Autor: Ingrid Hess
Sie heissen Altfaschisten, Neue Rechte, Nationalrevolutionäre, die Fronten, die Negationisten oder Revisionisten und Skinheads (vgl. Kasten).Ihnen fehlt zwar eine einheitliche Ideologie, doch gibt es einige verbindende Elemente: Fremdenhass, Nationalismus, Rassismus undAntisemitismus. Sie mystifzieren die Schweiz, Europa, die «weisse Rasse» und neigen zu Gewalt. Nichteuropäische Ausländer sind heute dieSündenböcke, früher waren es die Linken. Das geht aus einer gestern vorgestellte Studie zum «Rechtsextremismus in der Schweiz»* hervor.Sie wurde im Auftrag des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vom Historiker Urs Altermatt (Universität Freiburg) unddem Politikwissenschafter Hanspeter Kriesi (Universität Genf) verfasst.
Der erste Extremismusbericht von 1992 – eine Folge der Fichenaffäre – hatte erstmals offiziell dokumentiert, dass das Gewaltpotential derextremen Rechten längst dasjenige der extremen Linken überflügelt hatte, die Bedrohungslage vom einseitig auf die Linke konzentriertenStaatsschutz also falsch eingeschätzt worden war. Der nun vorliegende und wenige Tage vor den Wahlen vorgelegte Anschlussbericht widmetsich nur noch dem Rechtsextremismus.
«Die rechtsextreme Szene ist in der Schweiz zahlenmässig klein und organisatorisch schwach», so das Fazit der Autoren. Dennoch warnen sievor einer Verharmlosung des Rechtsextremismus. Auch wenn rechtsextreme Gewalttaten nach einem Höhepunkt in den Jahren 1989 bis 1991wieder abgenommen hätten, sei die extreme Rechte in der deutschen und der französischen Schweiz seit 1980 stärker geworden, so die Studie.Obwohl vor allem die Gewalttaten sie ins öffentliche Bewusstsein rückten, sei die extreme Rechte vor allem im stillen tätig. Die rechtsextremeSzene wird auf 300 bis 400 Personen geschätzt, Frauen sind selten darunter.
Verschiedene Entwicklungen leisteten dem Extremismus Vorschub: soziale Desintegration, die Lösung aus Primärbindungen (Familie, Beruf,Verein), Konkurrenzangst, Gefühl der Ersetzbarkeit – Entwicklungen, die durch Wirtschaftskrisen verstärkt werden. Hier setzen die extremenRechten an, indem sie sich dieser Ängste bedienen und einfache Lösungen anbieten.
Die Schweizer Rechtsextremen nehmen ihre Ideen aus dem benachbarten Ausland. Die Schweiz, in der Mitte Westeuropas gelegen, besitze eineinternationale Funktion als infrastrukturelle Drehscheibe. Hier fänden bereits internationale Treffen und Kolloquien statt. Die repressiveHaltung der ausländischen Behörden gegenüber Rechtsextremen habe manchmal zur Folge gehabt, dass diese in die Schweiz ausgewichenseien, wie Altermatt und sein Mitarbeiter Damir Skenderovic im ersten Teil der Studie schreiben.
Salonfähiger Rechtsextremismus
Im zweiten Teil widmen sich Hanspeter Kriesi und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität Genf der Frage der «Normalisierung»rechtsextremen Gedankenguts. Kriesi fasst den Begriff des Rechtsextremismus allerdings weiter als Altermatt und wendet ihn auch aufRechtsaussen-Parteien wie die Freihheitspartei und die Schweizer Demokraten an. Bei der rechtsradikalen Szene handle es sich nicht um einhermetisch nach aussen abgeschlossenes Milieu ausserhalb von gesellschaftlichen Regeln und Ressourcen, so Kriesi. Zwar bildeten sichrechtsradikale Werte in einem bestimmten Masse innerhalb der extremistischen Gruppierungen. Doch findet das extremistische Gedankengutseinen Weg in die Gesellschaft.
Ursprünglich als extremistisch geltende Meinungen würden salonfähig gemacht, so Kriesi. Eine wichtige Rolle kommt dabei den etabliertenParteien zu: Die Stimmengewinne rechtsextremer Parteien bei den Wahlen 1991 gingen hauptsächlich zulasten der FDP und der CVP. IhrBemühen, ihre rechtsradikale Wählerschaft nicht zu verlieren, habe zu einer thematischen Annäherung an die Rechtsaussenparteien geführt, wieKriesi feststellt.
Bürgerliche driften nach rechts
Dieses Abdriften nach rechts sei schon seit mehreren Jahren bei der SVP «unter der Ägide des populistischen Leaders Christoph Blocher» imGange. Eine klare Warnung schickt Kriesi aber auch an die anderen bürgerlichen Bundesratsparteien: «. . . auch die FDP und die CVP stehender SVP in nichts nach, wenn es darum geht, eine von der moderaten Behandlung heikler Themen wie der Einwanderungs-, Sicherheits- oderDrogenpolitik enttäuschte Wählerschaft zurückzuerobern.» Kriesi geht davon aus, dass die Annäherung an rechtsradikale Akteure eine weitereRadikalisierung zur Folge hat und keinesfalls eine Entschärfung der politischen Diskussion. Kritik übt der Genfer Politikwissenschafter aberauch an den Medien – vor allem der Deutschschweizer Boulevard presse. Vor allem die Medien verschafften den Gewaltakten eine Publizität,welche die radikalen Gruppierungen wegen ihrer bescheidenen Infrastruktur selbst nie erlangt hätten.
Die extreme Rechte werde in jedem Fall einen «substantiellen Erfolg» davontragen, auch wenn die Rechnung der Bürgerlichen aufginge unddiese ihre Wählerschaft behalten könnten, so Kriesi. Figurierten doch die Themen der Rechtsradikalen nun wenigstens teilweise im Programmvon Bundesratsparteien. Schliesslich verfügten die grossen Parteien über mehr Ressourcen zur Verbreitung ihrer Stellungnahmen; damit könneradikales Gedankengut nun leichter in die Öffentlichkeit gelangen.
*Urs Altermatt, Hanspeter Kriesi: «Rechtsextremismus in der Schweiz – Organisationen und Radikalisierung in den 1980er und 1990erJahren», Verlag Neue Zürcher Zeitung.
Sechs Typen
hei. Die Studie über den Rechtsextremismus in der Schweiz enthält als Novum eine Typologie der Organisationen im rechtsextremen Bereich:
- Altfaschisten beziehen sich auf historische Vorbilder des Faschismus und Nationalsozialismus. In der Schweiz haben sie seit den 70er Jahrenan Einfluss verloren. Bekannt ist vor allem Gaston-Armand Amaudruz, der diesen April an der Generalversammlung von Blochers Aunsteilnahm. Er ist ein aktiver Organisator und Ideologe mit breitem internationalem Beziehungsnetz.
- Die Neue Rechte bildet ein intellektueller Zirkel vorab in Genf um den Juristen Pascal Junod. Unter dem Enfluss der französischen Nouvelledroite stellten der Cercle Proudhon und der Cercle Thulé den intellektuellen Diskurs in den Vordergrund, was ihren Einfluss in der politischenElite verstärkte. Seit einigen Jahren ist die Neue Rechte auch in der Deutschschweiz präsent – so in Worblaufen BE, wo der Zirkel Avalon vorfünf Jahren gegründet wurde. Der Zirkel wendet sich nicht an die Öffentlichkeit. Anders diverse Publikationen: Mit «Memopress» und derenWeltverschwörungstheorien bringt SVP-Mitglied Emil Rahm vierteljährlich eine Auflage von 20 000 bis 40 000 zustande. Die «Schweizerzeit»enthält Artikel, die zum Teil aus der Feder von Autoren der Neuen Rechten in der BRD stammen. Als Redaktor fungiert auch Ulrich Schlüer,ehemaliger Kandidat der Republikaner. Er ist jetzt SVP- und Auns-Mitglied.
- Die Nationalrevolutionäre stehen ebenfalls stark unter französischem Einfluss und sind deshalb vor allem in der Romandie verankert. Siemachen durch politische Aktionen immer wieder auf sich aufmerksam.
- Die Fronten sind eindeutig in der Deutschschweiz verankert. Ende der 80er Jahre mit der Patriotischen Front in der Öffentlichkeit präsent,beschleunigte sich ihr Niedergang dadurch, dass Medien und Behörden die rassistisch motivierten Gewalttaten der Fröntler verurteilten.
- Die Negationisten oder Revisionisten, die den Holocaust an den Juden verharmlosen oder leugnen, treten erst seit Mitte der 80er Jahre inErscheinung. Seit 1993 wurde ein Aufschwung beobachtet. 1993 fand in einem Berner Hotel eine Negationisten-Veranstaltung statt. RobertFaurisson, einer der berühmtesten Negationisten Europas, hielt ein vierstündiges Referat. Max Wahl und Jürgen Graf sind in derDeutschschweiz die bekanntesten Negationisten. In der Westschweiz ist es erneut Amaudruz, der hier mit seinem «Courier du Continent»publizistisch tätig ist.
- Die Skinheads agieren überall in der Schweiz. Sie sind rassistisch und gewalttätig. Bekannt ist insbesondere die Langenthaler Szene. Dankeiner starken Antirassismus-Bewegung nahm der Aktivismus der Skinheads zunächst ab. Die Verbreitung ihrer Zeitschrift «Totenkopf» reichteüber die deutsche Schweiz hinaus.
rechtsextremismus /Interview mit dem Freiburger Geschichtsprofessor Urs Altermatt
Wie sich rechtsextreme Ideen ausbreiten können Rechtspopulistische Parteien und Politiker schaffen mit ihren fremdenfeindlichen und nationalistischen Parolen ein Klima, das dieAusbreitung des Rechtsextremismus fördern kann. Diese Auffassung vertritt der Freiburger Historiker Urs Altermatt, Mitautor desRechtsextremismusberichts.INTERVIEW: HEINER HÄNGGI
«BUND»: Herr Professor Altermatt, was bezwecken Sie damit, den Rechtsextremismus-Bericht nur wenige Tage vor den eidgenössischenWahlen zu veröffentlichen?
URS ALTERMATT: Im Zusammenhang mit den Wahlen nichts. Das Datum ist reiner Zufall. Der NZZ-Verlag wollte das Buch unbedingt aufdie Frankfurter Buchmesse hin herausbringen.
Sie unterscheiden sechs Typen von rechtsextremen Bewegungen. Welche sind die gefährlichsten?
Unsere Studie ergibt ein differenziertes Bild. Die seit Anfang der fünfziger Jahre existierende kleine Gruppe der Altfaschisten verliert seit densiebziger Jahren an Einfluss, besitzt aber im über siebzigjährigen Lausanner Gaston-Armand Amaudruz einen aktiven Organisator undIdeologen mit einem breiten internationalen Beziehungsnetz. Die intellektuellen Zirkel der Neuen Rechten bilden in der welschen Schweiz undvorab in Genf einen international vernetzten und zahlenmässig nicht zu unterschätzenden Schwerpunkt. Die Zahl der negationistischen Autorenist sehr beschränkt, ihre Schreibprodukte werden aber teilweise weit gestreut. Die Gefährlichkeit des Negationismus liegt darin, dass er direktund indirekt mit dem Antisemitismus verbunden ist. Schliesslich treten die militanten Skinheads in der ganzen Schweiz mit Aktionen undGewalttaten in Erscheinung.
Bedienen sich in der Schweiz rechtspopulistische Politiker ähnlicher Symbole wie Rechtsextreme?
Was die äusseren Symbole des rechtsextremen Lagers anbelangt, z. B. das Hakenkreuz, Odalsrunen, keltische Symbole, stellt man fest, dassdiese in rechtspopulistischen Parteien nicht verbreitet sind. Hingegen spielen einzelne Themenbereiche wie die Erhaltung des Schweizertums,die Bedrohung des «Weissen Europa», Asylbewerber als Drogenkriminelle auch bei rechtspopulistischen Parteien eine Rolle.
Welchen Anteil hat das rechtsbürgerliche Lager daran, dass rechtsextreme Denkmuster in der Schweizer Bevölkerung an Boden gewinnen?
Die politischen Debatten und die Gesetze über die Ausländer- und Flüchtlingspolitik, über die Kriminalität und die innere Sicherheit, über dieAussen- und Europapolitik wirken auf das allgemeine gesellschaftliche Klima zurück. Die rechtspopulistischen Parteien und Politiker aus derFreiheitspartei, den Schweizer Demokraten und der Lega dei Ticinesi schaffen mit ihren xenophoben und nationalistischen Parolen ein Klima,das die Ausbreitung des Rechtsextremismus fördern kann.
Sind es wirklich nur diese drei Rechtsaussenparteien, gehört nicht auch Blochers Zürcher SVP dazu?
Zum Rechtspopulismus bestimmt. Aber dieser war nicht Gegenstand unserer Studie. Es ist aber nicht zu übersehen, dass einzelne «Opinionleaders» und Richtungen des rechtsbürgerlichen Lagers die rechtsextremen Stimmungen, sprich: xenophobe und nationalistische Denkmustermittragen. So vermischen sich Abschottung gegen aussen mit der Ausgrenzung von Ausländern im Innern. Arbeitslosigkeit, Kriminalität undDrogenprobleme werden immer wieder mit Ausländerfragen und Asylpolitik verbunden. Vor dem Hintergrund eines solchen gesellschaftlichenKlimas gewinnen rechtsextreme Organisationen und Personen an Bedeutung. Rechtsextreme Denkmuster, wie etwa die oft vorgebrachteBedrohung des weissen Europa durch farbige Unterwanderung, können sich so ausbreiten. Deshalb gilt es, bei der allgemeinen Einschätzungder Lager über die oft marginalen Gruppen und Zirkel hinaus auf die gesellschaftlichen Entwicklungen zu blicken. Dieser Zugang hilft dieDiskussion zu versachlichen, denn es nützt der Sache der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft nichts, wenn man die halbe Schweizin einen rechtsextremen Topf wirft.
Wenn bürgerliche Parteien rechtspopulistische Themen wie z. B. «kriminelle Asylbewerber» aufgreifen, nehmen sie dadurch denRechtsextremen den Wind aus den Segeln, oder helfen sie mit, rechtsextremes Gedankengut salonfähig zu machen?
Persönlich plädiere ich für eine klare Abgrenzungsstrategie. Die Parteien und Massenmedien kommen nicht darum herum, sich vomRechtsextremismus klar zu distanzieren, um ihm auf dieser Weise jede Rechtfertigung zu nehmen. Die Parteien und Medien können auf dieseWeise viel zur Sensibilisierung der öffentlichen Meinung beitragen. Dies kann einer Ausbreitung rechtsextremer Denkmuster entgegenwirken.Man kann das Problem aber auch anders sehen, eine Sicht, die viele Parteistrategen vertreten: Konzessionen an rechtsextreme Diskurse tragenzur Normalisierung des rechtsextremen Denkens bei. Eine für rechtsextreme Postulate sensibilisierte Politik der bürgerlichen Parteien kann, sowird dann argumentiert, Wähler beruhigen und den Rechtspopulisten das Wasser abgraben. Allerdings ist es, so füge ich bei, unerlässlich,dass sich die bürgerlichen Parteien in diesem Fall von den Organisationen und Personen des rechtsextremen Lagers abgrenzen.