Die Wochenzeitung. Die Enthüllungen sind verstörend: In Deutschland haben sich offenbar Elitesoldaten im Untergrund organisiert – und den rechten Umsturz geplant. Ihre Verbindungen reichen auch in die Schweiz.
Es gibt die Erfolgsserie – und es gibt die Wirklichkeit. Und die beiden gleichen sich in verstörendem Mass. Das deutsche Zwischenkriegsepos «Babylon Berlin» dreht sich um die «Schwarze Reichswehr», eine nationalistisch und antisemitisch gestimmte Schattenarmee, die die Regierung der Weimarer Republik stürzen wollte. In der Bundesrepublik von 2018 gibt es offenbar Menschen, die ähnliche Gelüste hegen. Wie Enthüllungen deutscher Medien nun aufdecken, organisierte sich in den vergangenen Jahren ein bundesweites Netzwerk, vornehmlich aus Elitesoldaten, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: den Aufbau einer Schattenarmee, die sich auf einen ominösen Tag X vorbereitet. Einen Tag X, an dem nach ihrer dystopischen Fantasie die öffentliche Ordnung aufgrund einer extremen Krise zusammenbrechen würde, ausgelöst durch Überfälle von Flüchtlingen auf Kinder und Frauen, Vergewaltigungen und Terroranschläge.
Klar ist mittlerweile: Der zentrale Mann in der Geschichte heisst André S., ein ehemaliger Elitesoldat des KSK (Kommando Spezialkräfte) der Bundeswehr – mit Decknamen Hannibal. André S. ist Chef der Organisation Uniter, eines Verbands, der sich offiziell um die Soldaten der KSK kümmert, nach deren Heimkehr aus geheimen Einsätzen in Afrika oder Afghanistan. Gemäss Recherchen des «Focus», der sich auf Vernehmungen durch das Bundeskriminalamt (BKA) beruft, hat sich innerhalb von Uniter ein geheimes Netzwerk aus circa 200 ehemaligen und aktiven Bundeswehrsoldaten gebildet, die geheime Lager für Waffen, Munition, Treibstoff und Lebensmittel angelegt hätten. An der deutschen Grenze zu Österreich und der Schweiz habe Uniter zudem sogenannte «safe houses» eingerichtet, hochgesicherte Zufluchtsorte für die Mitglieder und ihre Familien im Krisenfall.
Geheime Chats und Waffenlager
Verbindungen zu Uniter pflegte gemäss Ermittlungen auch Franco A., ein ehemaliger hessischer Oberleutnant, gegen den wegen Terrorverdacht ermittelt wird. Franco A. legte sich 2016 die fiktive Identität des syrischen Flüchtlings «David Benjamin» zu, angeblich plante er, Aussenminister Heiko Maas (SPD), Exbundespräsident Joachim Gauck und die Grünen-Politikerin Claudia Roth mit einer Pistole aus dem Zweiten Weltkrieg zu erschiessen. Die Tatspuren sollten nach den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zum fingierten Migranten führen, womit A. eine Hetze gegen Flüchtlinge auslösen wollte.
Ausführliche Recherchen der «taz» zeigen, dass sowohl Franco A. als auch André S. wichtige Figuren in der sogenannten Prepper-Szene sind. Prepper bereiten sich auf Katastrophenszenarien vor. Manche auf harmlose Weise, indem sie Konservendosen anhäufen oder Survivaltrainings absolvieren. Andere horten Waffen, hegen rechtes Gedankengut und die Fantasie, Tag X aktiv herbeizuführen. Die «taz» hat ein Jahr lang in der Prepper-Szene recherchiert und Beunruhigendes zutage gefördert. Bundesweit gibt es offenbar ein organisiertes Netzwerk von Preppern, das sich bis zu seiner Aufdeckung in verschiedenen Chats (Nord, Süd, Ost, West) austauschte. Gemäss «taz»-Recherchen waren Anwälte, Beamte, Richter und Soldaten Teil des Milieus. André S. soll als Kopf des Netzwerks fungiert haben. Er war der Administrator der Chatgruppe Nord und Süd. Als damals noch aktiver Soldat versorgte S. die Chatgruppen mit Interna aus der Bundeswehr und sorgte so für das Gefühl von Exklusivität. Franco A. war gemäss den Recherchen in der Chatgruppe Süd aktiv.
Verfassungsschutz versagt
Mindestens eine Untergruppe, die Prepper-Gruppe Nordkreuz, radikalisierte sich. In Mecklenburg-Vorpommern laufen nach zahlreichen Hausdurchsuchungen Ermittlungen gegen zwei Hauptverdächtige – einen Anwalt und einen Polizisten. Sie hatten offenbar Terrorpläne und sollen eine Liste mit Namen angelegt haben: politische GegnerInnen, die sie am Tag X internieren und eliminieren wollten. Gemäss der «taz» hatte die Gruppe Nordkreuz bereits Depots mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Munition angelegt. Wie schlagkräftig die rechtsextremen Prepper sind, wie gross ihr Netzwerk ist, das lässt sich zu diesem Zeitpunkt schwer ermessen. Beängstigend sind jedoch die Überschneidung der Szene mit den organisierten Elitesoldaten und ihre Verbindungen mit den Behörden. Klar ist überdies: Die Szene ist auch in Österreich und der Schweiz aktiv; gemäss der «taz» existierten in beiden Ländern Chatgruppen. Auch Uniter hat Ableger in den beiden Ländern.
In Deutschland sorgt die Geschichte auch deshalb für Aufruhr, weil die Geheimdienste einmal mehr eine schlechte Figur machen: Es laufen Ermittlungen gegen einen Beamten des Militärischen Abschirmdiensts (eine Art Verfassungsschutz des Militärs). Er soll den KSK-Elitesoldaten André S. vor einer Untersuchung gewarnt und Informationen über die Ermittlungen zu Franco A. verraten haben.