NZZ am Sonntag. Rund um die Kundgebungen tummeln sich Personen aus dem rechtsextremen Milieu.
Die Ersten demonstrieren gegen das Zwangsimpfen, die Zweiten für ein Leben ohne Laster, die Dritten gegen Strahlen von 5G, die Vierten für esoterische Therapien, die Fünften gegen Bill Gates. Fast allen aber ist gemein: Sie sind überzeugt davon, dass der Staat allmächtig wird und ihnen ihre Freiheit raubt.
Demonstrationen gegen staatliche Anti-Corona-Massnahmen gibt es in der Schweiz seit drei Wochen. Gestern gingen in Zürich, Basel, Bern und anderen Städten mehrere hundert Personen auf die Strasse. Auf ihren Transparenten stand: «Schluss mit Manipulation» oder «Gib Gates keine Chance». Der amerikanische Microsoft-Gründer ist Zielscheibe zahlreicher Verschwörungstheoretiker.
Die Demonstrationen sind allerdings gar nicht erlaubt; so will es die Covid-19-Verordnung des Bundesrats. Deshalb büsste und verzeigte die Polizei gestern zahlreiche Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen.
So auch die Berner Kantonspolizei. Im Zusammenhang mit den Corona-Demonstrationen ermittelt diese aber nicht nur wegen Verstössen gegen die Covid-19-Verordnung, sondern auch wegen Rassendiskriminierung. Das bestätigt Polizei-Sprecherin Jolanda Egger.
Aktiv geworden ist auch der Schweizer Geheimdienst. «Der Nachrichtendienst des Bundes steht mit den kantonalen Sicherheitsbehörden in Kontakt», sagt Sprecherin Isabelle Graber. In der Vergangenheit hätten gewalttätige Rechts- und Linksextreme wiederholt versucht, friedliche Protestbewegungen zu unterwandern, zu radikalisieren und als Plattformen für Gewaltanwendung zu missbrauchen. «Der Nachrichtendienst des Bundes schliesst nicht aus, dass es auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise solche Szenarien geben kann», sagt Graber.
Fest steht: Rund um die Demonstrationen tummeln sich etliche Personen aus dem rechtsextremen Milieu. Das zeigt unter anderem ein Gruppen-Chat, in dem sich Teilnehmer der Kundgebungen austauschten. Beiträge daraus hat die Berner Zeitschrift «Megafon» öffentlich gemacht.
Im Chat ging es bei weitem nicht nur um den Protest gegen die staatlichen Corona-Massnahmen, sondern auch um rechtsextremes Gedankengut. So schrieb einer von «QAnon», einer teils rechtsextremen, teils antisemitischen Verschwörungstheorie. Ein anderer postete ein Titelbild der nationalsozialistischen Zeitschrift «Der Stürmer». Darauf stand der Satz: «Die Juden sind unser Unglück». Und ein Dritter schrieb: «Im Zweiten Weltkrieg wurden nicht sechs Millionen Juden vergast. Nicht eine Person wurde von Deutschen vergast.» Diese Aussage ist nichts anderes als die Leugnung des Holocausts.
An der Demonstration vom vorletzten Samstag in Bern nahm auch Ignaz Bearth teil, ein ehemaliges Mitglied der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos). Vier Tage später schwärmte der 36-jährige St. Galler in einem Interview auf Youtube vom Anlass. In Bern habe «ein Feeling wie 2015 bei Pegida in Dresden» geherrscht. Pegida ist eine islam- und fremdenfeindliche Gruppierung aus Deutschland.
Daneben ermittelt die Polizei auch gegen die Organisatoren der verbotenen Demonstrationen. «Die Abklärungen sind am Laufen», sagt Dionys Widmer, Sprecher der Stadtpolizei St. Gallen. Und auch Jolanda Egger, Sprecherin der Kantonspolizei Bern, bestätigt entsprechende Ermittlungen.
Wer die Demonstrationen organisiert, ist noch immer nicht bekannt. Allerdings: Auf der Website www.zeitpunkt.ch kündigte der 61-jährige Aargauer Alec Gagneux am 23. April 2020 erstmals an, er werde am Samstag darauf in Bern eine «Mahnwache» für Grundrechte abhalten. Er lade Gleichgesinnte ein, schrieb Gagneux. Seither ist die Bewegung gegen die Pandemie-Massnahmen des Bundesrats kontinuierlich gewachsen.
Die Idee der «Mahnwache» bekannt gemacht hat der Verleger und Journalist Christoph Pfluger, der die Website www.zeitpunkt.ch betreibt und ein gleichnamiges Magazin in einer Auflage von 10 000 Exemplaren herausgibt. Der 65-jährige Solothurner schreibt seit Ende März Texte gegen den Lockdown. In einem Sonderheft mit dem Titel «Corona – das riesige Nichts» bezweifelt er, dass das Virus überhaupt einmal da war.
Mit Gagneux sei er befreundet, sagt Pfluger am Telefon. Nachdem er von dessen Vorhaben erfahren habe, sei der Plan gereift, die Idee zu verbreiten. Pfluger betont, die regelmässigen Ankündigungen auf seiner Website seien kein Aufruf. Es handle sich nicht um organisierte Aktionen. Pfluger räumt aber ein, man könne sagen, dass er die Leute abgeholt und die Bewegung angeschoben habe. «Ich habe die Volksseele angesprochen, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gegenüber dem Bundesrat ist spürbar.»
Dass auch Rechtsextreme die Mahnwachen für ihre Zwecke nutzten, sei verwerflich. «Ich kann das nicht verhindern», sagt Pfluger. Es sei aber üblich, dass nicht die gemässigten Gruppen auf die Strasse gingen.
Pfluger begab sich aber mehrmals selbst in den Dunstkreis von Rechtsaussen: So liess er sich im Internetfernsehen www.alpenparlament.tv zu Corona befragen. Der Kanal wird von Martin Frischknecht betrieben; er gilt als Verschwörungstheoretiker mit Hang zu Esoterik und rechtsradikalen Positionen.
In Frischknechts Organisation «Alpenparlament» wirkt auch ein Mann mit, der im letzten Februar wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden ist. Er hatte antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet. Der entsprechende Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Berner Oberland ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
In die Nähe von Rechtsextremen begab sich Pfluger auch, als er in Sendungen des deutschen Videoproduzenten Ken Jebsen auftrat. Dem ehemaligen Radiomoderator des Senders Berlin-Brandenburg waren 2011 antisemitische Äusserungen vorgeworfen worden. Heute verbreitet er als Betreiber einer Website und eines Youtube-Kanals Verschwörungstheorien. Er gilt als einer der Drahtzieher der Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen in Deutschland.
Christoph Pfluger und Alec Gagneux sind zu den Gesichtern des Corona-Protests in der Schweiz geworden. Gagneux selbst war Mitinitiant der Ecopop-Initiative, die sich aus Umweltschutz-Gründen gegen eine Überbevölkerung der Schweiz richtete. Die Initiative wurde 2014 deutlich abgelehnt.
Gagneux sieht sich als Friedensaktivist, der sich nicht in einer politischen Ecke verorten lassen will. Er schliesst sich in Beiträgen im Internet der These an, Bill Gates sei für die unbegründete Panik rund um die Pandemie verantwortlich.
Daneben verweist Gagneux auf den Rat von Arzt Andres Bircher, der heisse Bäder als wirksames Mittel gegen das Corona-Virus bezeichnet. Mit solchen Bekundungen verärgerte Gagneux den Vorstand des Vereins Ecopop, der sich von den Äusserungen des Aktivisten öffentlich distanzierte.
Angesprochen auf rechtsradikale Teilnehmer an den «Mahnwachen», sagt Gagneux: «Schubladen wie links und rechts werden gerne benutzt, um Menschen zu spalten. Da mache ich nicht mit.» Er stört sich selbst an Teilnehmern wie Ignaz Bearth kaum. Gagneux sagt: «Ich kenne diesen Menschen nicht. Aber was ich weiss, hat er niemanden umgebracht und keine Kriege angezettelt.»