20 minuten online: Die Geschichte um den Veranstalter des geplatzten Basler Konzerts der Hooligan-Band Kategorie C offenbart potenzielle Sicherheitslücken bei Schweizer Kernkraftwerken.
Ein Anhänger des rechtsextremen Hooligan-Milieus geht monatelang unbehelligt in einem Schweizer Kernkraftwerk ein und aus, schiesst Selfies aus dem Inneren und postet diese auf Facebook. Wie ist das möglich?
20 Minuten berichtete über das mittlerweile von der Kantonspolizei Basel-Stadt verhinderte Konzert der rechtsextremen Hooligan-Band Kategorie C. Im Verlauf der Recherchen konnte der 38-jährige Deutsche J.H.* als Veranstalter identifiziert werden. Dabei stellte sich zudem heraus, dass der Baumonteur und Eventveranstalter von August 2011 bis Oktober 2011 im KKW Beznau 1 und 2 und von Mai 2012 bis Oktober 2012 in Beznau und Leibstadt arbeitete.
Selfies und Sprüche aus der Gefahrenzone
Jeder Mitarbeiter eines Kernkraftwerks, der «Zugang zu klassifizierten Informationen über sicherungs- oder sicherheitsrelevante Systeme von Kernanlagen und Kernmaterialien» hat, muss sich laut Schweizer Gesetz einer Personensicherheitsprüfung (PSP) unterziehen. «Im Rahmen dieser Prüfung können besonders schützenswerte Personendaten über die Gesundheit und die psychische Eignung sowie sicherheitsrelevante Daten über die Lebensführung der betroffenen Person bearbeitet werden», heisst es konkret.
«Personensicherheitsprüfung? Nein, so was hatte ich nicht», sagt J.H. zu 20 Minuten. Er habe sich einfach auf ein Inserat beworben und sei dann im KKW auf Schicht geschickt worden. «Ich hatte überall Zutritt, jederzeit», sagt J.H., «ich konnte sogar in der Kommando-Zentrale ein- und ausgehen, wann ich wollte.» Im KKW machte er Selfies in Strahlenschutzmontur mit Kollegen und veröffentlichte sie auf Facebook: «Beim Schaffen im AKW.»
Temporärarbeiter nicht überprüft?
Die gesetzliche Lage ist klar: Der KKW-Betreiber ist für die Sicherheit der Anlage und des Betriebs verantwortlich. Bei den KKWs Beznau und Leibstadt ist dies die Axpo. Den Fall J.H. wollte die Axpo auch auf wiederholte Anfragen nicht kommentieren. Man erteile «grundsätzlich keine Auskünfte über Anstellungsverhältnisse», so Sprecher Tobias Kistner. Doch könne «nicht ausgeschlossen werden», dass das Selfie «im Umfeld des Kernkraftwerks in Beznau entstanden ist».
«Externe Mitarbeitende werden vor ihrem Arbeitseinsatz in einer umfangreichen Sicherheits- und Strahlenschutzbelehrung» instruiert, so Kistner. Mobiltelefone seien nicht «explizit verboten … somit ist es durchaus möglich, Innenaufnahmen des Kernkraftwerks Beznau zu machen.» Mitarbeitende würden «angehalten, ihre Beiträge in sozialen Medien sorgfältig zu prüfen und allfällige Konsequenzen zu bedenken».
Festangestellte der Axpo würden «automatisch» einer PSP unterzogen, betont Kistner. «Beim Fremdpersonal gibt es sowohl sicherheitsüberprüfte Personen als auch solche ohne Überprüfung.» Dies hänge davon ab, in welchen Bereichen im Werk die Personen tätig seien. Ausserdem würden Fremdmitarbeiter jeweils von einem Axpo-Mitarbeiter begleitet.
Personensicherheitsprüfung im Griff?
Die Formulierung des Sprechers, es gebe beim Fremdpersonal «auch sicherheitsüberprüfte Personen», lässt aufhorchen. Denn eigentlich sind die Vorschriften klar: Es ist ausschliesslich Aufgabe des Betreibers, zu entscheiden, welche Mitarbeiter in KKWs eine PSP absolvieren müssen.
Doch das scheint in der Praxis nicht der Fall zu sein. J.H. arbeitete im Auftrag des Bauunternehmens Belfor. Auf Anfrage sagte Belfor-Schweiz-Sprecher Kurt Peverelli zu 20 Minuten, seine Mitarbeiter würden jeweils durch Belfor zur Sicherheitsprüfung geschickt, nicht durch die Axpo. Bei J.H. könne er das aber nicht sagen – dieser sei wiederum von einem externen Temporärbüro dazugestossen. «Dann ist die Sicherheitsprüfung die Sache dieses Temporärbüros», so Peverelli. Das mag in der Praxis zutreffen, entspricht aber nicht den Schweizer Sicherheitsbestimmungen.
Was sagt die Aufsichtsbehörde?
Auf Anfrage verweist das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) auf den verantwortlichen Betreiber. Im Gesetz steht ausdrücklich, dass das ENSI nur dann beigezogen werden muss, wenn ein potenzieller Arbeiter in einer PSP als Risiko eingestuft wird. Deshalb konnte das ENSI den Deutschen gar nicht auf dem Radar haben. «Der von Ihnen genannte Fall ist dem ENSI bis zu Ihrer Anfrage unbekannt gewesen. Das ENSI war nicht zuständig», sagt Sprecher Sebastian Hueber.
*Name der Redaktion bekannt