb und ausserhalb der rechtsextremen Szene geteilt. Hans Stutz, langjähriger Beobachter von Skinheads und Neonazis in der Schweiz: «Skinhead-Konzerte werden mit grosser Wahrscheinlichkeit unmöglich.» Insgesamt werde die rechte Szene unter «ziemlich grossen Druck» geraten, glaubt Stutz. Denn Konzerte seien zahlenmässig die wichtigsten Treffen der Rechtsextremen ? ausserdem «entscheidend in Bildung und Festigung der rechten Ideologie».Anders als Galizia beurteilt Stutz die bisherige polizeiliche Arbeit. Die Polizei habe es «ganz angenehm gefunden, dass sie gegen rechtsextreme Anlässe nicht aktiv werden musste», sagt Stutz.
Aus für Anwerbung via Musik
Der Berner Neonazi Roger Wüthrich, Chef der rechtsextremen Avalon-Gemeinschaft und Referent am Ruchwiler Waldhütten-Treffen (siehe Kasten), kommentiert: «Der Zweck des Urteils ist es, solche Zirkel wie die Avalon-Gemeinschaft zu verbieten.» Musik sei eine gute Gelegenheit, Junge auf unkomplizierte Art und Weise zu erreichen. Solche Anwerbungen seien nun wohl nicht mehr möglich.
Referent Roger Wüthrich
Es geht im Fall, der dem Bundesgericht zur Beurteilung vorgelegen hat, um eine Veranstaltung, die am 26. September 1999 in einer Waldhütte bei Ruchwil, Gemeinde Seedorf, stattgefunden hat. Dies hat der «Bund» in Erfahrung gebracht. Organisator des Treffens war Adrian Segessenmann. Der Chef der Nationalen Offensive Bern hat als Referenten Roger Wüthrich, den Chef der Avalon-Gemeinschaft, engagiert. Der Titel seines Referats: «Die Entstehung der SS und der Waffen-SS». An die 50 Personen haben sich damals in der Ruchwiler Waldhütte versammelt. Gestern kommentierte Wüthrich das Verfahren, dem er und Segessenmann sich jetzt auf Grund des Bundesgerichtsurteils ausgesetzt sehen, mit Gelassenheit: «Der schriftliche Zusammenzug meines Referats hat keine verletzenden Komponenten.» Bei ihm könne das Verfahren eh keine Besserung bewirken, bemerkte Wüthrich, der als bekennender Nationalsozialist gute Beziehungen zu Rechtsextremen in die ganzen Schweiz und im Ausland unterhält, selbstsicher an. (cpa)Weitere Abklärungen durch die Polizei erfolgten im Verlauf des Sonntags. Anzeigen von betroffenen und geschädigten Personen werden bei der Polizei Kanton Solothurn in Olten sowie bei der Stadtpolizei Olten entgegengenommen. (pd)