Aargauer Zeitung. Botschafter von Russland und Belarus feiern mit der Biker-Gang «Nachtwölfe» am Urner Suworow-Denkmal. Der Anlass von vergangenem Samstag wird in Russland propagandistisch ausgeschlachtet.
Die russische Botschaft in Bern kann zufrieden sein. Innert kurzer Zeit sind ihr gleich zwei Erfolge in der weltweiten Propagandaschlacht gelungen. Erst neulich konnte sie ein Foto von Bundespräsident Ignazio Cassis verbreiten, der an der Seite des russischen Aussenministers Sergei Lawrow in die Kamera grinst. Und jetzt das: Vergangenen Samstag hielten der russische Botschafter Sergei Garmonin und sein belarussisches Pendant eine patriotische Gedenkfeier ab, flankiert von internationalen Vertretern der berüchtigten Biker-Gang «Nachtwölfe» sowie Repräsentanten der russisch-orthodoxen Kirche – mitten in der Schweiz.
Die russische Nachrichtenagentur TASS nahm die Meldung dankbar auf, schrieb von einer Feier, die trotz Widerstand der Schweizer Behörden habe stattfinden können. «Russkiymir» titelte keck: «Die Schweiz feiert den Jahrestag der Alpenüberquerung der Armee von Alexander Suworow». Das russische Aussenministerium teilte einen Tweet dazu. Was war geschehen?
Merz mit Medwedew
Seit September 1898, dem hundertsten Jahrestag der Schlacht in der Schöllenenschlucht, erinnert das Russendenkmal an General Alexander Suworow, der im zweiten Koalitionskrieg die Franzosen unter grossen Verlusten geschlagen hatte. Das riesige Kreuz war schon in seiner Entstehung ein Politikum. Der Bundesrat sah es aus Gründen der Neutralität nicht gerne, dass ausgerechnet am Gotthard eine fremde Macht ihrem Feldherrn gedenken wollte. Indem man das Kreuz den toten Soldaten widmete, fand man einen Kompromiss.
Die Erinnerungskultur insbesondere an kriegerische Auseinandersetzungen hat einen hohen Stellenwert in einem Land, dessen immense Verluste auf dem Feld eine Konstante in der Geschichte bedeuten. 2009 war es der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew, der einen Kranz vor das Kreuz bei Andermatt legte, zusammen mit Bundesrat Hans-Rudolf Merz.
Behörden und Botschaft suchen einen Weg
Dieses Jahr stand der Gedenktag freilich unter anderen Vorzeichen. Als die Urner Behörden von einer möglichen Gedenkfeier der russischen Botschaft in Bern – Eigentümerin des Denkmals – Wind bekamen, standen sie vor einer schwierigen Frage. Wie soll das stattfinden? «Vor dem Hintergrund des aktuellen kriegerischen Konflikts in der Ukraine habe ich das Gespräch mit der russischen Botschaft und dem Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) gesucht», erzählt Gustav Planzer, stellvertretender Kommandant der Urner Kantonspolizei. «Als Resultat der Gespräche wurde die Gedenkzeremonie in einem kleinen, privaten Rahmen durchgeführt. Die Gedenkzeremonie musste im Vergleich zu anderen Jahren personell, zeitlich und inhaltlich stark redimensioniert werden.»
Die Kantonsbehörden bemühten sich, den Ball flach zu halten. Von der Regierung nahm niemand am Anlass teil, lokale Medien, sonst regelmässig zu Gast an der Feier, wurden nicht informiert. So klein sei die Feier gewesen, dass es nicht einmal mehr eine Bewilligung brauchte. Sicherheitskräfte waren vor Ort, aber wohl, weil «völkerrechtlich geschützten Personen besondere Schutzmassnahmen gewährleistet werden müssen», wie Planzer erklärt. Schutz für die Diplomaten aus Russland und Belarus also.
Ganz anders hatte das noch im Frühling ausgesehen, als eine russische Gedenkfeier im Friedhof Hörnli in Basel stattfand: Dutzende Beamte in Vollmontur riegelten den ganzen Friedhof ab. Grund für die Vorsorge war unter anderem ein Aufmarsch der Nachtwölfe, die nationalistische Biker-Gang von Putins Gnaden. Während des offiziellen Teils der Feier mussten die Biker draussen warten.
Ein Totenkopf-Helm mit dem weissen «Z»
Auch am vergangenen Samstag kreuzten die Nachtwölfe auf. Der russische Botschafter verbreitete Bilder, auf denen er sich mit deren Schweizer Anführer Artjom S. sowie anderen in Szene setzt. Wie die Nachtwölfe auf Facebook schrieben, soll es sich um ein internationales Treffen gehandelt haben, mit Vertretern von Chaptern etwa aus Serbien, Montenegro oder Deutschland. Das deutet auf gute Vernetzung hin: Das Schweizer Chapter sei noch relativ jung und auch nicht sehr gross, schreibt das Fedpol. Man gehe von einer einstelligen Mitgliederzahl aus, «die in der Schweiz bisher aus polizeilicher Sicht unauffällig geblieben ist».
Dass es beim nationalistischen Stelldichein nicht nur um Positionsbezug für vergangene Kriege ging, beweist hingegen ein anderes Foto: Darauf posieren die Rocker hinter einem behelmten Totenkopf mit weissem «Z» auf der Stirnseite – dem Symbol von Putins Ukraine-Invasion. Das Foto dürfte im Kontext des Rockertreffens entstanden sein. In Telegram-Chats verbreiteten sich Bilder des Schweizer Treffens um den Globus.
Eine Ikone für den «Freund der Russen»
Obwohl die Urner Regierung dieses Jahr der Schöllenenschlucht fernblieb: Mindestens ein Schweizer war vor Ort und das in prominenter Rolle. Ferdinand Muheim, ehemaliger Gemeindepräsident von Andermatt, Ex-Verwaltungsrat des Eishockey-Clubs Ambri Piotta und selbst ernannter Freund der Russen, durfte die Wertschätzung der Föderation entgegennehmen. Für seine Verdienste im Rahmen der Suworow-Stiftung wurde er im Kreis eines orthodoxen Vikars gar mit der Ikone eines russischen Admirals geehrt. Es war nicht die erste Würde für den Träger des Lenin-Ordens und des «Orden der Freundschaft», angeordnet von Putin persönlich.
Muheim wollte sich auf Anfrage nicht zur Veranstaltung äussern, am Telefon gibt er sich kurz angebunden: Die Medien hätten schon genug kaputtgemacht. Gut möglich, dass Muheim auf vergangenen Frühling anspielt. Eigentlich als Ehrengast am Zürcher Sechseläuten geladen, wurden ihm seine Verbindungen in Russlands Elite nach einem NZZ-Artikel zum Verhängnis: Kurzerhand lud die Zunft zur Schneidern Muheim wieder aus. Dabei hatte sich Muheim vom russischen Kriegstreiben distanziert.
EDA verweist auf Verantwortung des Kantons
Schmallippig fällt auch die Antwort des Departements für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf einen Fragenkatalog dieser Zeitung aus. Ein Sprecher bestätigt den Kontakt mit den Urner Behörden. Dort liege auch die Verantwortung: «Der Entscheid zur Durchführung des Anlasses lag beim Kanton. Die Kantonsbehörden haben angeordnet, dass die Zeremonie mit Einschränkungen durchgeführt werden soll.»