Die Luzerner Regierung zum Skinhead-Überfall in Hochdorf
Organisationen der Extremismus- und Terrorszene können selbst dann nicht präventiv überwacht werden, wenn sie auf der Beobachtungsliste des Staatsschutzes verzeichnet sind. Das schreibt die Luzerner Regierung in ihrer Antwort auf Interpellationen zum Skinhead-Anschlag auf ein Jugendfestival in Hochdorf. Muss der Staatsschutz tatsächlich ausgebaut werden, um gewalttätigen Extremismus wirksam bekämpfen zu können?
Samstagabend, 4. November 1995: 56 Vermummte überfallen in Hochdorf im Kanton Luzern das „Festival für Völkerfreundschaft“. Sie verletzen zehn Personen zum Teil schwer und richten Schaden von rund 15 000 Franken an.
Eigentlich planten diese Hammerskins ja, wie es in ihrem Brief heisst, „einen Angriff aufs Zürcher Niederdorf“. Doch weil die Rädelsführer bei ihrem Treffen am Freitag davor von der Aargauer Kantonspolizei kontrolliert worden waren, befürchteten sie, dass die Zürcher Ordnungshüter gewarnt sein könnten. Deshalb entschieden sich die Rechtsextremen – sie sind zwischen 15 1/2 und 32 Jahre alt – am Samstag kurzfristig zu einem Überfall in Hochdorf. Dieser dauerte etwa zehn Minuten, die Polizei kam erst einige Minuten nach dem Abzug der Schlägertruppe.
Bereitschaftsgrad erhöht
Die zentrale Frage im Nachgang dieses Ereignisses war: Hätte der Angriff verhindert werden können, zumal die Rädelsführer der Polizei seit Jahren bekannt waren? Nein, sagt nun die Luzerner Regierung in ihrer Antwort auf drei Interpellationen. Die ersten Hinweise auf den bevorstehenden Handstreich seien erst zwei Minuten vor Beginn der Aktion bei der Polizei eingetroffen. Deshalb habe die Polizei auch keine Chance gehabt, rechtzeitig vor Ort zu sein.
Die Luzerner Kantonspolizei trage, so versichert die Regierung weiter, „der Bedrohung durch militanten Extremismus verstärkt Rechnung“. Die Beamten seien angewiesen worden, allfällige Verdachtsmomente dem Kommando zu melden. Bei entsprechenden Hinweisen werde der Bereitschaftsgrad der Interventionskräfte temporär erhöht. Eine „permanente und länger andauernde Erhöhung“ sei aber aus Bestandesgründen nicht möglich.
Zudem genüge das heute geltende Strafrecht nicht, kritisiert die Luzerner Regierung: „Es erlaubt wohl eine Personenkontrolle, sofern die Organisation auf der Beobachtungsliste der Staatsschutzorgane aufgeführt ist. (Bei den Hammerskins ist dies der Fall). Eine präventive Überwachung der potentiellen Extremismus- und Terrorszene ist hingegen nicht möglich.“ Dazu bedürfe es einer speziellen Rechtsnorm, wie sie der Entwurf des Staatsschutz-Gesetzes vorschlage.
Staatsschutz-Weisungen erlauben Beobachtung
Bis zum Inkrafttreten des geplanten Bundesgesetzes regeln allerdings Weisungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes von September 1992 die präventiv-polizeiliche Tätigkeit. Auf diese Weisungen geht die Luzerner Regierung in ihrer Argumentation jedoch nicht ein, obwohl diese Bestimmungen es der Bundespolizei ausdrücklich erlauben, „alle erhältlichen Informationen“ über die auf der „Beobachtungsliste“ aufgeführten Organisationen und Gruppierungen sowie deren Exponenten zu sammeln. Ausgeschlossen sind dabei lediglich rein präventive Telefonüberwachungen und sogenannte Lauschangriffe auf Privatwohnungen ausserhalb einer Strafuntersuchung.
Paul Rechsteiner: Das Strafrecht genügt
Es überrasche ihn nicht, dass der Überfall der Hammerskins nun dazu benutzt werde, nach einer verstärkten Überwachung und einem Staatsschutzgesetz zu rufen, kommentiert Paul Rechsteiner vom Initiativkomitee „S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei“ die Stellungnahme der Luzerner Regierung. Denn der Staatsschutz leide heute offensichtlich „unter einem Legitimationsverlust“. Zuerst habe man vergeblich versucht, neue Überwachungskompetenzen mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechen zu rechtfertigen. Jetzt argumentiere man wieder mit dem Rechtsextremismus und allen möglichen andern Dingen für den Staatsschutz.
„Die richtige Antwort des Staates auf die rechtsextreme Gefahr ist die entschlossene Verfolgung der von diesen Leuten begangenen Straftaten“, fährt der St. Galler SP-Nationalrat und Jurist fort. Schliesslich biete das geltende Strafrecht genügend Handlungsmöglichkeiten, da bereits Drohungen und Vorbereitungstaten strafbar seien und die Polizei somit sehr früh eingreifen könne. Zudem schaffe auch der Rassismusartikel in vielen Fällen die nötige Legitimation zum Vorgehen gegen Rechtsextreme.
Rechsteiner attestiert den Luzerner Behörden, verhältnismässig rasch strafrechtlich und politisch auf den Überfall von Hochdorf reagiert zu haben. In andern Kantonen sei das dagegen nicht immer der Fall gewesen. Insgesamt könne man jedoch, räumt der St. Galler Nationalrat ein, heute eine gewisse Sensibilisierung im Bereich Rechtsextremismus feststellen: „Früher waren die Behörden beim Rechtsextremismus auf beiden Augen blind, heute sind sie es wenigstens nur noch auf einem.“
Rückkehr ins Fichenzeitalter verhindern
Ganz uneingeschränkt will sich im übrigen auch die Luzerner Regierung nicht für eine stärkere präventive Überwachung aussprechen. Sie ist sich offenbar der damit verbundenen Gefahren für die persönliche Freiheit der Bürgerinnen und Bürger bewusst. Deshalb hält sie ausdrücklich fest, dass die rechtlichen Schranken sehr eng gesetzt werden müssten, damit eine „Rückkehr ins Fichenzeitalter unmöglich ist“.