ANTISEMITISMUS-STUDIE / Der Bundesrat ist nicht bereit, Methoden und Resultate privater Meinungsumfragen zu kommentieren. Ruth Dreifuss hat dies im Nachgang zur umstrittenen Antisemitismus-Studie gestern Abend im Ständerat bestätigt.
soh. Die Empörung über die Antisemitismus-Studie des GfS-Forschungsinstituts von Claude Longchamp im März war gross – und zwar im doppelten Sinn: Zum einen empörte sich die Öffentlichkeit über eine der Hauptaussagen der Studie, wonach 16 Prozent der Schweizer Bevölkerung antisemitisch seien und 60 Prozent antisemitische Tendenzen aufwiesen. Zum andern empörten sich kurze Zeit später Fachleute über die Studie selber. Meinungsforscher zweifelten deren Ergebnisse an, und der Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Georg Kreis, sprach gar von einer «Studie von erstaunlicher Unbedarftheit».
Gestern Abend empörten sich auch noch mehrere Ständeräte – über die Studie und noch fast mehr über den Bundesrat. Dieser hatte eine Interpellation von Hansheiri Inderkum (cvp, UR) lediglich kurz und knapp beantwortet. Er sei nicht bereit, die Wissenschaftlichkeit der Studie untersuchen und beurteilen zu lassen, wie dies Inderkum fordere, heisst es in der Antwort. Weil der Bund bei der Studie in keiner Weise beteiligt sei, könne es nicht Sache des Bundesrats sein, eine Überprüfung in die Wege zu leiten. Zudem werde er auch keine Qualitätsstandards für Meinungsumfragen erlassen. «Das ist Angelegenheit der Fachleute selbst.»
Kein Schutz vor Beleidigung
Inderkum zeigte sich schwer enttäuscht von der Antwort. Die Studie habe für Ängste unter der jüdischen Bevölkerung gesorgt, und dem Image der Schweiz sei einmal mehr Schaden zugefügt worden. Weil mit dem Antisemitismus-Begriff «allzu sorglos» umgegangen worden sei, wäre seiner Meinung nach eine Reaktion des Bundesrats nötig gewesen. Die Bürger würden heutzutage vor fast allem geschützt. «Aber wenn eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer kollektiv beleidigt wird, dann soll es offenbar keinen Schutz geben», sagte Inderkum. Unterstützung gabs von Toni Dettling (fdp, SZ) und Franz Wicki (cvp, LU). Mit Qualitätsstandards für die Erhebung von Umfragen liesse sich «die Spreu vom Weizen trennen», sagte Dettling. Und Wicki erwähnte, auch ein Richter müsse eine Expertise bewerten, die er in Auftrag gegeben habe.
Genau das aber ist für Bundesrätin Ruth Dreifuss der springende Punkt. Der Bundesrat habe die Studie nicht in Auftrag gegeben, da gebe es für ihn auch nichts zu bewerten. Es wäre «äusserst gefährlich», sagte Dreifuss, wenn der Bundesrat von rein privaten Umfragen die Methoden, Resultate und wie gefordert auch noch die Berichterstattung in den Medien kommentieren müsste.
Auch Positives
Anders als die Medien habe der Bundesrat aus der Studie auch «positive Schlüsse» herausgelesen, heisst es in der Antwort weiter. Zum Beispiel die gestiegene Akzeptanz der Anti-Rassismus-Strafnorm. 1994 war das Anti-Rassismus-Gesetz noch mit knapp 55 Prozent angenommen worden, laut Studie wird es nun bereits von 69 Prozent der befragten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger befürwortet. Der Bundesrat ist überzeugt, die Debatten der letzten Jahre hätten zu einem «Bewusstwerdungsprozess» geführt.