«Rechtsextreme haben es schwer»

Zentralschweiz am Sonntag: Rütli · Parteien dürfen wieder aufs Rütli. Muss jetzt auch wieder mit einem Aufmarsch von Rechtsradikalen an der 1.-August-Feier gerechnet werden? Der Chef des Nachrichtendienstes winkt ab.

eva.novak@luzernerzeitung.ch

Rechtsextreme drängen nicht mehr aufs Rütli. Erstmals seit längerem gab es nach der letztjährigen 1.-August-Feier nicht einmal eine Nachfeier. Wird sich das heuer mit der neuen Benutzerordnung ändern?

Markus Seiler: Ich hoffe nicht. Die Kantone fordern bei uns jeweils ein Lagebild im Hinblick auf den Nationalfeiertag an. Im Moment gibt es aus unserer Sicht keinen besonderen Handlungsbedarf.

Obwohl auf der historischen Urner Wiese neuerdings auch Parteien zugelassen sind? Darauf könnte sich etwa die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) berufen, die mehrmals aufs Rütli marschieren wollte.

Seiler: Das könnte sie. Es wäre der Schweiz aber zu wünschen, dass es auch ohne die bisherigen Einschränkungen geht.

Wird es einfacher, weil die rechtsextreme Szene gemäss dem neusten Lagebericht Ihres Dienstes geschrumpft ist?

Seiler: Es hat tatsächlich eine Abnahme der gewaltbereiten rechtsextremen Szene gegeben. Und jene, die geblieben sind, gehen zunehmend in den Untergrund.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Seiler: Nach der Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Zusammenhang mit den sogenannten Dönermorden haben wir gesehen, dass die Kontakte der Schweizer Rechtsextremen mit dem Ausland auf einzelnen persönlichen Verbindungen basieren. Es ist nicht so, dass ihre Organisationen grenzüberschreitend in Kontakt stehen würden. Zudem hat der Gang der Rechtsextremen in die Politik nicht funktioniert. Deshalb ist die Szene auf sich zurückgeworfen und agiert sehr klandestin und punktuell.

Eher im virtuellen Raum – das heisst in sozialen Netzwerken – als in der Beiz oder im Wald?

Seiler: Genau. Rechtsextreme haben es heute schwerer, einen Ort für ihre Treffen zu finden. Dazu beigetragen hat unter anderem der Umstand, dass wir mit den Kantonen zusammen versuchen, solche Treffen nach Möglichkeit zu erschweren. Sobald sich irgendwo etwas abzeichnet, versuchen die örtlichen Behörden wenn möglich, das erfolgreiche Mieten entsprechender Lokalitäten zu verhindern. Ein weiterer wesentlicher Grund für das klandestine Verhalten ist aber auch der Druck, der seitens der Linksextremen und der Medien auf die Szene ausgeübt wird.

Gewachsen ist hingegen die links­extreme Szene.

Seiler: Das ist richtig, aber auch da spüren wir eine gewisse Zurückhaltung, was die Anwendung von Gewalt betrifft. Brandsätze zum Beispiel wurden nicht mehr geworfen. Das könnte mit einem Generationenwechsel zusammenhängen – beziehungsweise damit, dass Führungsfiguren gefangen wurden und ihnen der Prozess gemacht wurde.

Ist die Gefahr von Zusammenstössen zwischen Rechts- und Linksextremen etwa in Brunnen demnach gering?

Seiler: Ausschliessen kann man das nie, aber im Moment hoffen wir es wirklich nicht. Kürzlich war ich mit meinen Kindern auf dem Rütli. Da ist mir eingefallen, wie vor 14 Jahren Bundesrat Kaspar Villiger von Skinheads ausgebuht worden war. Ich war damals – noch kinderlos – als sein persönlicher Mitarbeiter dabei und dachte, es dürfe doch nicht wahr sein, dass man mit den Kindern nicht mal aufs Rütli könne, ohne Krawalle miterleben zu müssen.

Jetzt, wo Sie Kinder haben, kann man wieder hinauf?

Seiler: Ich hoffe es.

Rechtsextreme prügeln, Linksextreme demolieren

Sicherheit Die Schere öffnet sich: «Über die letzten zehn Jahre ist die gewaltbereite rechtsextreme Szene geschrumpft, die linksextreme gewachsen» heisst es im Lagebericht 2014 des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Beide Seiten jedoch griffen im vergangenen Jahr seltener zu Gewalt. Der Nachrichtendienst des Bundes zählte 35 von rechts verursachte Gewaltvorfälle, fast einen Viertel weniger als im Vorjahr. Den linken Extremisten schreibt er mit 207 Gewalttaten etwa einen Sechstel weniger als 2012 zu.

Wobei sich die Gewalt je nach Seite unterschiedlich äussert: Laut dem Bericht «begnügt sich die linksextreme Szene zurzeit meist mit Sachbeschädigungen wie Farbanschlägen oder dem Einschlagen von Fenstern». Demgegenüber «verprügeln Rechtsextreme auch Unbeteiligte und verletzen oder bedrohen ihre Opfer mit Waffen und Pfefferspray». Gegenüber Sicherheitskräften wiederum verhalten sich Linksextreme aggressiver als Rechtsextreme.

Beide Szenen in Luzern stark

In den vergangenen beiden Jahren hatte der Nachrichtendienst des Bundes die kantonalen Nachrichtendienste beauftragt, die Zahlen und Strukturen zum Extremismus zu erheben. Das Resultat – laut NDB «eine Momentaufnahme der beiden Szenen im Hinblick auf ihr Gewaltpotenzial» – ist ebenfalls im Lagebericht 2014 nachzulesen. Die Anzahl gewaltbereiter Rechtsextremer in der Schweiz schätzen die Staatsschützer demnach auf insgesamt rund 900 bis 1000 Personen vorwiegend männlichen Geschlechts. Die meisten von ihnen wurden – in absteigender Reihenfolge – in den Kantonen Bern, Zürich, St. Gallen, Luzern und Aargau festgestellt. «Der Rechtsextremismus ist immer noch eher ein Deutschschweizer und ein eher ländliches Phänomen» heisst es in dem Bericht.

Starke Fluktuationen

Im Gegensatz dazu sind Zentren der gewaltbereiten Linksextremen in der Schweiz auch in der Westschweiz zu finden. Luzern figuriert hier ebenfalls auf Rang vier, nach Zürich, Genf und Bern, jedoch vor St. Gallen und Basel. Total wird die Anzahl gewaltbereiter Linksextremer auf 3000 bis 3800 Personen geschätzt, wobei der Frauenanteil deutlich höher ist als bei den Rechtsextremen. Beiden Szenen gemein ist jedoch, dass ihre Exponenten in der Regel zwischen 20 und 35 Jahre alt sind. Starke personelle Fluktuationen gibt es ebenfalls hüben wie drüben.

eva.novak@luzernerzeitung.ch