zentral+: In Luzern meldete Pegida Schweiz eine Kundgebung an. Das tat sie in anderen Städtchen auch. Überall vergebens. Ein Blick auf eine Bewegung, die nicht über Ankündigungen hinauskommt.
Pegida Schweiz erreicht zwar grosse Medienbeachtung, auch in den vergangenen Wochen. Nur: Wer ist denn Pegida Schweiz? Eine Volksbewegung – oder ein Zeitvertreib einiger politisch Rechtsaussenstehender?
Ein Blick zurück – Anfang Januar vergangenes Jahr. In Dresden im östlichen Bundesland Sachsen treffen sich seit Wochen jeweils montags Männer und Frauen, um zu demonstrieren, gegen Muslime, gegen Flüchtlinge, gegen die «Lügenpresse». Sie nennen sich «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) und halten sich für «das Volk». Bis zu 25’000 Menschen folgen in Dresden den Pegida-Aufrufen, doch in anderen deutschen Städten (Ausnahme Leipzig) kommt die Bewegung nie über einen Anfang hinaus. Häufig stehen den Pegida-Teilnehmern mehr Gegendemonstranten gegenüber, manchmal auch in Dresden. Im Klartext: Pegida wird weltweit wahrgenommen, doch bleibt die Bewegung eine regionale Angelegenheit.
Die Schweiz gilt als Vorbild
Bei den Pegida-Leuten – wie bei vielen Islamophoben – hat die Schweiz einen guten Ruf. Sie sagen, es sei wegen der direkten Demokratie und sie freuen sich über «das Minarettverbot». Gibt es auch eine Pegida-Bewegung in der Schweiz? Auf Facebook erhält eine Pegida-Schweiz-Gruppe bereits im Dezember 2014 viel Unterstützung, aber damit hat es sich, bis in Paris einheimische islamistische Terroristen die «Charlie Hebdo»-Redaktion angreifen und zwölf Menschen ermorden.
Tage später berichtet die «Sonntagszeitung»: Nur wenige Stunden nach dem Pariser Attentat sei ein «Verein Pegida Schweiz» gegründet worden, von einem «Dutzend Personen aus christlich-rechten Kreisen». Die Gründer dürfen anonym bleiben, erhalten aber Unterstützung. «Ich begrüsse es, wenn auch in der Schweiz Pegida-Demos stattfinden», meint Anian Liebrand, ehemaliger Präsident der JSVP Schweiz. Er kann sich vorstellen, dass die Jungpartei einen Protestaufruf offiziell unterstützt.
Dann outet sich das ehemalige PNOS-Mitglied Ignaz Bearth als Pegida-«Sprecher», und die SVP-Unterstützung geht flöten. Die Glaubwürdigkeit auch, Tage später tritt Bearth als Sprecher zurück, «zum Wohle von Pegida Schweiz». Allerdings nur für kurze Zeit. Er hatte auf seinem persönlichen Facebook-Konto behauptet, dass nicht Pegida, sondern die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Regierung die «wirklichen Nazis in Berlin» seien. Support erhält Pegida nun von der PNOS, man werde «an dem geplanten Aufmarsch selbstverständlich teilnehmen!». Monate später freut sich auch Bearth über die Unterstützung der völkisch-inspirierten «Identitären», einer Kleinstgruppierung, die ein Europa ohne Muslime anstreben, bewohnt von Menschen weisser Hautfarbe.
Auf diese Art und Weise wirbt die Pegida auf Facebook für ihre Veranstaltung:
Wer macht das Pegida-Geschrei?
Gerade einmal vier Herren bilden Pegida Schweiz: Ein Rechtsextremist (Eric Weber) und drei Mitglieder der «Direktdemokratischen Partei der Schweiz» (DPS), einer politischen Totgeburt, die bei der Gründung viel Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, aber nicht vom Fleck kommt. Pegida-Präsident ist der Thurgauer Mike Spielmann, Mitglied einer methodistischen Freikirche. Ansonsten kämpft der christliche Fundamentalist gegen die EU und gegen die KESB.
Der bekannteste DPSler und Mitbegründer ist der 31-jährige Uznacher Ignaz Bearth, einst Exponent der rechtsextremen «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS), dann Mitglied und Aktivist der SVP Uznach, bis er einen Fanclub für den österreichischen FPÖ-Präsidenten Heinz-Christian Strache betrieb und seinen SVP-Platz räumen musste. Aktuell kandidiert er auf der DPS-Liste für den St. Galler Kantonsrat.
Keine Verbindungen (mehr) zur SVP
Andernorts macht Bearth bereits Karriere. Als Schweizer Redner tritt er bei Pegida-Kundgebungen auf, in Deutschland, in Österreich. In Leipzig wetterte er im Januar 2016 gegen «rote Ratten». Im Herbst bezeichnete er in Dresden die deutsche Bundeskanzlerin als «Volksverräterin».
Wie Bearth musste auch der dritte DPS-Aktivist die SVP unfreiwillig verlassen. Tobias Steiger war bis Juli 2015 Präsident der SVP Dornach. Er begrüsste dann den Ertrinkungstod eines Asylbewerbers («Sollen sie mit Gott gehen, Hauptsache sie gehen zurück.») und meinte: «Warum sollen wir uns von Rechtsradikalen abspalten, wo wir gemeinsame Interessen haben?» Da könne man zusammenspannen, auch wenn man nicht mit allem einverstanden sei. Vor dem drohenden Ausschluss verliess Steiger die SVP.
Le Pen war eingeladen
Und da ist noch Eric Weber, baselstädtischer Grossrat und einziger Vertreter der «Volks-Aktion gegen zu viele Ausländer und Asylanten», er verhalf den darbenden Schweizer Pegida-Anhängern Anfang Januar zu einem weiteren Aufmerksamkeitsschub. Zuerst erreichte er in Basel eine Kundgebungsbewilligung, dann eine unkritische Berichterstattung in der Sonntagszeitung. «Der lokale Anlass» Pegida-Demo drohe «zu einem internationalen Aufmarsch von prominenten Rechtsextremen zu werden.»
Auf der provisorischen Rednerliste ständen «unterdessen Ausländerfeinde aus mehreren Ländern», darunter der greise Jean-Marie Le Pen, langjähriger Front-National-Anführer. Weber habe «seine Kontakte zu europäischen Rechtsextremisten» genutzt. Die Kontakte beschränkten sich allerdings auf Webers Hobbys: Er liebt es, sich per Selbstauslöser mit bekannten Rechtsextremen abzubilden, bereits vor dreissig Jahren sass er mit Le Pen auf einem Sofa. Die Folgen waren absehbar: Die Demo wurde von den Behörden abgesagt und die anderen Pegida-Exponenten distanzierten sich von Weber.
Fazit: nur Polit-Plagöris
Hinter Pegida Schweiz stehen wenige islamophoben Polit-Plagöris, die mehr Gegendemonstranten als Unterstützer mobilisieren können. In den vergangenen vierzehn Monaten hat sie drei Kleindemos (80 bis 300 Teilnehmer plus einige Gegendemonstranten) zu Stande gebracht, allerdings ennet der Grenze, zweimal in Weil am Rhein, einmal in Kandern (8000 Einwohner), im Schwarzwald noch hinter Weil am Rhein.
Repression macht erfinderisch
Die Kundgebungsfreiheit wird in der Schweiz restriktiv verwaltet. Die Pegida-Leute wie auch ihre Gegner versuchen es mit neuen Ideen.
Am 5. März wollten sie in Luzern demonstrieren, die Pegida-Leute. Sie sagten wieder ab. Die Stadt hatte dem Gesuchsteller zu verstehen gegeben, es werde wohl nichts mit der Bewilligung. Nun wollen sie dennoch «laufen», in Frauenfeld allerdings und dies «auch ohne Bewilligung». Sie behaupten nun: «Die Sicherheitsbehörden» hätten dafür zu sorgen, dass sie «ungestört demonstrieren dürfen gemäss unserem Recht in der Verfassung». Eine innovative Gesetzesinterpretation, die die bisherige Rechtsprechung über den Haufen wirft. Demofreiheit wollen die Pegisten zuerst für sich: Die «Juso-Terroristen», die eine Gegendemo angekündigt hätten, dürften zwar schon, «aber nicht am selben Tag und nicht auf dem selben Platz». Und sie ernennen sich selbst zur Bürgerwehr, sie wollen jeden, der die Demo störe, «an Ort und Stelle festnehmen und der Polizei übergeben mit Anzeige dazu!».
Innovativ auch die Pegida-Gegner in Luzern. Die Lagoda-Leute trauen der Pegida-Absage nicht. Und sie fürchten die neuen Bestimmungen des Polizeigesetzes. Neu sollen die Veranstalter (zu vierzig Prozent) und an der Gewaltausübung beteiligten Personen (zu sechzig Prozent) die Kosten des Polizeieinsatzes ab Beginn der Gewaltausübung übernehmen müssen. Das Risiko des Veranstalters ist beschränkt darauf, «wenn er nicht über die erforderliche Bewilligung verfügt oder Bewilligungsauflagen vorsätzlich oder grobfahrlässig» nicht eingehalten hat. Bei ihnen hätte niemand genug Geld, sagen die Lagoda-Leute. Sie kündigen daher Widerstand an – aber keine Demo. Sie nennen es «zivilen Ungehorsam». Konkret: Man solle sich selber organisieren und Aktionen planen. Sie rufen dazu auf, «sich in Kleingruppen in der Stadt Luzern aufzuhalten, damit wir einen Naziaufmarsch im Notfall verhindern können.»
Fakt ist: In der Schweiz verwalten die Behörden die Kundgebungsfreiheit restriktiv. Man müsse, meinte bereits vor vielen Jahren sarkastisch der Schriftsteller Niklaus Meienberg, «immer zuerst die Obrigkeit fragen, ob man gegen sie demonstrieren darf». Die beiden Wissenschaftler Marco Tackenberg und Dominique Wisler («Hutlose Bürschchen und halbreife Mädels. Protest und Polizei in der Schweiz») sehen Unterschiede zwischen den Landesteilen. In Genf orientiere sich der polizeiliche Ordnungsdienst an einer «Kultur der Bürgerrechte», die auch «ein gewisses Mass an Unruhe eher toleriert». In der Deutschschweiz, wie zum Beispiel in Zürich, dominiere die Idee der Polizei als «Staatsgewalt», dies bedeute: «Repression auch kleinerer Gesetzesüberschreitungen, Einsatz von Distanzwaffen wie Tränengas und Gummigeschosse». Die Schweiz sieht sich als Demokratie, doch Ruhe ist den Bürgerlichen erste Pflicht. Zumindest in der Deutschschweiz.
Demoabsagen trafen in den vergangenen Jahrzehnten meist linke/grüne/pazifistische Anliegen. Nun behindern sie Rechtsaussen-Wutbürger, die für Ausschluss und Diskriminierung von Minderheiten Stimmung machen wollen. So etwas wie ausgleichende Ungerechtigkeit? Verlangten einst Rechtsbürgerliche und Bürgerliche «Kundgebungsverbote», so fordern nun die Luzerner Jusos, dass sie die Veranstaltung verhindere.
Natürlich kann man gegen abgelehnte Gesuche Beschwerde einreichen. Die Verfahren dauern derart lange, dass bei einem positiven Entscheid das einstige Anliegen nur noch für Geschichtsinteressierte aktuell ist. Anders in anderen Staaten, zum Beispiel Deutschland. Da entscheiden angerufene Gerichte – sowohl in erster wie in zweiter Instanz – innert Stunden, häufig gegen die Entscheidungsträger in Verwaltung und Exekutive.