Rechtsextreme schlagen in Eglisau ein Kind

TagesAnzeiger

Mit einem Stock traktieren junge Erwachsene einen elfjährigen, dunkelhäutigen Schüler. Seine Mutter vermutet, dass der Kampf gegen das Asylzentrum junge Rassisten im Rafzerfeld antreibt.

Von Heinz Zürcher

Eglisau. – Der elfjährige Primarschüler ist mit einem Freund auf dem Weg zum Tennisplatz. Die Sonne steht noch über dem Horizont, es ist kurz nach 17 Uhr, an einem Tag während der Herbstferien. Die beiden schlendern das Trottoir der Rheinsfelderstrasse entlang, als ihnen wenige hundert Meter vor dem Tennisplatz zwei Autos aus Fahrtrichtung Zweidlen entgegenkommen. Der Lenker des vorderen Fahrzeugs bremst ab und schwenkt auf die Gegenfahrbahn. Auf Höhe der beiden Schüler hält er an, während einer der Mitfahrer durchs offene Fenster ausholt und mit einem Stock auf den dunkelhäutigen Jungen einschlägt.

Die Insassen der beiden Fahrzeuge beschimpfen den Buben mit übelsten rassistischen Bemerkungen und brausen davon. Nach wenigen Metern drehen sie um und fahren erneut an ihrem Opfer vorbei. Wieder rufen sie ihm fremdenfeindliche Parolen zu – und noch einmal, nachdem sie ihre Autos ein zweites Mal gewendet haben. Sein Begleiter, ein hellhäutiger Schweizer, wird verschont.

Den Vorfall relativ gut verkraftet

Trotz einer Prellung am Rücken geht das Opfer mit seinem Freund Tennis spielen. Vom Zwischenfall erzählt der Junge erst, als er am Abend nach Hause kommt. Seine Mutter, Elisabeth Villiger, Leiterin des Alters- und Pflegeheims Weierbach in Eglisau, ist schockiert. Sie kann nicht fassen, was ihrem Sohn angetan wurde. Erst jetzt geht sie mit dem Fall an die Öffentlichkeit.

Ihr Sohn ist gut in der Schule integriert. Mit rassistischen Äusserungen ist er zwar gelegentlich auf dem Pausenplatz konfrontiert worden. «Aber damit konnte mein Sohn immer gut umgehen», sagt Elisabeth Villiger, die heute getrennt vom Vater ihres Kindes lebt. Auch den Zwischenfall im Herbst habe ihr Sohn relativ gut weggesteckt. Früh trichtern ihm seine Eltern ein, dass er genauso viel Wert ist und die gleichen Rechte hat wie hellhäutige Kinder. Sie klären ihn aber auch darüber auf, wie ihn Fremdenfeindlichkeit treffen kann und wie er damit umgehen sollte.

Dass Rechtsextreme auf Kinder losgehen, damit hat Elisabeth Villiger nicht gerechnet. Sie erstattet Anzeige auf dem Posten der Kantonspolizei Zürich in Rafz. Ein Polizist erzählt ihr, dass die Fremdenfeindlichkeit durch die Diskussion um das geplante Asylzentrum in Eglisau begünstigt werde. Bei der offiziellen Informationsstelle der Kantonspolizei in Zürich heisst es jedoch, dass Vorfälle mit Rechtsextremen im Rafzerfeld nicht zugenommen hätten. «Wir stellen keine besonderen Vorkommnisse aus diesen Kreisen fest», sagt Kapo-Sprecher Martin Sorg. «Wir werden die Situation aber beobachten und, wenn nötig, geeignete Massnahmen ergreifen.» Welche, lässt Sorg offen.

In den letzten Jahren haben junge Rechtsextreme immer wieder im Rafzerfeld auf sich aufmerksam gemacht. Der Polizei sind sie grösstenteils bekannt. Gelegentlich treffen sich die rechtsgesinnten Jugendlichen bei der Shell-Tankstelle in Eglisau, wo sie sich auch schon mit jungen Linksradikalen geprügelt haben.

Mit Flaschen beworfen

Aber nicht nur Linke sind dort schon Ziel der gewaltbereiten Gruppe geworden. Ein Mitarbeiter von Elisabeth Villiger hat ihr nach dem Vorfall ihres Jungen erzählt, dass er zwei Wochen zuvor bei der Shell-Tankstelle in Eglisau angegriffen wurde. Die Jugendlichen hatten den Mazedonier mit rassistischen Äusserungen beleidigt und mit Bierflaschen beworfen. Darauf machte sich der junge Pfleger so schnell wie möglich aus dem Staub.

Elisabeth Villiger gibt auch dieser Vorfall zu denken. «Es macht mich sehr betroffen, dass ein ausländischer Pfleger, der Schweizer Betagte und Kranke liebevoll pflegt und für seinen Lebensunterhalt hart arbeitet, von Schweizer Rechtsextremen beschimpft und bedroht wird.»

Die Leiterin des Alters- und Pflegeheims hört nach dem Erlebnis ihres Sohns von weiteren Vorfällen. Unter anderem erzählt ihr eine Pflegerin von einer Kollegin, die ebenfalls in Eglisau von Rechtsextremen beschimpft wurde.

Für Elisabeth Villiger sind diese Vorfälle kein Zufall. Sie vermutet, dass Flugblätter und Äusserungen gegen das geplante Asylzentrum die Emotionen von Rechtsextremen schüren. «Ich unterstelle den Verfassern dieser Flugblätter nicht, dass sie Rechtsextreme stärken wollen», betont Elisabeth Villiger. Und sie verstehe auch, dass die Anwohner des Durchgangszentrums beunruhigt seien. «Aber ich finde es auch wichtig, dass die Gegner des Asylzentrums darüber nachdenken, was sie mit ihren Aktionen auslösen könnten.»

Laut Opferberatung kein Einzelfall

Zürich. – Die Opferberatungsstelle in Zürich hört nicht zum ersten Mal von Rassismus gegenüber Kindern. Die Zahl der Vorfälle wird nicht erhoben. Ein paar Mal im Jahr 2008 gingen aber Anrufe ein, die von ähnlichen Übergriffen und Beleidigungen wie jenen in Eglisau handeln. «Gott sei Dank nicht wöchentlich», sagt Stellenleiterin Elsbeth Aeschlimann, «aber jeder Fall ist übel – und viele Vorfälle werden verschwiegen.» Kinder aus den verschiedensten Ethnien seien betroffen – nicht nur dunkelhäutige.

Es sei unmöglich, Kinder und Eltern auf solche Situationen wie jene in Eglisau vorzubereiten. Dass Erwachsene ein Kind schlagen, damit könne man schlicht nicht rechnen. Wichtig sei es, das Kind so zu erziehen, dass es selbstbewusst werde und mit rassistischen Äusserungen umzugehen lerne.

Opferhilfe müsse nicht zwingend in Anspruch genommen werden. Oft könnten Kinder gut mit solchen Vorfällen umgehen. Eltern sollten aber darauf achten, ob das Kind sein Verhalten ändert und ob es Anzeichen gibt, dass es das Ereignis noch nicht verarbeitet hat. Manchmal sei es auch sinnvoll, dass die Eltern Hilfe in Anspruch nehmen. Opfern kann auch zu einem späteren Zeitpunkt geholfen werden. (hz)

Die Opferberatung ist kostenlos. Mehr Infos unter www.opferhilfe-schweiz.ch, www.opferhilfe.zh.ch sowie www.opferberatungzh.ch.

Vor dem Thurella-Gebäude wird der Schüler geschlagen und beschimpft.