Hetzkampagnen, Pauschalurteile und die Ausländerkriminalität gehören zum Nährboden des Rechtsextremismus. Auch im Luzerner Hinterland.
von Norbert Bossart
Rechtsextreme aus dem Hinterland haben mit Straftaten schweizweit für fette Negativschlagzeilen gesorgt: Die Aktion Willisau gegen Rassismus wollte die Ereignisse der letzten Monate hinterfragen und nach möglichen Lösungsansätzen suchen. Daher lud sie zu einem Podium mit Hans Stutz (Journalist), Beat Hensler (Kommandant der Kantonspolizei Luzern), Hubert Müller (Schulleiter), Lathan Suntharalingam (SP-Grossstadtrat Luzern). Das Publikumsinteresse war gross, der Willisauer Jugendraum voll besetzt.
Nicht Opfer, sondern Täter
Warum wird jemand rechtsradikal? «Ist es nur ein stummer Schrei nach Liebe?», fragte Podiumsleiter Andreas Bättig. «Rechtsextreme sind nicht Opfer, sondern Täter. Sie gehen auf gesellschaftliche Minderheiten los», sagte Hans Stutz, der als Journalist die «braune Szene» seit Jahren intensiv beobachtet. Die Entsolidarisierung der Gesellschaft sei keine Voraussetzung für den Rechtsextremismus. «Sie wird von den Rechtsextremen vielmehr als Vorwand für ihre politische Tätigkeit missbraucht.» Eine Gesellschaft, in der die Solidarität aber gelebt werde, nehme den Rechten «die Luft aus den Segeln». Daher gelte es alle zu ermuntern, die gegen Neonazis ankämpfen.
Der rechtsbürgerliche Nährboden
Bereits im Elternhaus können im Kampf gegen den Extremismus Weichen gestellt werden. «Rechtsextreme Jugendliche stammen weitgehend aus rechts eingestellten Familien», sagte Hans Stutz. Sind Rechtsextreme die Opposition zur einstigen 68er-Bewegung? «Diese These ist längst widerlegt.»
Rechtsbürgerliche Parteien, so der Luzerner SP-Grossstadtrat Lathan Suntharalingam, würden in Abstimmungskämpfen regelmässig gegen gesellschaftliche Minderheiten polemisieren und Pauschalurteile verbreiten. «Solche Hetzkampagnen sind Nährboden für den Rechtsextremismus.» Sie würden verunsicherte Jugendliche ansprechen.
«Die Grenze zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist fliessender geworden», sagte Beat Hensler, Kommandant der Kantonspolizei Luzern. Eine ähnliche «Grauzone» gebe es auf der linken Seite. Am WEF 2003 hätten sich aber massgebende SP-Politiker klar gegen die Gewalt ausgesprochen. «Von da an wussten wir, wen wir polizeilich in den Fokus nehmen mussten.» Auch rechte und rechtspopulistische Parteien könnten der Polizei die Arbeit erleichtern. «Mit einer klaren Distanzierung vom Rechtsextremismus», sagte Hensler und fügte an: «Nur höre ich sie in diesem Land nicht oder nur sehr schwach.»
Dies liege auf gar keinen Fall an seinem Hörvermögen, bemerkte daraufhin Hans Stutz. «Solche Stimmen gibt es ganz und gar nicht. Im Gegenteil.» Und Stutz kam auf die SVP des Kantons Luzern zu sprechen. Deren Vizepräsident habe für das Tun der Rechtsextremisten am Nationalfeiertag auf dem Rütli Verständnis gezeigt. «Er hat mit denselben Argumenten Bundespräsident Schmid kritisiert, die auf rechtsextremen Web-Seiten zu finden sind», hielt Stutz fest.
Neonazis nicht totschweigen…
«Die Angriffe auf unsere demokratischen Strukturen gilt es immer wieder zu einem öffentlichen Thema zu machen», forderte Hans Stutz. Kommandant Beat Hensler wies danach auf die Zwickmühle hin, in der Polizei und Presse bei ihrer Informationspolitik oftmals stecken. Zeitungsberichte und Bilder mit Nazisymbolen und Waffen könnten nicht nur sensibilisieren, sondern zur unerwünschten Plattform für rechtsextremes Gedankengut werden. Hensler verwies zum Beispiel auf Reaktionen nach der Berichterstattung über die Straftaten der Helvetischen Jugend: «Es gab Leute aus der rechten Szene, die jubelten und stolz waren, endlich in der Zeitung zu sein.» Hans Stutz wandte sich gegen eine Berichterstattung mit angezogener Handbremse: «Nur wenn offensiv informiert wird, kennt die Bevölkerung die Probleme und Tendenzen.» Dabei müsse in Kauf genommen werden, «dass zum Beispiel ein Rechtsextremer wie der Oberleutnant aus dem Amt Willisau ein bisschen bekannter wird».
…sondern darüber reden
«Wenn wir die Probleme unter den Tisch wischen, wird es sicher nicht besser», weiss auch Hensler. «Daher ist es das Beste, darüber zu reden, wie wir es heute Abend machen.» Im Gespräch gebe es möglicherweise rote Köpfe. «Aber es passiert wenigstens etwas.» Es gelte zu sensibilisieren und dem einen oder andern die Augen zu öffen. Auch an der Schule.
«Müsste an der Schule ein KZ-Besuch zum Pflichtstoff werden?», erkundigte sich der Podiumsleiter bei Hubert Müller, Schulleiter an der Willisauer Sekundarstufe 1. Dies sei finanziell kaum realisierbar, hielt Müller fest.
Vorbeugen sei besser als heilen. Daher gilt es laut Hubert Müller, bei einer Zahl von gegen 400 Schülern und einem Ausländeranteil von rund 15 Prozent «mit den Verschiedenheiten umzugehen und Konflikte fair auszutragen».
Auch im (Geschichts-) Unterricht sei der Nationalsozialismus ein Thema. Und: «Wir Lehrkräfte versuchen Behauptungen, die einfach so in die Welt gesetzt werden, mit Fakten zu widerlegen.» Dies sei wichtig. Schulleiter Müller: «Zwar wird auf dem Willisauer Schulhausareal nicht verstärkt mit nationalsozialistischem Gedankengut geflirtet. Aber es gibt Vereinzelte, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ins rechtsextreme Lager abdriften könnten.» Schule, Gemeinde und Polizei haben daher ein Netzwerk gegen Gewalt und Sucht errichtet. Besorgte Eltern, so Müller, könnten auch beim Sozialberatungszentrum Rat suchen.
Integrieren…
Für Beat Hensler muss im Kampf gegen den Rechtsextremismus der Ausländer-integration im Vereins- und Schulleben grosse Bedeutung zugemessen werden. «Hier kann die persönliche Betroffenheit gefördert werden», sagte der Kommandant der Kantonspolizei und folgert: «Die Einführung von reinen Ausländerklassen wäre fatal.»
…und verurteilen
Gleichzeitig wandte sich Hensler gegen das Schönreden von Problemen mit Ausländern. Grund: «Auch die Ausländerkriminalität ist Nährboden für den Rechtsextremismus.» Statistiken würden eine deutliche Sprache sprechen: 53 Prozent aller Straftaten werden laut Hensler von Ausländern begangen, bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. «Diese Zahlen dürfen wir nicht negieren, sondern müssen sie diskutieren.» Das Thema Ausländerkriminalität dürfe nicht tabuisiert werden. Dabei gelte es aber zu beachten, dass viele ausländische Straffällige Kriminaltouristen sind. «Die grosse Mehrheit der Ausländer in unserem Land verhält sich korrekt und will sich integrieren», betonte Hensler.
Rock gegen Rassismus
Im Anschluss an das Podium lud der Verein «Aktion Willisau gegen Rassismus» zur Konzertnacht. Gleich vier Bands waren zu hören.
Kraftvoll eröffnete die Willisauer Gruppe «Luftschutz» die gut besuchte Veranstaltung. Mit hämmerndem Punk heizte sie dem Publikum von Beginn weg ein. So war der Pogobereich vor der Bühne sofort mit herumhüpfenden Besuchern gefüllt. Rotzfrech schmetterte danach «Trickdieb» dreckigen Oldschool-Punkrock in den Jugendraum. Die Willisauer Diebe sorgten mit ihrer charismatischen Sängerin für zufriedenes Grinsen. Später ging es laut und brachial weiter. «Deus ex Machina», letztjährige Finalisten des Nachwuchsband-Contests «Sprungfeder», spielten ein Konzert auf gutem Niveau. So überzeugten die fünf Innerschweizer mit schweisstreibendem und solidem Progressiverock. Die St. Galler Punkband «No fight no glory» rundete den Anlass ab. Mit schnellen Riffs und kraftvollem Gesang gaben die drei Ostschweizer noch einmal alles. Deutlich erschöpft von den Konzerten verliessen die Besucher gegen Mitternacht das Lokal.Andreas Bättig