Der Bund: Der Präsident des Islamischen Zentralrats beantragt, eine Waffe zu erwerben. Die Sicherheitsbehörden wollen dies verhindern.
Nicolas Blancho will gleich bewaffnet sein wie ein Teil der Schweizer Polizei. Der Präsident des umstrittenen Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) hat bei der Berner Kantonspolizei den Antrag gestellt, eine Pistole des deutschen Herstellers Sig Sauer zu beschaffen. Damit hat der Konvertit aus dem Berner Seeland einen Rechtsstreit ausgelöst, der bislang unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen wurde – und noch nicht entschieden ist.
Die kantonale Polizei hegt starke Sicherheitsbedenken und hat deshalb im April das Gesuch des Salafisten-Chefs ablehnt. Dagegen rekurriert Blancho. Seine Chancen, dass er bald legal eine Pistole besitzen wird, sind intakt. Das Schweizer Waffengesetz gilt trotz punktueller Verschärfungen in den letzten Jahren als liberal. Davon wollen bisweilen auch Personen mit extremer politischer oder religiöser Weltanschauung profitieren.
Die Sicherheitsbehörden können Gesuche von volljährigen und mündigen Personen nur aus wenigen Gründen ablehnen: Etwa wenn jemand eine Handlung begangen hat, «die eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekundet». Ebenso wenn jemand wiederholt Verbrechen oder Vergehen begangen hat (und diese Einträge im Strafregister noch nicht gelöscht sind). Oder wenn droht, dass der Gesuchsteller «sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährdet».
Vor einigen Jahren wurde mit diesen Gesetzesgrundlagen Schweizer Linksextremen der legale Zugang zu Waffen verwehrt. Doch ist dies bei Blancho ebenfalls möglich? Der IZRS-Präsident hatte wegen seines Gesuchs am 20. Februar 2015 auf einem Polizeiposten bei Bern vorsprechen müssen. Das ist das normale Prozedere. Davor war Blancho der Meinung, er habe «die Voraussetzungen für einen Waffenschein klar erfüllt», sagt er gegenüber dem «Bund». An dieser Überzeugung habe sich nichts geändert, er verfüge über einen «tadellosen Leumund» und «einen leeren Strafregisterauszug».
Doch dies hat nicht gereicht, zumindest nicht im ersten Anlauf. Anfang April kam Post von der Kantonspolizei: Die Kriminalabteilung, Fachbereich Waffen und Sprengstoff, schrieb Blancho zwar, ihr lägen «keine Hinweise auf eine Selbst- oder Drittgefährdung Ihrerseits mit der Waffe vor». Dennoch verweigert sie dem Salafisten-Chef die Waffe.
Blancho leistet keinen Dienst
Weshalb dies? Auch die Staatsschutzstellen bei den Kantonspolizeien prüfen Waffenerwerbsgesuche. Die kantonalen Staatsschützer, die vom Bund mitfinanziert sind, konsultieren in heiklen Fällen ihre Kollegen in Bern, die Experten des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Und dort muss etwas vorliegen, das es nicht erlaubt, dem IZRS-Präsidenten den Waffenerwerb zu gestatten. Was genau, das legt die Berner Polizei im Ablehnungsschreiben nicht offen. Der IZRS-Präsident sagt, er habe keine Anhaltspunkte. Er spricht von «einer fadenscheinigen Begründung». Eine Rolle könnte spielen, dass der 32-Jährige keinen Militärdienst leistet. Blancho bestreitet, dass er dies nicht tue, weil er keine Waffe tragen könne. Vielmehr führt er religiöse Gründe an.
Drohbriefe und Polizei vor Ort
Nun liegt der Rekurs bei der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern. Gemäss Papieren, die der «Bund» einsehen konnte, will diese genauer wissen, was gegen Blancho vorliegt. Doch wie kommt Nicolas Blancho überhaupt dazu, einen Waffenschein zu beantragen? Dem «Bund» zeigt der IZRS-Präsident einen Stapel Drohbriefe; die meisten gingen im Sekretariat des Zentralrats ein. Unter anderem werden darin Blancho, seine Familie und seine Kinder beschimpft und bedroht. «Ich lebe nicht in Angst und Terror», sagt Blancho, «aber eine gewisse Vorsicht ist angebracht.» Bei seinen öffentlichen Auftritten gibt es Sicherheitsvorkehrungen. Auch Polizisten sind bei grösseren Anlässen vor Ort.
Das Dispositiv hat gemäss Blancho im November 2014 nicht gereicht. Die IZRS-Jahreskonferenz in Freiburg war kurz zuvor untersagt worden. Rund 300 Anhänger veranstalteten stattdessen eine Kundgebung in der Innenstadt. Eine Gruppe prokurdischer Gegendemonstranten machte auf die Gräuel an Kurden durch Islamisten aufmerksam. Dabei kam es zu einem Handgemenge – und gemäss Blancho zu einem Vorfall: Ein Angreifer sei «aus dem Nichts gekommen», habe ihn mit der Faust im Gesicht getroffen und fliehen können. Bereits früher sei eine IZRS-Standaktion im Tessin gegen das Niqab-Verbot attackiert worden. Beide Vorfälle gingen glimpflich aus.
Doch bei solchen Anlässen dürfte Blancho eine Waffe nicht dabei haben – selbst wenn ihm der Erwerb der Sig Sauer doch noch erlaubt würde. Um in der Öffentlichkeit eine Pistole auf sich zu tragen, braucht es zusätzlich einen Waffentragschein. Dafür sind die gesetzlichen Hürden sehr hoch. Im privaten Bereich dürfte Blancho die Sig Sauer aber tragen.
Der Staatsschutz prüft
Rechtsextremer aufgeflogen
Gemäss Alexander Rechsteiner, Sprecher des Bundesamts für Polizei, prüfen die Staatsschutzstellen der Kantone die Waffenerwerbsgesuche. Sie geben die Namen der Gesuchsteller in ein Informationssystem ein. Manchmal gibt es dabei Treffer – so bei einem Rechtsextremen aus dem Berner Seeland. Ende 2009 beantragte der Vorbestrafte, zwei Faustfeuerwaffen zu beschaffen. Dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB), dem die kantonalen Staatsschützer unterstehen, war der Gesuchsteller zuvor als «gewaltbereiter Mann» aus dem Rechtsradikalenmilieu aufgefallen. Der Geheimdienst empfahl, das Begehren abzulehnen. Die Polizei erfuhr, dass der 20-Jährige bereits illegal Waffen angeschafft hatte. Bei einer Hausdurchsuchung stiessen die Beamten auf ein stattliches Arsenal – und auf Indizien für einen Brandbombenanschlag auf ein Festival im Berner Kulturzentrum Reitschule. Kürzlich hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den Verdächtigen erhoben. (tok)