Neue Luzerner Zeitung vom 7.5.2010
Tatort Bahnhofplatz Stans: Im Winter 2006 rammte ein junger Mann nachts einem Jugendlichen ein Messer in den Rücken. Am Dienstag stand der Täter vor Gericht.
Kurt Liembd
«Es tut mir sehr leid und ich entschuldige mich beim Opfer»: Dies sagte der Messerstecher M. S.* zu Beginn der Verhandlung, als er zum Vorfall befragt wurde. Nur 3 Meter entfernt sass der damals 17-jährige P. K.*, der noch heute, nach dreieinhalb Jahren, Schmerzen verspürt. Was war geschehen?
«Scheiss-Hip-Hopper»
Es war am 2. Dezember 2006. Nach einem Besuch des Trychlerfestes in Emmetten fuhr M. S., damals 20 Jahre alt, mit Autostopp zum Bahnhof Stans. Dort traf er zwischen 0.30 Uhr und 1 Uhr nachts ein, in der Hoffnung, noch mit einem Zug nach Hause in den Kanton Aargau zu gelangen.
Auf dem Bahnhofplatz wandte er sich an den Chauffeur des Nachtbusses und erfuhr, dass keine Züge mehr in den Aargau fahren. Darauf begab sich der Angeklagte zu vier Jugendlichen aus Nidwalden, welche zu dieser Nachtzeit beim Treppen- und Lifteingang zur Bahnhof-Tiefgarage auf einer Mauer sassen. Gemäss Aussagen des Angeklagten hätten die Jugendlichen es «lustig» gefunden, dass kein Zug mehr fahre, worauf der Angeklagte sehr aggressiv wurde und die Jugendlichen «verbal angemacht» habe. Gemäss übereinstimmenden Aussagen hat M. S. die Nidwaldner als «Scheiss-Hip-Hopper» beschimpft und dem erstbesten Jugendlichen die Faust ins Gesicht geschlagen. Danach kamen weitere Jugendliche dazu, welche mit dem Bus von Hergiswil am Bahnhof Stans angekommen waren.
Klappmesser gezückt
Es folgte ein Gerangel unter den Jugendlichen, wobei bei der Untersuchung teilweise verschiedene Darstellungen des genauen Ablaufes vorliegen. Unbestritten ist, dass es zu Prügeleien kam und das spätere Opfer den Angeklagten M. S. in den «Schwitzkasten» nahm. Höhepunkt der Prügeleien: M. S. zückte ein Klappmesser mit einer 8 Zentimeter langen Klinge und stach P. K. damit in den Rücken. Darauf rannte der Täter zum Chauffeur des Nachtbusses, streckte ihm 50 Franken entgegen und bat ihn loszufahren. Doch der Busfahrer stieg aus und kümmerte sich als ehemaliger diplomierter Rettungssanitäter um den Verletzten. Das Opfer wurde in die Intensivstation des Kantonsspitals Stans gebracht, wo es einige Tage hospitalisiert war, der Täter kam in Untersuchungshaft. Gemäss Arztbericht wies P. K. zwei Stichwunden auf, welche zwischen 2 und 4 Zentimeter lang waren und nur deshalb zu keinen lebensgefährlichen Verletzungen geführt hatten, weil das Messer beim Eindringen von den Wirbelkörpern des Opfers gestoppt wurde.
Knapp am Tod vorbei
«Es war ein Riesenglück, dass es nicht zu einem Todesfall kam», sagte Staatsanwalt André Wolf vor Gericht und beantragte, M. S. wegen «versuchter schwerer Körperverletzung» zu verurteilen. Tatsache ist, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt alkoholisiert war. Nach seinen Aussagen hatte er zuvor «viel Bier» getrunken, ferner 7,5 Honigwein und zwei Jägermeister. Zudem habe er noch Snus (unter den Lippen angebrachter Tabak mit Wirkung wie Nikotin) konsumiert. Die Tätlichkeit war nur einer von mehreren Anklagepunkten.
So hat er sich auch der mehrfachen groben Verkehrsregelverletzung schuldig gemacht, indem er zwei Rotlichter überfuhr und innerorts mit Tempo 85 unterwegs war. Dazu kamen weitere Delikte wegen unerlaubten Waffenbesitzes (Schlagstock) und Hehlerei, indem er mit gestohlenen Feuerwerkskörpern und Zigaretten handelte oder sich diese schenken liess. In früheren Jahren bewegte er sich in rechtsextremen Kreisen, wovon die CDs zeugen, welche die Polizei bei einer Hausdurchsuchung fand, so unter anderem Titel wie «Hitler – der Aufstieg des Bösen» oder «Helvetischer Widerstand».
14 Monate bedingt
Vor Gericht zeigte sich M. S. sehr kooperativ und gab alles zu. «Sie sind entwaffnend ehrlich», sagte Gerichtspräsidentin Livia Zimmermann zu ihm. Da M. S. heute keinen Kontakt zu dieser Szene mehr hat, in geordneten Verhältnissen lebt und inzwischen Vater geworden ist, sah das Gericht von einer unbedingten Freiheitsstrafe ab. Das Urteil: Schuldig in allen Punkten mit einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten wegen versuchter schwerer Körperverletzung, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von fünf Jahren, sowie eine unbedingte Geldstrafe von 4500 Franken. Ausserdem muss M. S. dem Opfer Schadenersatz und Genugtuung von rund 3000 Franken zahlen. Zusätzlich muss er Parteientschädigung, Anwaltskosten sowie sämtliche Verfahrens- und Gerichtskosten übernehmen.
Hinweis: * Namen der Redaktion bekannt.