Der Bund vom 29.09.2010
Die Organisatoren des antifaschistischen Abendspaziergangs von nächstem Samstag müssen kein Gesuch für ihren Umzug stellen. Die SVP spricht von «Ungleichbehandlung».
Bernhard Ott
Am nächsten Samstag marschiert Berns Trüpplein der selbst ernannten «Antifaschisten» zum zehnten Mal durch die Innenstadt. In den letzten Jahren musste das Bündnis alle gegen rechts gar kein Gesuch mehr für die Durchführung des Abendspaziergangs stellen. «Bei den sogenannten Antifaschisten verfolgen wir eine pragmatische Bewilligungspraxis», bestätigt Marc Heeb vom Stadtberner Polizeiinspektorat einen Bericht in der «Berner Zeitung». Als Bewilligungsbehörde sei seine Stelle per Mail «im Dialog» mit den Organisatoren. Das Polizeiinspektorat habe von sich aus den Kontakt mit den Organisatoren gesucht. Dabei handle es sich um eine «langjährige Praxis», die er 2008 von der einstigen Stadtpolizei übernommen habe, sagt Heeb.
Der stellvertretende Polizeiinspektor räumt ein, dass dieses Vorgehen einzig bei der Antifa angewandt wird. Einen Präzedenzfall befürchtet er aber nicht. «Grundsätzlich muss nach wie vor für jede Kundgebung ein Gesuch eingereicht werden.» Im Fall der Antifa sei aber das Ziel entscheidend und nicht der Weg. Durch die «pragmatische Bewilligungspraxis» erhielten die Behörden alle notwendigen Informationen über Kundgebungsroute, Sicherheitsdienst und Kontaktpersonen. «Wir machen inhaltlich keine Abstriche. Wenn der Dialog nicht zustande kommt, gibt es auch keine Bewilligung», sagt Heeb.
«Eine absolute Frechheit»
Für den Berner SVP-Grossrat Erich Hess ist die «pragmatische Bewilligungspraxis» eine «absolute Frechheit» und ein Ausdruck von «Ungleichbehandlung». Gemäss Artikel vier des Kundgebungsreglements sei es die Pflicht aller Veranstalter, ein Gesuch für eine Demonstration einzureichen. Vor drei Jahren habe sich die SVP Schweiz «alle Mühe» gegeben, um sämtliche Unterlagen für die Durchführung des durch Gegendemonstranten vereitelten Umzuges durch die Berner Innenstadt einzureichen. Für die «linken Chaoten» des Antifa-Umzugs gälten in der rot-grünen Stadt Bern aber andere Regeln. Eine allfällige rechtliche Anfechtung der «pragmatischen Bewilligungspraxis» macht Hess vom Ausgang der Demonstration ab. Der Gemeinderat müsse jedenfalls die Verantwortung für allfällige Sachschäden übernehmen, da er die Bewilligung für einen Umzug erteilt habe, für den gar kein Gesuch gestellt worden sei. Dieses Vorgehen sei fahrlässig. «Rein rechtlich waren die Voraussetzungen für eine Bewilligung gar nicht erfüllt», sagt Hess.
Nause nimmt Antifa in die Pflicht
Das Polizeiinspektorat werde den Umzug voraussichtlich bewilligen, weil es «keine Anzeichen für eine gewollte Eskalation» gebe, sagt Gemeinderat Reto Nause (CVP). Die «pragmatische Bewilligungspraxis» habe mit dazu beigetragen, dass es in den letzten zwei, drei Jahren nicht mehr zu Ausschreitungen an Kundgebungen gekommen sei. «Ohne Bewilligung wäre die Wahrscheinlichkeit für Sachschäden viel grösser, und Erich Hess würde den Gemeinderat erst recht dafür verantwortlich machen.» Natürlich stehe die Stadt nächsten Samstag in der Verantwortung. Dies gelte aber in gleichem oder gar noch grösserem Ausmass auch für die Organisatoren der Kundgebung. Mit dem Nein des Volkes zur Anti-Reitschule-Initiative habe dieses der Reitschule und der darin verkehrenden Antifa das Vertrauen ausgesprochen. «Die Antifa ist nun aufgefordert, dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen», sagt Nause.
Polizeiliches Lob für Antifa
Heeb hat gar lobende Worte für die Organisatoren des antifaschistischen Umzugs übrig. «Bei der Antifa ist das Verantwortungsbewusstsein vorhanden. Sie ist gut organisiert, verfügt über einen eigenen Ordnungsdienst und sogar über eine eigene Sanität.» Im Zeitalter von Facebook sei es zudem üblich, dass die Polizei auf Aufrufe zu Kundgebungen und Veranstaltungen in sozialen Netzwerken aktiv reagiere und mit den Organisatoren Kontakt aufnehme. In der Stadt Sankt Gallen würden die Behörden gar via Twitter mit Veranstaltern in Kontakt treten. Im Unterschied zu den Organisatoren des Antifa-Umzugs verfügten Individuen, die via Facebook zu einem Botellón oder zu einem Gummiboot-Weltrekordversuch auf der Aare aufriefen, aber über wenig Verantwortungsbewusstsein. «Diese Leute machen sich kaum Gedanken über Fragen der Sicherheit oder der Abfallentsorgung», sagt Heeb.