Das fremdenfeindliche Klima in der Schweiz ist für Hans Stutz, Publizist beimMedienmagazin «Klartext» und Beobachter der rechtsextremen Szene, einer derwesentlichen Gründe, der zum jüngsten Gewaltausbruch im Coop-Pronto-Shop amLiestaler Bahnhof geführt hat.
BaZ:Herr Stutz, die Polizei hat 15 rechtsgerichtete junge Leute alsmutmassliche Verantwortliche festgenommen. Sind Sie überrascht, dass die Täteraus der rechtsextremen Szene kommen?
Hans Stutz: Nein, der rechtsextreme Gewaltausbruch gegen ausländischeJugendliche ist nicht überraschend. Rechtsextreme haben mehrere Feindbilder,gegen die sie gelegentlich gewalttätig vorgehen. Die Attacke hätte überall inder Schweiz passieren können, denn rechtsextreme Hochburgen gibt es derzeit inder Schweiz nicht.
Welches sind diese Feindbilder?
Junge Linke, Antifaschisten, Punks, ausländische männliche Jugendliche, Schwarzeund Asylbewerber – das sind die Feindbilder der Rechtsextremen. Meistensgreifen Rechtsextremisten spontan an. Der jüngste Liestaler Angriff ist sogesehen eine Ausnahme, weil er offensichtlich organisiert war, die Täter alsovorher Absprachen getroffen haben und als grössere Gruppe losgezogen sind.Solche organisierten rechtsextremen Übergriffe sind bisher selten, wenn es auchnicht der erste ist. Erinnert sei etwa an den grossen rechtsextremen Überfallvon über 50 Hammerskins 1995 in Hochdorf.
Wie gross ist die rechtsextreme Szene in der Region Nordwestschweiz?
Dazu liegen mir keine ausreichenden Informationen vor, um Zahlen nennen zukönnen.
Wissen Sie Näheres über rechtsextreme Organisationen in den beiden BaslerHalbkantonen?
Einerseits wurde vor rund fünf Jahren in Liestal die Partei NationalOrientierter Schweizer (PNOS) gegründet. Heute befindet sich in Liestal nurnoch das PNOS-Postfach, aber die Parteiaktivitäten konzentrieren sich schonlange nicht mehr auf diese Region. Parteipräsident Jonas Gysin agiert heute vonBasel aus. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass Basel und die Regionein Ballungszentrum oder ein bevorzugtes Aktionsfeld der Rechtsextremen ist.Der überwiegende Teil der Rechtsextremen ist in informellen Gruppenstrukturiert. Diese Gruppen funktionieren wie grosse lose Cliquen, die sich anbestimmten Orten, zum Beispiel in einem Pub, gelegentlich treffen. Da derOrganisationsgrad mit Vorstand, Statuten und dergleichen sehr gering ist, istdie Bindung an solche Gruppen eher lose. Darum sind sie auch schwer zuüberschauen.
Warum üben rechtsextremn Gruppen Anziehungskraft auf junge Leute aus?
Für mich steht nicht die Frage der Anziehungskraft im Vordergrund, sondern gegenwen sich solche Gewaltausbrüche wie in Liestal richten. Der Hintergrund isteindeutig das verbreitete fremdenfeindliche Klima in der Schweiz. Getragen vondiesem Klima fühlen sich solche rechtsextremen Gruppierungen berechtigt, nochradikaler loszuziehen und umzusetzen, was andere bloss sagen. EntsprechendeBrandreden und Tiraden finden offene Ohren, weil ihnen keine gesellschaftlicheKraft entschieden entgegentritt.
Die politische Grosswetterlage der Schweiz ist gekennzeichnet vom Vormarsch derrechtsbürgerlichen SVP zulasten der bürgerlichen Mitte. Welchen Einfluss hatdieses politische Klima auf rechtsextreme Strömungen?
Es sind zwei Tendenzen auszumachen: Zum einen ist die SVP mit entsprechendenKampagnen auf dem Vormarsch, auch wenn sie seit den Bundesratswahlen keinesolche Kampagne mehr lanciert hat. Erstarkt sind aber auch – und das ist derzweite Punkt – die Organisationen und Exponenten, die gegen Rassismus undRechtsextremismus auftreten.
Wie kann man Rassismus und Rechtsextremismus entgegensteuern?
Rechtsextremismus entsteht unter anderem aufgrund von Empörung über ungerechteVerhältnisse und er reagiert sich ab durch Übergriffe auf gesellschaftlichSchwache. Mit entsprechenden sozialen Reformen können gerechtere Verhältnisseangestrebt werden. Das ist das eine. Zum anderen muss man überall dort soforteingreifen, wo rassistische oder rechtsextremistische Vorfälle und Aktivitätenauftreten. Man kann nie genug darüber reden.
Interview Wolf Südbeck-Baur