Bote der Urschweiz: Kundgebung Der Ableger der deutschen Pegida will Demos in der Schweiz durchführen – auch in Luzern. Abgelehnte Gesuche beeindrucken die Gruppe nicht.
aleksandra.mladenovic@luzernerzeitung.ch
Am Mittwoch in Basel, am 5. März in Luzern, im April in Frauenfeld, im Mai in Aarau, im Juni in Zürich und im Juli in Bern – «und zwar knallhart auf dem Bundesplatz», sagt Mike Spielmann, Präsident von Pegida Schweiz. Der Ableger der deutschen Bewegung «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) will demonstrieren – und wird demonstrieren. Und dies, obwohl Pegida bislang keine Bewilligungen für die Kundgebungen erhalten hat.
«Öffentliche Sicherheit gefährdet»
Auch nicht in Luzern, wie Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen, auf Anfrage bestätigt. Er begründet die Entscheidung von vorletzter Woche wie folgt: «Die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung wird als gefährdet eingestuft.» Zum Bewilligungsgesuch konnte auch die Luzerner Polizei Stellung nehmen. Polizeisprecher Urs Wigger führt aus, die Erfahrungen hätten gezeigt, dass Veranstaltungen der Pegida ein grosses Mobilisierungspotenzial der Gegenseite hätten. «Eine Eskalation gilt als wahrscheinlich.» Um gewaltsame Übergriffe und weitere Gefahren abzuwehren, habe die Polizei der Stadt empfohlen, auf eine Bewilligung zu verzichten.
So wie in Luzern, erging es Mike Spielmann und seiner Pegida überall: «Wir haben in 18 Gemeinden in 8 Kantonen Kundgebungen angemeldet und 18 Mal eine Absage erhalten.» Pegida werde trotzdem marschieren. «Die Versammlungsfreiheit ist ein Verfassungsrecht, gegen das sich weder Polizei noch Staat stemmen dürfen.» So werde Pegida gegen die verwehrten Bewilligungen nun juristisch vorgehen. Und deshalb werde man die erste Kundgebung in Basel am Mittwoch wie geplant durchführen.
«Provokation der Behörden»
In Basel hatte die Gruppierung für die Demo auf dem Marktplatz zunächst eine Bewilligung erhalten. Dann wurde eine Gegendemo der Juso Basel-Stadt bewilligt, die gleichzeitig stattfinden sollte – bevor beide Bewilligungen vorletzten Freitag wieder entzogen wurden. «Das war eine reine Provokation seitens der Behörden», ist Spielmann überzeugt. Dennoch finde morgen doch noch ein Gespräch mit der Basler Polizei statt. «Wir sind zuversichtlich, dass uns die Polizei freie Hand lässt. Ich würde ihnen nicht empfehlen, die Demo aufzulösen, das würde nur zu noch mehr Frust führen», sagt Spielmann, der zudem Vorstandsmitglied der rechten Kleinstpartei Direktdemokratische Partei Schweiz (DPS) ist, erfolglos für den Nationalrat kandidiert hat und dieses Jahr für den Kantonsrat von St. Gallen antritt.
Die Basler Behören bestätigen das Treffen auf Anfrage. Laut Martin Schütz, Sprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt, sei jedoch ausschliesslich Eric Weber zum Gespräch eingeladen. Der 52-Jährige ist 2012 bei der Grossratswahl in Basel-Stadt mit seiner «Volks-Aktion gegen zu viele Ausländer und Asylanten in unserer Heimat – Liste Ausländerstopp» (VA) angetreten und überraschend gewählt worden. Er hat das Bewilligungsgesuch für Kundgebung in Basel eingereicht. Schütz sagt: «Der Entzug der Bewilligungen ist definitiv; er ist daher nicht einmal ansatzweise ein Thema dieses Gespräches.» Die weitere Entwicklung verfolge die Polizei aufmerksam, «namentlich auch die öffentlichen Andeutungen und Äusserungen von Exponenten der verschiedenen Gruppierungen». Die Gegendemo soll ebenfalls trotz Bewilligungsentzug stattfinden, wie die Juso Basel-Stadt gegenüber «20 Minuten» bekannt gegeben hat.
Ausbreitung der Neonazis?
Gemäss Facebook-Seite von Pegida Schweiz haben sich inzwischen etwas über 200 Personen für die Teilnahme an der Kundgebung in Basel angemeldet. «Wir erwarten drei- bis viermal so viele Leute», sagt Spielmann. Doch wer sind diese Menschen überhaupt, die auf die Strasse gehen wollen, um gegen Flüchtlinge zu demonstrieren, gegen eine laut ihnen damit einhergehende «Islamisierung des Abendlandes»? «Wir lassen uns von der EU ein Diktat aufsetzen. Um das zu ändern, müssen wir unsere Politiker unter Druck setzen, sonst passiert nie etwas», formuliert es Pegida-Schweiz-Präsident Spielmann. «Wir müssen uns zusammenschliessen, um eine gewisse Stärke zu zeigen.»
Dazu arbeite man mit allen Organisationen zusammen, die ähnliches Gedankengut teilten. Eine solche Gruppierung nennt sich «Die Identitäre Bewegung». Ursprünglich in Frankreich formiert, wird sie in mehreren Bundesländern Deutschlands von den Behörden zur «Neonazistischen Szene» gezählt. Am vorletzten Samstag hat die Schweizer Splittergruppe (etwas über 2000 Likes auf Facebook) in Olten ein Treffen veranstaltet, an dem gemäss einem Bericht des Online-Magazins «Vice» auch Ignaz Bearth (31), Parteipräsident der DPS und Pegida-Sprecher, teilgenommen hat. Wie Mike Spielmann gegenüber unserer Zeitung bestätigt, war gar der gesamte Vorstand der rechten Mini-Partei DPS an dem Treffen zugegen. Rauft sich aktuell also eine neue Szene Rechtsradikaler in der Schweiz zusammen? Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) nimmt zur aktuellen Lage der rechtsextremen Szene in der Schweiz auf Anfrage keine Stellung. Diese Thematik werde erst im Lagebericht 2016 behandelt. Die Identitäre Bewegung, so der NDB, sei in der Schweiz nur rudimentär vertreten und kaum gewalttätig aufgetreten.
Noch keine Gewalt auf der Strasse
Pegida Schweiz tritt bereits im Lagebericht 2015 des NDB in Erscheinung. Demnach sei die Gruppierung «nur in Teilen als rechtsextrem anzusehen und nicht als gewaltbereit zu klassifizieren». Zwar würden Pegida-Anhänger in der Schweiz vereinzelt in sozialen Medien Gewalt gegen muslimische Einrichtungen befürworten. Die Gewalt auf die Strasse zu tragen, sei diesen Leuten in der Schweiz bisher jedoch nicht gelungen. «Und es fehlen konkrete Hinweise, dass sich dies ändern könnte.» Mike Spielmann verteidigt Pegida Schweiz: «Es wird immer ein paar Dumme geben, die auf unserer Facebook-Seite jenseitige Kommentare schreiben.» Man habe zwar Administratoren, die den Internet-Auftritt betreuten. Allerdings sei es aufgrund der schieren Menge der Kommentare nicht möglich, alle herauszufiltern und zu löschen. Auch bei der Kundgebung habe man keinen Einfluss darauf, wer mitmarschiert. «Wir müssen gewaltfrei sein. Wir laden keine Nazis ein. Und wir werden durchgreifen, wenn sich die Leute nicht an die Vorgaben der Polizei halten», beteuert Spielmann.
Nachgefragt
«Pegida ist nicht das Volk»
Samuel Althof (60) arbeitet in Basel als psychologischer Berater. Er engagiert sich für Friedensprojekte zwischen Israelis und Palästinensern und beschäftigt sich seit Jahren mit Rechtsextremismus, Linksextremismus und Radikalisierung im Islam. So hat er etwa ein Netzwerk zur systematischen Erfassung von Neonazis im Internet aufgebaut und in Zusammenarbeit mit dem Nationalfonds eine Studie über die Ausstiegsmotivation Rechtsradikaler verfasst.
Samuel Althof, die Flüchtlingskrise nimmt kein Ende, nun marschieren «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) auch in der Schweiz auf. Wie ernst muss man die Gruppe nehmen?
Samuel Althof: Die Sorgen und Ängste der Bevölkerung muss man ernst nehmen und darauf eingehen. Viele sind nicht geübt im Umgang mit Fremden. Diese ernstzunehmenden Sorgen spiegeln sich in Pegida aber nicht wider.
Laut Facebook-Seite von Pegida Schweiz wollen über 200 Personen an der Kundgebung in Basel am Mittwoch teilnehmen. Pegida rechnet gar mit drei- bis viermal so vielen Leuten. Ist das realistisch?
Althof: Die Anzahl Facebook-Likes sagt nichts über die Grösse und Mobilisierungsqualitäten dieser Gruppierung aus. Wenn die Pegida-Exponenten meinen, das seien reale Figuren, dann haben sie nicht begriffen, wie Facebook funktioniert, und schon gar nicht ihren eigenen politischen Kontext verstanden.
Wie meinen Sie das?
Althof: Mindestens ein Drittel der Leute, die sich auf der Pegida-Facebook-Seite tummeln, beobachten die Bewegung kritisch. Unter den angeblichen Teilnehmern sind kaum nur zwei virtuelle Polizisten zu finden. Dieser Grössenwahn resultiert aus der Unfähigkeit, sich selbst und die gesellschaftlichen Bezüge real einzuschätzen. Das sieht man auch an den Kommentaren auf der Facebook-Seite von Pegida Schweiz.
Laut Mike Spielmann, Präsident von Pegida Schweiz, sind es einfach zu viele Kommentare, um alle niveaulosen immer zeitnah zu löschen …
Althof: Ich denke eher, dass sie überfordert sind oder es sogar toll finden, wenn sich auf ihrer Seite alle Rechtsorientierten auslassen. Das provoziert. Es wirft aber kein gutes Licht auf die Pegida-Leute, weil es deutlich zeigt, wie sie denken. Unter Pegida kaum verbreitet ist ein lösungsorientiertes, politisch pragmatisches Denken.
Muss man sich in der Schweiz also nicht vor dem Aufkommen einer neuen rechtsextremen Szene fürchten?
Althof: Man muss solche Gruppierungen genau beobachten, darf aber nicht auf ihre polternde Propaganda hereinfallen. Pegida hat es in Dresden zwar geschafft, zeitweise 25 000 Leute auf den Platz zu bringen. Seither stagniert die Bewegung aber. Pegida will sich als Volksbewegung verstanden wissen. Doch Pegida ist nicht das Volk. In der Schweiz ist das eine kleine Szene, die erfolglos etwas Geschrei produziert. Zum Glück hat struktureller Rechtsextremismus hier keine Basis.
Weshalb?
Althof: Zum einen haben Schweizer das Gefühl, sich durch unsere demokratischen Spielregeln mit einbringen zu können. Zudem haben kleine Parteien aus dem rechtsextremen Kuchen keine Chance, Fuss zu fassen, weil die salonfähige SVP bereits sehr rechte Themen besetzt. Wer politisch ambitioniert arbeiten will, wechselt also in die SVP. Die rechtspopulistischen Scheinerklärungen und unzulässigen Vereinfachungen von komplexen Sachverhalten sind verführerisch und gefährlich. So können Emotionen an ein Anliegen gekoppelt werden – die Vernunft hat dann kaum noch eine Chance. Aber Achtung: Deswegen haben wir hier noch lange kein rechtsextremes gesellschaftliches System.