Rechte Gefahr verharmlost

Tages-Anzeiger

 

KOMMENTAR 

Von Bernhard Odehnal, Wien 

Die rechtsextreme Gewalt in Europa hat einen neuen Höhepunkt erreicht. In Deutschland haben 

rechte Straftaten seit 2004 um 25 Prozent zugenommen. In Österreich werden KZ-Opfer 

attackiert, in Italien machen rechte Bürgerwehren Jagd auf Rumänen und Afrikaner, in Ungarn 

werden Roma gelyncht. Die Szene ist gut vernetzt: Wird ein Skinhead-Konzert in Deutschland 

verboten, weicht man nach Tschechien oder Österreich aus. Aktionen werden über Homepages 

koordiniert, deren Server für die Justiz unerreichbar in den USA stehen. 

Die Wirtschaftskrise bringt den rechtsextremen Gruppen neue Mitläufer. Wer seiner Wut über 

die Globalisierung, die Politik oder den verlorenen Arbeitsplatz Luft machen will, provoziert mit 

dem Bruch des letzten Tabus: mit Witzen über den Holocaust, mit NS-Symbolen. Das garantiert 

Aufregung und mediale Aufmerksamkeit. Wie bei jenen Jugendlichen in Oberösterreich, die vor 

Besuchern einer KZ-Gedenkstätte mit dem Hitlergruss aufmarschierten. 

Doch der harte Kern, die gewaltbereite Szene, ist in allen Ländern noch relativ klein. Zum 

echten Problem wird Rechtsextremismus erst, wenn bürgerliche und sozialdemokratische 

Parteien sich nicht klar abgrenzen. Wenn Skinheads Ausländer verprügeln, Asylbewerberheime 

anzünden oder Gewerkschafter attackieren, ist die Empörung gross. Im politischen Alltag 

verpufft sie. Die ungarischen Konservativen arbeiten in den Gemeinden mit der rechtsradikalen 

Partei Jobbik zusammen, in Tschechien bekommen die Neonazis vor ihren Aufmärschen durch 

Roma-Quartiere oft Informationen aus den lokalen Verwaltungen. Österreichische Volkspartei 

und Sozialdemokraten buhlen um die ausländer- und islamfeindliche FPÖ als Koalitionspartner. 

Verbote rechtsextremer Organisationen werden diskutiert – und verworfen. 

Die Verharmlosung sendet ein Signal an die Wähler, an die Polizei und die Gerichte: So 

schlimm sind die Rechtsextremen gar nicht. Auch Deutschlands Innenminister Wolfgang 

Schäuble sieht sein Land trotz der neuen Zahlen vor allem von Islamisten bedroht. Den Kampf 

gegen den Rechtsextremismus überlässt er dem «engagierten Bürger».