Schaffhauser Nachrichten.
Sieben Neonazis, gegen die in Deutschland ein Haftbefehl läuft, leben zurzeit in der Schweiz. Ein Experte spricht von «tickenden Zeitbomben», die bei sogenannten Kameraden Unterschlupf gefunden haben.
Reto Zanettin
BERN/BERLIN. Wie Eidgenossen von anno dazumal wollen sie sich geben, die Mitglieder der Gruppe «Junge Tat» (JT). Ihrer Auffassung nach bedeutet das: «Frei, liebend, zäh und langsam im Verzeihen sein.» Aktiv werden wollen sie gegen die «Überfremdung unseres Landes», weshalb sie beispielsweise strengere Grenzkontrollen fordern. Der «Tages-Anzeiger» bezeichnete die JT einmal als «die mit Abstand aktivste rechtsextreme Bewegung der Deutschschweiz ». Bekannt ist sie ebenfalls dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB). In einem Lagebericht, der im Sommer erschien, erwähnte er die Gruppierung explizit. Zu erwarten sei, dass Gewalt durch Rechtsextreme zunehmen würde.
In Deutschland möchte «Die Linke», die zurzeit kleinste Bundestagsfraktion, im Halbjahresrhythmus über die rechtsextreme Szene informiert werden. Dazu stellt sie der Bundesregierung stets aufs Neue eine Reihe von Fragen, beispielsweise: Wie viele Personen werden per Haftbefehl gesucht? Was genau haben sie verbrochen? Und wo halten sie sich auf? Die jüngsten Antworten der Bundesregierung kamen im Dezember bei den Fragestellern an.
Gegen rund 600 Personen aus dem politisch rechten Spektrum sind total 788 Haftbefehle offen, manche Leute werden also mehrfach strafverfolgt. Dabei waren es in den letzten drei Jahren noch nie so viele wie im Moment. 147 Personen wurden gewalttätig, 24 davon aus politischen Motiven. Das Spektrum der Delikte reicht indessen von Beleidigung und Volksverhetzung bis hin zu Terrorismus.
Die Schweiz kommt ins Spiel, wenn es um Neonazis geht, nach denen in Deutschland gefahndet wird, die sich aber im Ausland aufhalten. 87 sind es total. Je rund ein Dutzend hat Deutschland in Richtung Polen respektive Österreich verlassen. Sieben Rechtsextreme, gegen die in Deutschland ein Haftbefehl läuft, halten sich laut der Bundesregierung aktuell in der Schweiz auf. Im Frühling 2019 lebten erst vier solche Personen hier. Der Trend weist daher bei tiefen absoluten Zahlen nach oben. Serena Gut leitet die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention der Stadt Winterthur. «Eine extreme Haltung vertreten ist nichts Illegales», sagt sie. Aus Sicht ihrer Fachstelle sei eine Gefahreneinschätzung zu den Neonazis aus Deutschland in der Schweiz schwierig, solange keine Meldung vorliege. «Erst wenn Drohungen ausgesprochen, Gewalt verübt oder Terrorismus unterstützt wird, werden Schweizer Gesetze verletzt. Dann beziehen wir die Polizei ein.»
«Tickende Zeitbomben»
Axel Salheiser, wissenschaftlicher Referent am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, geht davon aus, «dass diese Leute schon einiges auf dem Kerbholz haben». Durch die Flucht ins Ausland entzögen sie sich langjährigen Haftstrafen in Deutschland. Der Soziologe mit Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus schätzt die Gefährlichkeit der gesuchten Personen so ein: «Wir müssen davon ausgehen, dass diese Menschen tickende Zeitbomben sind.» Naheliegend sei es, dass sie in der Schweiz nicht in gleicher Weise kriminell werden, wie sie es in Deutschland geworden sind. «Sie wollen unauffällig leben und nicht noch ein Strafverfahren am Hals haben. Sie versuchen, im Exil eine Zeit lang zu überwintern.» Doch die Gefahr an und für sich bleibe und dürfe keineswegs bagatellisiert werden. Auf lange Sicht könnten die Rechtsextremen selbst erneut Straftaten begehen oder andere dazu anleiten. Dies, zumal sie sich an Netzwerken beteiligen, die sich europaweit ausgebreitet und bis in die Schweiz hinein verästelt haben.
«Es gibt eine ganz klare Verbindung zwischen deutschen und schweizerischen Neonazis – es sind Rechtsextreme, die sich aus der Kameradschaftsszene kennen. Es bestehen persönliche Kontakte und Freundschaften, die über Jahre gepflegt worden sind.» Da sei es leicht, irgendwo unterzukommen, führt Salheiser aus. «Man geht zu Bekannten oder sogenannten Kameraden in der Schweiz, wenn man in Deutschland gesucht wird.» In Spendenaktionen treiben die Neonazis Geld füreinander auf, damit sie ihren Lebensunterhalt finanzieren können. «Plausibel ist es zudem, dass man in der Firma seiner Kameraden unterkommt. Oder diese vermitteln einem eine Wohnung», sagt Salheiser.
Die Behörden mauern
Während Fachleute offen über Rechtsextremismus sprechen, schweigen die Behörden beidseits der Landesgrenze. Das deutsche Bundesinnenministerium will sich nicht äussern. Die Schaffhauser Polizei macht keine Angaben, ob sich Rechtsextreme aus Deutschland in der Schweiz oder in Schaffhausen aufhalten und wie gefährlich sie gegebenenfalls sind. Sie handle jedoch, wenn sie durch den NDB oder aus der Bevölkerung von Straftaten durch Rechtsextreme erfahre, teilt Patrick Caprez, Kommunikationsbeauftragter der Schaffhauser Polizei, mit. Konkretes gibt auch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) nicht preis. Mediensprecher Florian Näf erklärt allerdings den Umgang mit Rechtsextremen, Terroristen und anderen Kriminellen aus dem Ausland ganz allgemein. Die Schweiz wisse aufgrund des polizeilichen Informationsaustauschs, welche Leute international ausgeschrieben sind. Wenn diese in einer Kontrolle hängen bleiben, würden sie festgenommen und ausgeliefert, so Näf.