Online-TV für Extremisten erreicht Millionen – nun kommt ein Sender in die Schweiz

Der Bund. Auf dem österreichischen Sender «Auf1» verbreiten Rechtsextreme und Impfskeptiker ihre Theorien. Jetzt soll es ein Studio in der Schweiz geben. Das Ziel: eine Revolution.

«Wir erleben gerade den Anfang vom Ende des globalistischen Systems», sagt Stefan Magnet ernst in die Kamera. Er prangert angebliche «Lügen der Systemmedien» an, die «gezielte Überfremdung Europas», die «immer totalitärer werdende Politik im Namen des Klimas» und die «zunehmende Unfruchtbarkeit» als Folge des «Transhumanismus».

Nach einem 40-minütigen Monolog sagt er: Es sei Zeit, zu «erwachen». Und bald auch für eine «Revolution von unten».

Der österreichische Onlinesender «Auf1» mit Chefredaktor Stefan Magnet ist zum Leitmedium für Verschwörungsideologien im deutschsprachigen Raum geworden. «Auf1» berichtet von der Corona-Impfung als «Gen-Experiment», von «Bolschewisten» und «Globalisten» – eine Bezeichnung, die von extremen Rechten als antisemitischer Code genutzt wird. Omnipräsent in seinen Sendungen ist auch die Behauptung, wirtschaftliche Eliten würden die Herrschaft an sich reissen wollen.

«Auf1» zeigt online täglich mehrere Nachrichtensendungen und filmt aus Studios in Linz und Berlin. Zudem strahlt der Sender Hintergründe und eigene Dokumentarfilme aus. Er finanziert sich laut Angaben von Magnet ausschliesslich über Spenden und hat rund 50 regelmässige Mitarbeitende – bezahlen muss man für die Inhalte nichts. Seit seiner Gründung Mitte 2021 hat der Sender stetig Zuschauende dazugewonnen. Heute hat «Auf1» gemäss Web-Traffic-Dienst Similarweb eine Million Aufrufe monatlich.

Jetzt will Magnet auch ein Studio in der Schweiz und in Italien eröffnen. Wo das Studio hinkommt, wer da mitmacht – das ist alles noch unklar. «Aufgrund unserer guten Kontakte in die Schweiz ist es naheliegend, dass wir in den nächsten Monaten mit ‹Auf1›-Schweiz starten können», schreibt Magnet auf Anfrage dieser Redaktion. Einen ausführlichen Fragenkatalog – etwa zu seinen journalistischen Standards – lässt er jedoch unbeantwortet.

Was die Frage nach seinen Beziehungen in die Schweiz aufwirft. Und: Welche Regeln eigentlich im Netz gelten.

«Medienrevolution» von rechts?

Das Investigativnetzwerk «Correctiv» schrieb im April 2023, Stefan Magnets eigene Verbindungen zur Rechten und zur extremen Rechten seien «umfassend dokumentiert». Magnet war in den Nullerjahren beim «Bund freier Jugend» (BfJ), einer rechtsextremen Jugendorganisation in Österreich. Zudem zeigen Fotos aus dem Jahr 2004 Magnet bei einer Veranstaltung der rechtsextremen deutschen NPD. Die österreichische Staatsanwaltschaft warf Magnet und anderen 2008 vor, «eine Nachfolgeorganisation der Hitlerjugend» erschaffen zu wollen. Das Gericht sprach ihn in der Folge jedoch frei.

Auch das Programm von «Auf1» verweist auf Magnets politische Wurzeln. Er lädt vor allem Politiker und Aktivisten von rechtsaussen ein. Etwa Jürgen Elsässer, Herausgeber des Magazins «Compact», das vom deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft wird. Oder den ehemaligen Führer der österreichischen «Identitären», Martin Sellner. Er stand 2018 mit jenem Australier in Mailkontakt, der ein Jahr später in Christchurch 50 Muslime bei einem Terroranschlag ermordete.

Schon jetzt zeigt Magnet jeden Sonntag das Programm des Schweizer Gesundheitssenders für Alternativmedizin «QS24». Zudem lädt «Auf1» immer wieder Schweizer Aktivisten und Politiker in seine Sendungen ein. Darunter Stephan Rietiker, der Präsident von Pro Schweiz, der über die Aufarbeitung des «Corona-Betrugs» sprach.

Oder der Schweizer Rechtsanwalt Philipp Kruse, der bei «Auf1» seine Klage gegen die Schweizer Zulassungsbehörde für Arzneimittel, die Swissmedic, bewerben konnte. Der Aargauer Internist und Kardiologe Thomas Binder, ein Mitglied des Vereins Aletheia, erzählte von seiner Verhaftung an Ostern 2020 wegen Drohungen gegen Behörden und Angehörige in den sozialen Medien. Von den angeblich bedrohten Personen stellte damals aber niemand einen Strafantrag gegen Binder. Das Strafverfahren ist danach eingestellt worden. Beim Sender «Auf1» sagte er etwa, «über 10 Millionen Impftote weltweit sind Genozid».

Auch Christoph Blocher bei «Auf1»

Auf die Frage, warum er bei «Auf1» auftrete, antwortet Binder: «Weil es hier um Leben und Tod geht und mir fast alle alten Medien, trotz zahlloser Anfragen meinerseits, nie die Gelegenheit gaben, mit Experten der anderen Seite eine gepflegte öffentliche Debatte zu führen, nehme ich fast jede mir offerierte Möglichkeit der neuen Medien zur Information der Bevölkerung wahr.»

Auch Stephan Rietiker erklärt seinen Auftritt damit, dass sich der Sender «Auf1» für seine Meinung interessiert und ihm eine Plattform gegeben habe – ganz im Gegensatz zu Schweizer Medien, die ihn ständig abgeblockt hätten. «Aus meiner Sicht war das bei Corona angewandte System der ‹one shot fits all› zu simplistisch und die klinischen Studien viel zu rudimentär. Aber jeder, der seine Stimme erhob, wurde hier in die Ecke der Verschwörungstheoretiker und Schwurbler verbannt», sagt Rietiker. Andere Aussagen bei «Auf1» möchte er nicht kommentieren.

Sogar Alt-SVP-Bundesrat Christoph Blocher trat im August 2022 bei «Auf1» auf und sprach über seine Neutralitätsinitiative. Er sagte im Interview, die Schweiz werde durch die Übernahme der Sanktionen gegen Russland «in den Krieg gezogen» und Brüssel habe zu viel Macht in Bern. Auf Anfrage dieser Redaktion sagt er, er könne sich an dieses Interview nicht mehr erinnern. Jedoch gebe er allen ein Interview, ohne dass er sich mit dem Sender identifizieren müsse – «selbst dem Tages-Anzeiger».

Ende Juli gab auch der Berner Unternehmer Christian Oesch «Auf1» ein Interview. Grund war seine seit Ende Juni lancierte Website Medienboykott.ch, die Schweizerinnen und Schweizer dazu aufruft, ihre Abonnements bei «Leitmedien» zu kündigen. Gegenüber «Auf1» erklärte er, dass er «jeden Schweizer Bürger – und hoffentlich auch EU-Bürger» aufrütteln wolle, «wie das vorher noch nie gemacht wurde».

Netzwerkcharakter der Portale

Zwar teilen Alternativmedien nur selten komplett frei erfundene Nachrichten. Dafür legen sie aber die Fakten nach ihrem Geschmack aus, verknüpfen diese mit Spekulationen und verbreiten einzelne Verschwörungserzählungen. Bereits vor der Pandemie erzielten manche Alternativmedien laut einer Studie des Bundesamts für Kommunikation ähnlich hohe oder sogar höhere Reichweiten als kleinere Informationsmedien in der Schweiz. Die Corona-Krise brachte älteren Schweizer Plattformen wie Transition-news, Uncut-News oder Kla.tv neuen Aufwind

Auffällig ist zudem der Netzwerkcharakter dieser Angebote: Die Portale machen füreinander Werbung und übernehmen gegenseitig Beiträge in den sozialen Medien.https://datawrapper.dwcdn.net/VJ8nJ/6/

Kla.tv ist ein Onlinesender von Ivo Sasek, Gründer der Organisation «Organische Christus-Generation». Bereits 2012 machte der Sender negative Schlagzeilen, als Sasek der Holocaustleugnerin Sylvia Stolz online eine Bühne bot. Sie fragte damals direkt ins Publikum, wo denn Beweise für Opfer, Tatzeit und Tatorte für den Holocaust seien.

Sylvia Stolz wurde danach vor dem Landgericht München zu 18 Monaten Haft wegen Volksverhetzung verurteilt. In einem Statement sagte Sasek, er und 2000 andere Zuschauende hätten bei ihrer Rede nichts von der Holocaustleugnung mitbekommen. Kla.TV hat auch heute noch eine erstaunliche Einschaltquote. Im letzten Jahr erreichten die Videos laut Daten von Similarweb knapp 4,5 Millionen Aufrufe.

Weitgehende Medien- und Meinungsfreiheit

Martin Steiger, ein Anwalt für Recht im digitalen Raum, beobachtet einen zunehmenden Einfluss von Alternativmedien in der Schweiz. «Auch weil hierzulande die SVP als etablierte Partei immer gern mal wieder gegen die etablierten ‹Mainstream-Medien› Stimmung macht. Das stärkt die alternativen Angebote zusätzlich.»

Die Vorgehensweise dieser Medien sei sehr geschickt. «Sie kommen pseudoseriös daher, bewirtschaften aber bei näherem Hinsehen die immer gleichen Themen mit fragwürdigen bis haltlosen Argumenten.» Sie formulierten ambivalent, arbeiteten mit Anspielungen oder stellten Behauptungen als Fakten in den Raum – «ihnen wirklich rechtlich etwas vorwerfen, kann man aber normalerweise nicht», sagt Steiger.

Bei Falschinformationen und auch absichtlichen Lügen gelte in der Schweiz der weitgehende Schutz der Medien- oder Meinungsfreiheit. Wirklich heikel könne es erst bei strafbaren Meinungsdelikten oder widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzungen werden. Also dann, wenn eine andere Person im Ruf geschädigt wird oder ganze Personengruppen mit Falschinformationen herabgesetzt werden.

Wer sich jedoch rechtlich zur Wehr setze, habe in der Schweiz einen steinigen Weg vor sich, sagt der Anwalt. «Die Verfahren sind aufwendig, teuer und zeitintensiv – und sie fordern auch emotional viel ab: Der Shitstorm in den sozialen Medien folgt in der Regel sofort.»

«Flood the zone with shit»

Viele der Onlineportale folgen – absichtlich oder nicht – dem Credo von Steve Bannon, dem früheren Berater von Donald Trump. Seine Devise lautete: «Flood the zone with shit» – Überflute die Menschen mit allem möglichen Unsinn. Bis das Publikum nicht mehr weiss, was stimmt, und glaubt, dass es gar keine gesicherten Fakten gibt.

Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik an der Hochschule Macromedia in Köln, beobachtet, dass sich diese gezielte Verunsicherung der Bevölkerung längst auch in Europa ausbreitet. «Das führt zu einem massiven Vertrauensverlust in der Gesellschaft – vor allem in demokratische Institutionen und in Medien, darunter speziell in jene Medien, die einen Public Service erfüllen. Das betrifft nicht nur öffentlich-rechtliche Angebote wie die SRG, sondern auch etliche private Medien», sagt Prinzing.

Anwalt Martin Steiger betont, dass auch etablierte Medienhäuser Fehler machten und so Falschinformationen verbreiteten. Entscheidend sei aber, wie mit diesen umgegangen werde. Klassische Medien in der Schweiz, die dem Radio- und Fernsehgesetz unterstehen, haben eine Ombudsstelle, an die sich jede und jeder wenden kann. Im Bereich der Print- und Onlinemedien regulieren sich die klassischen Medien über den Presserat selbst. Auch hier könne jeder Bürger beim Presserat gegen Artikel klagen, wenn er das Gefühl habe, es würden falsche Informationen verbreitet.

Alternative Angebote publizierten jedoch auf eigenen Portalen im Internet – «und da schaut in der liberalen Schweiz fast niemand genau hin», sagt Steiger. «Mehr Regulierung ist allerdings immer heikel. Wenn Behörden über Inhalte entscheiden, ist die Gefahr gross, dass die Medien- und Meinungsfreiheit unter die Räder kommt.»

Die deutschen Behörden haben da weniger Bedenken. Dort müssen etwa soziale Netzwerke Hassreden und Fake News bereits heute löschen. Tun sie es nicht, drohen ihnen hohe Geldbussen.

Auf EU-Ebene wird zudem gegenwärtig an neuen Regulierungen gearbeitet. Dazu gehören das «Digitale-Dienste-Gesetz» und das «Digitale-Märkte-Gesetz». Diese Regelwerke verpflichten globale Plattformbetreiber unter anderem zu mehr Transparenz über die Art, wie sie Inhalte an die User und Userinnen ausspielen. «Es wird spannend, zu sehen, wie die Schweiz agiert. Denn das Netz und die Folgen der Umtriebe mancher Gruppen und Personen machen natürlich vor Landesgrenzen keinen Halt», sagt die Kölner Professorin Prinzing.

Technisch sei es sehr einfach, Bilder und Videos zu manipulieren und tausendfach Falschinformationen zu streuen. Dabei seien nicht die Techniken das Problem, sondern Anwenderinnen und Anwender, die Negatives im Schilde führten. «Regulierung ist wichtig, genügt aber nicht: Wir alle müssen unsere Medienkompetenz stärken. Journalismus hat hierbei eine wichtige Rolle und kann zur Aufklärung der Menschen viel beitragen.»

Korrektur 9.8.2023: Im Abschnitt zu Thomas Binders Auftritt bei «Auf1» fehlte in einer vorherigen Version die Angabe, dass von den angeblich bedrohten Personen niemand einen Strafantrag gegen Binder stellte und dass das Strafverfahren danach eingestellt wurde. Die Sätze wurden der Vollständigkeit halber hinzugefügt. 


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