Solothurner Zeitung: Wochenkommentar zu den in der Agenda nicht vorgesehenen Solothurner Demo-Tagen
Der Kollege strahlte über das ganze Gesicht: «Endlich läuft hier in Solothurn mal etwas.» Zog mit seiner Aktenmappe von dannen und verschwand zu einem Feierabendbier in der nahen Beiz. Die vielen Polizisten, als Demobegleiter in Zivil, im rückwärtigen Raum in Kampfmontur, mögen das anders gesehen haben. Die Anspannung war ihnen ins Gesicht geschrieben.
Kein Wunder, die Szenerie war gespenstisch und vor allem unberechenbar. Nachdem rechte Kreise den Stein provokativ ins Wasser geworfen hatten, waren die Antifaschisten gefordert. Und sie liessen sich nicht lumpen. Im Vergleich zum «verschüpften» Neonazi-Trupp mobilisierten sie eine die Fussgängerbrücke füllende Mehrhundertschaft. Allein auf das trockene Turnschuhwetter (inklusive martialischer Springerstiefel) dürfte der beachtliche Aufmarsch nicht zurückzuführen sein.
Die Antifa-Bewegung ist mit Sicherheit breiter abgestützt und besser organisiert als ihre Kontrahenten. Was darunter zu verstehen ist? Ein Flugblatt besagt, dass «Faschisten vertrieben, ihre Geschäfte und Treffpunkte angegriffen werden» und ihnen auch «kein Raum im öffentlichen Leben gestattet» sein soll. Das Betätigungsfeld ist breit. Es umfasst «Demos, Blockaden, Vorträge (…) Strassenprügeleien», mit dem saloppen Hinweis «über die Mittel entscheidest nur du selbst!». Somit waren weder vor Wochenfrist noch vorgestern Abend Chorknaben auf Solothurner Gassen unterwegs. Auch der jüngste Auftritt war in der Tat nicht ohne: Statt weisser Masken verschleierten schwarze Halstücher und Kapuzen die Gesichter. Musik und markige Worte aus mitgeführten Lautsprechern, Sprechchöre, Pyros und Knallpetarden als Dekoration – Abendverkäufe in Solothurn geben sonst ein leicht anderes Bild ab.
Das Ambassadoren-Städtchen befand sich dieser Tage völlig unvermittelt im Fadenkreuz rechter und linker Aktivisten, deren Gewaltbereitschaft kaum mit der eines Briefmarkensammlers vergleichbar ist. Als Beobachter wird man den Gedanken nicht ganz los, dass sich die extremen Pole letztlich wieder berühren.
Weshalb Solothurn? Bloss Zufall? War die deutliche Ablehnung der Masseneinwanderungsinitiative der Auslöser, war es die ideale und damit verlockende Demo-Umzugsroute durch die Altstadt oder die Aussicht, auf eine defensiv operierende Ordnungsmacht zu stossen? Tatsache ist, dass der Machtkampf um Aufmerksamkeit trotz aufgeheizter Stimmung ordentlich über die Bühne gegangen ist, obwohl es an Testosteron-angereicherten Zaungästen nicht gefehlt hat. Die Polizei war auf der Höhe ihrer Aufgabe. Sie hat zum friedlichen Verlauf einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Fazit: Solothurnhat genügend spektakuläre Tage. Bei aller gelebten Demokratie – das Bedürfnis nach regelmässigen Demo-Tagen hält sich in Grenzen.