Sonntagszeitung.
Auch hierzulande werden dunkelhäutige Menschen oft mit unverhältnismässiger Härte von der Polizei kontrolliert. Ein Bericht stellt der Schweiz diesbezüglich ein schlechtes Zeugnis aus.
Mbene Mwambene kam 2015 aus Malawi für ein Studium an der Berner Hochschule der Künste in die Schweiz. Bereits nach ein paar Wochen machte er das erste Mal Bekanntschaft mit einem Phänomen, das Racial Profiling genannt wird – also dass jemand bloss wegen der Hautfarbe von der Polizei kontrolliert wird. Auf dem Weg zur Schule hielt ein Polizeiauto neben ihm an, ein Beamter sprang heraus und rief: «Stopp, Ausweis zeigen!» Der damals 30-Jährige verstand gar nicht, wie ihm geschah.
Fragte, warum man ihn angehalten habe. «Weil Schwarze Drogen verkaufen», habe er vom Polizisten zur Antwort bekommen und wurde in aller Öffentlichkeit durchsucht. «Dabei habe ich noch nie in meinem Leben Drogen genommen, rauchte nicht, trank keinen Alkohol», sagt Mwambene über den Vorfall vom Herbst 2015. «Es war demütigend und traumatisierend.»
Später durchsuchten fünf Beamte mit einem Drogenspürhund seine Wohnung und nahmen ihn auf den Posten mit, wo er eine Urinprobe abgeben musste. Die Frage, ob er einen Anwalt wolle, verneinte er. «Den kann ich mir doch nicht leisten.» Den Respekt vor der Polizei hat der 35-Jährige seither verloren. «Wenn ich Polizisten sehe, werde ich immer wütend und frustriert – es fühlt sich an, als würde ich gleich explodieren», erklärt er.
Schweiz setzt Empfehlungen nicht um
Ein erst kürzlich veröffentlichter Report stellt fest: Die Schweiz habe ein gravierendes Problem mit Rassismus, speziell mit Racial Profiling. Obwohl die UNO die Schweiz mehrfach darauf aufmerksam gemacht habe, zuletzt 2014, seien diskriminierende Polizeikontrollen nach wie vor verbreitet. Dies halten die Autoren des sogenannten Schattenberichts zuhanden des UNO-Ausschusses gegen Rassendiskriminierung (Cerd) fest. Im Gegensatz zum von Behörden verfassten Staatenbericht rapportieren darin über ein Dutzend NGOs, darunter Humanrights und Amnesty International, regelmässig ihre Erfahrungen. Der Cerd überwacht das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Rassendiskriminierung, dem die Schweiz 1994 beitrat.
Der Bericht zeichnet ein düsteres Bild zur Lage in der Schweiz. Seit der letzten Berichterstattung vor sechs Jahren habe sich die Situation nicht verbessert. Noch immer würden gegen Beamte, die sich rassistisch verhalten, oft keine rechtlichen Massnahmen ergriffen. In den Kantonen fehle nach wie vor ein unabhängiger Mechanismus für Beschwerden über Fehlverhalten der Polizei. Kurz: «Leider hat die Schweiz die Empfehlungen des Cerd nicht umgesetzt.»
Stattdessen seien Profiling nach Hautfarbe und Polizeigewalt nach wie vor üblich. Dies zeige unter anderem auch die Tatsache, dass in den letzten Jahren mehrere grössere soziale Bewegungen gegen Racial Profiling entstanden sind. Die in der Statistik festgehaltenen 23 Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs. «In der Schweiz herrscht die Meinung vor, dass Rassismus ein individuelles Problem ist, dabei zeigen Monitoring-Studien, dass Rassismus regelmässig und auf subtile Weise im Alltag auftritt.» In der Westschweiz sorgten zuletzt mehrere Todesfälle für massive Kritik an der Arbeit der Polizei. In Zürich sind zurzeit zwei Verfahren wegen diskriminierender Kontrollen vor Gericht hängig.
In einer Stellungnahme hält der Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, Stefan Blättler, fest, dass laut Gesetz Kontrollen allein aufgrund der Hautfarbe schon heute unzulässig seien. «Personenkontrollen dürfen gemäss Strafprozessordnung nur bei einem Anfangsverdacht erfolgen.» Sie dienten zur Ermittlung einer allfälligen Verbindung zwischen der angehaltenen Person und einer Straftat. Oft komme es bei Kontrollen zu Missverständnissen. «Deshalb thematisieren die Polizeikorps die Herausforderungen im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen sehr aktiv», sagt Blättler.
Polizei will auf NGOs zugehen
Ethik und Menschenrechte bilden schon jetzt einen wesentlichen Bestandteil der Polizeiausbildung. Die Schaffung von Ombudsstellen, wie im Cerd-Report gefordert, sei letztendlich ein politischer Entscheid, so Blättler. «Persönlich glaube ich, dass der Austausch mit den Communities und NGOs, verbunden mit Weiterbildungen, erfolgversprechender ist.»
Mwambene hat sich inzwischen eine Strategie zugelegt, wie er rassistische Kontrollen minimieren kann. Doch dafür muss er sich verkleiden. Obwohl er lieber T-Shirt trägt, hat er sich einen Stapel Hemden zugelegt. «In die Hose gestopft, hilft das.» Was in den USA gerade passiert, macht Mwambene traurig – und wütend. «Für mich ist klar, dass George Floyd nur wegen seiner Hautfarbe ums Leben kam.» Deshalb unterstützt er den Protest gegen Rassismus in den USA, sagt aber gleichzeitig: Rassismus sei auch hier in Europa ein Problem. Bloss kämen die Fälle oft nicht an die Öffentlichkeit. «Dabei», so Mwambene, «geht es doch nur um Gerechtigkeit!»