NZZ Online: Wiederholt riefen in der Genferseeregion rechtsextreme Gruppierungen im November zu Treffen auf. Bedeutet die Häufung dieser Veranstaltungen, dass die Szene ein Revival erlebt? Ja, sagt ein Experte.
«Kampfstrategien für ein eisernes Jahrhundert»: Mit diesem Slogan lud die rechtsextreme Gruppierung Résistance helvétique am letzten Samstag zu einer Konferenz im Raum Lausanne. Eine Woche zuvor wollte das Newsportal Pravda.ch Alain Soral, eine der Leitfiguren der extremen Rechten Frankreichs, in Genf auftreten lassen. Und am 5. November hätte unter der Ägide der Westschweizer Sektion der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) in der Waadt eine Nationalismus-Konferenz stattfinden sollen.
Verbindungen nach Frankreich
Die Westschweizer Öffentlichkeit reibt sich verwundert und empört die Augen: Was hat diese Häufung rechtsextremer Treffen zu bedeuten? Zwar konnten zwei der drei Veranstaltungen nicht im vorgesehenen Rahmen stattfinden: In Genf mussten die Organisatoren auf das Internet ausweichen, weil kein Saalbetreiber bereit war, sie zu beherbergen. Und die Konferenz vom 5. November wurde von der Waadtländer Regierung mit Verweis auf die zu befürchtende Störung der öffentlichen Ordnung verboten. Linke Gruppierungen hatten zu Gegendemonstrationen aufgerufen. Rund sechzig Rechtsextreme trafen sich stattdessen verbotenerweise in einem Lokal in Saxon im Kanton Wallis. Die Versammlung wurde gemäss der Walliser Polizei nach eineinhalb Stunden aufgelöst.
Trotz diesen Verhinderungen in letzter Minute stellt sich die Frage: Erlebt die Szene in der Westschweiz gerade ein Revival? Ja, sagt der Luzerner Journalist Hans Stutz, der die rechtsextremen Tendenzen in der Schweiz seit Ende der 1980er Jahre beobachtet. Im Gegensatz zu den Gruppierungen in der Deutschschweiz, die stagnierende Mitgliederzahlen aufwiesen, gelinge es der Westschweizer Bewegung, neue Anhänger zu mobilisieren. Neben der im Mai 2014 gegründeten Bewegung Résistance helvétique, die auf Facebook von rund 7000 Personen «geliked» wird, machen namentlich folgende zwei Gruppierungen ennet der Saane auf sich aufmerksam: erstens die Betreiber des seit April 2015 bestehenden Newsportals Pravda, die von sich behaupten, unabhängigen Journalismus zu verbreiten, der sich nicht um politische Korrektheit zu scheren brauche. Und zweitens der Schweizer Ableger der von Alain Soral gegründeten französischen Bewegung Egalité et Réconciliation.
Im Gegensatz zur Deutschschweizer Szene sind die rechtsextremen Kreise in der Westschweiz stark nach Frankreich ausgerichtet. Sie sind von der neuen Rechten beeinflusst, die ab den 1970er Jahren als Gegenbewegung zur 1968er Bewegung entstand und einen kulturalistischen beziehungsweise ethnopluralistischen Ansatz pflegt. Anders als im Nationalsozialismus wird bei den Vertretern dieser Denkschule nicht die Überlegenheit einer bestimmten «Rasse» hervorgehoben, sondern man begründet etwa die islamfeindliche Haltung damit, dass Kulturen getrennt werden müssten. Der Islam ist nicht europäisch, also haben Muslime in Europa nichts zu suchen, lautet die Devise der Neo-Rassisten.
Es waren denn auch Mitglieder von Résistance helvétique, die im August in La Chaux-de-Fonds gegen die Eröffnung des Museums der islamischen Kulturen demonstrierten und vor dem angeblichen Bekehrungseifer der Betreiber warnten. Weiter richtet sich der Hass der «Identitären» gegen Juden, gegen die Eliten und gegen die internationale Zusammenarbeit. Viele Fans des in Frankreich wegen Antisemitismus verurteilten Komikers Dieudonné verkehren in diesen Kreisen.
Ein Kennzeichen des Rechtsextremismus Westschweizer Prägung ist ferner das diskursive, intellektuelle Element, wie Damir Skenderovic es nennt. In der Deutschschweiz seien dagegen mehr jugendliche Skinheads aktiv. Der Freiburger Historiker ist Autor des Standardwerks «The Radical Right in Switzerland». Die These eines Revivals der Szene lässt Skenderovic nur bedingt stehen: Es sei schwierig zu sagen, ob rechtsextreme Gruppierungen in der Westschweiz tatsächlich Zulauf hätten oder ob nach dem Neonazi-Konzert in Unterwasser im Kanton St. Gallen einfach die mediale Aufmerksamkeit gestiegen sei.
Schwankendes Medieninteresse
Und was sagen die Statistiken? Gemäss der «Ereignisliste Rechtsextremismus» des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) ist die Zahl der Veranstaltungen schweizweit seit 2011 stark rückläufig. Auffällig ist zudem, dass von den 180 zwischen 2011 und 2015 registrierten Ereignissen nur 34 auf die Westschweizer Kantone entfallen, wie die Zeitung «Le Temps» mit Verweis auf die NDB-Statistik berichtete. Zum Vergleich: Der Kanton Luzern zählte in diesem Zeitraum 42 Treffen Rechtsextremer. Es gilt jedoch anzumerken, dass der NDB nur über Aktivitäten unter Beteiligung von Exponenten gewalttätiger rechtsextremer Gruppen Buch führt. Längst nicht jede Konferenz kommt also in der Statistik vor.
Sowohl Stutz wie Skenderovic bedauern, dass der Rechtsextremismus in der Schweiz schlecht erforscht sei. Niemand wisse, wie viele Anhänger die Szene tatsächlich habe. «Wir haben eine Blackbox vor uns», sagt der Freiburger Historiker. Nach dem Aufmarsch von Skinheads auf dem Rütli am 1. August 2000 ging ein Aufschrei der Empörung durch die Schweiz. In der Folge gab der Bundesrat das Nationale Forschungsprogramm «Rechtsextremismus – Ursachen und Gegenmassnahmen» in Auftrag, das 2009 abgeschlossen wurde. Seither ist das Interesse wieder abgeflaut. Es wurde durch die jüngsten Ereignisse erneut geweckt und dürfte eine Weile bestehen bleiben: Am Samstag lädt Egalité et Réconciliation erneut zu einer Konferenz im «Raum Genf». Der genaue Veranstaltungsort wird vorerst unter Verschluss gehalten.