In den Fankurven des Schweizer Fussballs ist der Rassismus an den Rand getrieben worden
Am Wochenende beteiligt sich die Super League an der europaweiten Antirassismus-Kampagne des 1999 gegründeten Netzwerks «Football Against Racism in Europe» (Fare). Die NZZ beleuchtet aus diesem Anlass, wie evident die Probleme von Rassismus und Rechtsradikalismus in der Schweiz, in Teilen Osteuropas und in den fünf grossen Ligen derzeit sind.
bsn. Zum Ende der zweiwöchigen Kampagne des Netzwerks «Football Against Racism in Europa» (Fare) lässt sich auch die Schweizer Super League einspannen. Alle Spieler und Schiedsrichter sollen dem Rassismus am Wochenende symbolisch die rote Karte zeigen; pro Equipe wird ein Spieler auserkoren, ein Statement gegen Intoleranz zu verlesen. Derartige Aktionen werden zur Tradition – zur wohltuenden Tradition notabene, schüfe sie mitunter nicht irritierend paradoxe Situationen. Als die hiesige Liga etwa am letzten Oktoberwochenende 2004 gegen Rassismus aufrief und in Bern der YB-Stürmer Stéphane Chapuisat zum Botschafter gegen Rassismus stilisiert wurde, nannte just Chapuisat den 1992 vor dem Bosnienkrieg geflüchteten Thuner Verteidiger Selver Hodzic «Scheiss-Jugo». Chapuisat sagte später, nach dem Spiel sei «eine solche Sache» vergessen – er stehe «nach wie vor hinter der Fare-Aktion» («Berner Zeitung», 2. 11. 04).
Lieber apolitisch als explizit
Man hörte die Botschaft, allein: Dem einen oder anderen fehlte der Glaube – oder drängte sich die Frage auf, wie wirksam der Kampf gegen Rassismus sein kann, wenn rassistische Schmähungen zum provozierenden Vokabular einiger Idole gehören. Es erstaunt nicht, werden rassistische Beleidigungen von Zuschauern gegen Spieler oder Fans der Gegner oft salopp als «Provokationen» abgetan. Diesbezüglich muss zwischen beliebigem Rassismus und ideologischem, verankertem Rassismus unterschieden werden; diese Differenzierung macht stückweise nachvollziehbar, weshalb Fangruppen dunkelhäutige Spieler des Gegners zuweilen mit Affenrufen verhöhnen, Dunkelhäutige der eigenen Reihen aber bejubeln.
Indes sind Urwaldlaute aus Fankurven markant weniger geworden. Der Zürcher Fanexperte Pascal Claude, Initiant des Portals fansicht.ch, erinnert sich, wie vor wenigen Jahren der guineanische FCZ-Stürmer Alhassane Keita in Aarau vereinzelt mit Affenrufen begrüsst wurde – und dies die Mehrheit der Zuschauer empörte. In den achtziger Jahren und in der ersten Hälfte der neunziger Jahre war dem nicht so – rassistisches, rechtsradikales und antisemitisches Gedankengut galt unter Fans als relativ weit verbreitet. Als Pionier im öffentlichen Engagement gegen Rassismus profilierte sich 1996 Urs Frieden. Der Berner lancierte die Aktion «Gemeinsam gegen Rassismus», die dank Spendengeldern für ein halbes Jahr Trikotsponsorin der Young Boys wurde.
Auch in anderen Städten erhielten die Kämpfer gegen Rassismus Aufwind. Die explizite Berner Art kopierten indes wenige – nach dem Motto: «Wir sind nicht rassistisch, aber müssen das nicht zeigen.» Beobachter sagen, der Einfluss von Secondos habe rassistische Tendenzen unter Fans weiter eingedämmt, die von Ultras dominierte Fanszene der Gegenwart wolle als apolitisch gelten. Zu diesem Schluss kam 2006 auch die Studie eines Forschungsprojekts des Schweizerischen Nationalfonds (NFP40+). Der Projektleiter Thomas Busset schrieb im November 2006 in einem Résumé, die extremistische Präsenz in Schweizer Stadien sei im Vergleich zu den neunziger Jahren kleiner geworden. «Heute gibt es keine politisierten Gruppen, die in der Lage sind, das empfindliche Gleichgewicht zu gefährden, das sich in den Fankurven herausgebildet hat.»
Appell ohne Wirkung
Umso mehr schreckte Mitte September ein «Rundschau»-Beitrag des Schweizer Fernsehens (SF) auf. Die «Rundschau» zeigte, wie Fans des FC Basel im Sonderzug nach Luzern (25. 8. 07) antisemitische Parolen und einen in den achtziger Jahren entstandenen Schlachtruf («Wir bauen eine U-Bahn von Luzern direkt nach Auschwitz») sangen. Der «U-Bahn-Song» (wie’s im Fan-Slang heisst) gehört freilich nicht nur zum Repertoire von FCB-Fans, doch befremdet der jüngste Vorfall umso mehr angesichts der Tatsache, dass im betreffenden Wagen Flugblätter verteilt wurden mit dem Hinweis, die Polizei werde von der «Rundschau» mit der Kamera begleitet – deshalb werde an alle appelliert, keine unüberlegten Gesänge anzustimmen. Thomas Gander, der Leiter des Fanprojektes Basel, verniedlicht die Ereignisse nicht, sagt aber, bloss rund ein Dutzend von gut 1000 Personen hätten gesungen. Die Betreffenden seien in der Muttenzer Kurve keine Leaderfiguren, zudem spiegle eine Fangemeinde oft die Realitäten der Gesellschaft. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt leitete – basierend auf der Strafbestimmung gegen Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB) – Ermittlungen ein, doch präsentiert sich die Situation heikel. Die Personen seien auf dem SF-Bildmaterial kaum erkennbar und Zeugen nicht vorhanden, sagt Markus Melzer, Kriminalkommissar der Staatsanwaltschaft.
Der auch an der NFP40+-Studie beteiligte Gander sagt, derzeit nehme keine rechtsextreme Gruppierung Einfluss auf die Fussballszene. Es scheint jedoch, die Problematik habe sich verlagert. Mit Sicherheit in die regionalen Ligen (wo sich regelmässig unterschiedliche Nationalitäten und Ethnien begegnen) – und offenbar auch in einschlägige Medien. Die Tessiner Sonntagszeitung «Il Mattino della Domenica» titelte Ende August: «Zu viele Schwarze im Schweizer Nationalteam»; auf dem Titelbild wurden Blaise Nkufo (gebürtiger Kongolese) und Johan Djourou (Ivoirien) gezeigt. Die Tessiner Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen den Herausgeber und populistischen Lega-Politiker Giuliano Bignasca auf – und stellte sie ein. Begründung: Es liege keine Verletzung der Rassismusstrafnorm vor.