Tages-Anzeiger; 23.08.2013
Ein rechtsextremer ostdeutscher Terrorist wurde in der Waadt nicht gefasst – obwohl es Hinweise gab.
Am Ostersamstag 1998 um 17.10 Uhr klingelte bei Jürgen H. in Sachsen das Telefon. Der Unterstützer der kurz zuvor untergetauchten Rechtsextremen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe war nicht zu Hause. Der Anrufer aus der Schweiz, der seinen Namen nicht nannte, sprach aufs Band: «Jürgen, pass auf, ich hab da eine Nachricht für den Ralf.» Gemeint war Ralf Wohlleben, neben Beate Zschäpe wichtigster Angeklagter im laufenden Münchner Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).
«Sag ihm bitte», so schnitt die Polizei mit, welche den Anschluss von H. überwachte, «er soll am Montag 14 Uhr an demselben Treffpunkt sein wie vor zwei Wochen und soll aber bitte vorher noch bei Bönis Eltern vorbeifahren und Klamotten oder so was kaufen.»
Mundlos und Böhnhardt begingen später zehn Morde an Migranten und einer Polizistin, die vielleicht hätten verhindert werden können, wenn die Polizei am Ostersamstag 1998 entschiedener und cleverer gehandelt hätte. Zwar fragte der deutsche Zielfahnder sofort bei Schweizer Kollegen an, von wo aus Jürgen H. angerufen worden war. Die Antwort: von einer Telefonzelle an der Rue de la Gare im waadtländischen Concise. Damit hatte es sich. Am gleichen Abend fand im Örtchen am Neuenburgersee ein Konzert rechtsextremer Bands mit Besuchern aus Deutschland statt. Waadtländer Sicherheitskräfte waren vor Ort, schritten aber nicht ein. Den Fahndern, die den untergetauchten Rechtsextremen suchten, fiel der mögliche Zusammenhang zwischen Anruf und Neonazi-Veranstaltung fast eineinhalb Jahrzehnte lang nicht auf. Erst nach einem TA-Bericht darüber vom Februar 2012 vernahmen sie Jürgen H. erneut. Und dieser erklärte, der Anrufer aus Concise sei Uwe Mundlos gewesen. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, der gestern seinen Bericht veröffentlichte, hält diesen Hinweis für glaubwürdig. Nicht klären lässt sich, ob sich auch die beiden anderen NSU-Mitglieder in der Schweiz aufhielten. Mundlos und Böhnhardt haben sich umgebracht, die Angeklagte Zschäpe schweigt.