110 Schüsse als «Denkzettel»
Am Montag beginnt der Prozess gegen drei junge Männer, die im Sommer 2000 an der Schiesserei auf die Wohngemeinschaft Solterpolter beteiligt waren. Die rechtsextremen Täter handelten aus Hass gegen Linke.
Eveline Kunz, Bernhard Giger
«Es ist ein grosses Wunder und ein Zufall, dass niemand zu Schaden gekommen ist», sagte am Tag danach Franz Märki vom Informationsdienst der Berner Stadtpolizei. In der Nacht auf den 10. Juli 2000 hatten zunächst unbekannnte Täter mehrere Sturmgewehr-Magazine mit GP-90-Munition auf die von Linksautonomen bewohnte Liegenschaft unterhalb der Marzilibahn-Talstation abgefeuert.Bereits wenige Stunden danach konnte die Berner Stadtpolizei den Schützen festnehmen: einen 22-jährigen Arztsohn aus der Agglomeration. Die Polizei überraschte ihn in seinem Bett in der elterlichen Wohnung. Dabei konnten auch ein Sturmgewehr und rechtsextreme Literatur sichergestellt werden. Dem ersten Fahndungserfolg folgten bald weitere: Ein paar Tage später wurden im Wallis und in Wabern zwei Verdächtige festgenommen.
Die rechte Szene
Der Anschlag auf die Solterpolter-Wohngemeinschaft geschah in einer Zeit erhöhter Aktivitäten rechtsextremer Jugendlicher. Im Sommer 2000 kam es an mehreren Orten in der Schweiz zu Schlägereien zwischen Skinheads und Punks – zwischen «Neonazis» und Linksautonomen. Und auf dem Rütli störten Rechtsextreme die Bundesfeierrede von Bundesrat Kaspar Villiger: Das Treiben der rechtsradikalen Szene wurde für einige Wochen zu einem innenpolitischen Hauptthema.«Die polizeiliche Aufmerksamkeit ist heute eindeutig auf die rechte Szene gerichtet, weil die Risiken dort viel grösser sind als auf der linken Seite», sagte Fritz Schlüchter vom Informationsdienst der Berner Stadtpolizei, ein profunder Kenner der rechtsextremen Szene, gegenüber dieser Zeitung. Und sein damaliger Chef, Polizeikommandant Christoph Hoffmann, erklärte, dass «die rechte Gefahr von den Politikern häufig unterschätzt oder verniedlicht» werde, insbesondere «von rechten Politikern, aber auch bis ins bürgerliche Lager hinein». Als Gefahr bezeichneten sowohl Hoffmann als auch Schlüchter die grössere Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen gegenüber jener der Linksextremen. Offensichtlich wurde damals auch, dass die Agglomeration Bern ein Zentrum rechtsextremer Aktivitäten ist. «Es ist auffällig», sagte Rechtsextremismus-Experte Hans Stutz, «dass in der Agglomeration Bern immer wieder linke Institutionen von Rechtsextremisten angegriffen werden. In Bezug auf solche Angriffe ist Bern führend und der restlichen Schweiz einen Schritt voraus». Auch die Solterpolter-Wohngemeinschaft war bereits vor dem Anschlag vom 10. Juli mehrmals Ziel rechtsextremer Attacken gewesen.
«Sieg Heil»-Rufe
In dem am Montag beginnenden Prozess gegen die drei Beteiligten am Solterpolter-Anschlag, der unter strengen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt wird, werden rechtliche Fragen geklärt. Aber der Prozess wird auch für den politischen Umgang mit der radikalen Randgruppe von Bedeutung sein.Angeschuldigt sind die drei jungen Männer der versuchten Tötung. «110 Schuss in Einzel- und Seriefeuer» haben sie laut Anklage gegen drei Uhr nachts auf das Soltermann-Gebäude abgegeben. Das mutmassliche Motiv: Die drei wollten den Bewohnern der alternativen Wohngemeinschaft «durch Hinstehen und auf die Hütte losballern einen Denkzettel verpassen». Beim ältesten Angeschuldigten, dem inzwischen 23-jährigen Arztsohn, holten sie ein Sturmgewehr. Im Schiessstand Schliern-Platten beschafften sie sich ein zweites Sturmgewehr, Magazine und rund 110 Schuss Munition. Unter «Sieg Heil»-Rufen schossen sie hauptsächlich auf die Schiebetüre der Soltermann-Liegenschaft. Damit haben sie laut Anklage die fünf Personen im Gebäude konkret an Leib und Leben bedroht. Sie müssen sich wegen vollendeten Versuchs der vorsätzlichen Tötung vor Gericht verantworten.
Hakenkreuze und Parolen
Der älteste Angeschuldigte befindet sich bereits im vorzeitigen Strafvollzug. Laut Anklage war er zusätzlich mit 20 bis 30 Personen aus der Skinhead-Szene an einem Raufhandel an der Burgdorfer «Solätte» vom 26. Juni 2000 beteiligt. Zudem sollen er und die beiden jüngeren Angeschuldigten im Juni 2000 den Bahnhof Köniz mit Hakenkreuzen und rechtsextremen Parolen verschmiert haben. Die beiden Mitangeklagten hätten zudem ein Bus-Wartehäuschen in Bern besprayt. Die Vorwürfe reichen von Rassendiskriminierung über Sachbeschädigung bis zu missbräuchlicher Verwendung von Armeematerial. Die beiden jüngeren Angeschuldigten befinden sich nach 141 bzw. 37 Tagen Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuss.
Urteil am Freitag
Zu Prozessbeginn am Montag wird das Kreisgericht unter dem Vorsitz von Gerichtspräsident Peter Reusser die drei Angeschuldigten befragen. Am Dienstag nehmen die Richter einen Augenschein vor Ort, am Mittwoch folgen die Plädoyers. Das Gericht wird sein Urteil voraussichtlich am Freitag bekanntgeben.