Neonazis setzen auf Schweden

Schweden ist zu einem wichtigen Stützpunkt der rechtsextremen Szene geworden.


Autor: Von Bruno Kaufmann, Göteborg

Am vergangenen Wochenende schlug die schwedische Polizei erstmals richtig zu: In einer Waldhütte nördlich von Stockholm hatten sich 314 Neonazis aus Europa und Nordamerika zu einem Rockkonzert versammelt. Als die US-Band Max Resist das Publikum zum Hitlergruss animierte, stürmten 120 Polizisten das Lokal – und verhafteten sämtliche Anwesenden.

In der Öffentlichkeit ist die grösste Massenverhaftung in der schwedischen Geschichte auf viel Verständnis gestossen: „Endlich Taten statt Worte“ kommentierte die Tageszeitung „Expressen“ die Aktion. In den vergangenen Monaten waren die schwedischen Behörden wiederholt für ihre passive Haltung gegenüber der sich ausbreitenden rechtsextremistischen Szene kritisiert worden: Als Neonazis aus ganz Europa im vergangenen Herbst im Stockholmer Zentrum den Jahrestag der Kristallnacht feierten, konzentrierte sich die Polizei darauf, Gegendemonstranten einzufangen; die Rechtsextremisten hingegen konnten frei ihrem Antisemitismus huldigen.

Die langjährige Passivität der schwedischen Behörden sowie eine liberale Gesetzgebung haben dazu beigetragen, dass Schweden zu einem wichtigen Stützpunkt der internationalen Neonazi-Szene geworden ist: Rund 80 Prozent sämtlicher Neonazi-Propaganda wird heute in Schweden produziert. Dazu gehören vor allem CDs rechtsextremistischer Bands, Bücher und Zeitschriften. Der neonazistische Nordland-Konzern, zu dem auch das Plattenunternehmen 8 Musik gehört, setzt jährlich mehrere Millionen Franken um.

Im vergangenen Jahr sind Rechtsextremisten aus der ganze Welt wiederholt nach Schweden gepilgert: Unter anderem lockten 65 Rockfestivals mit Neonazi-Bands. In der Nähe der westschwedischen Hafenstadt Göteborg haben Neonazis ein grosses Landgut zu einem Konferenzzentrum umfunktioniert. Am selben Ort versammelten sich bereits 1936 Sympathisanten des Hitlerregimes und bildeten eine schwedische NS-Partei.

In Göteborg trägt eine Gruppierung, die sich „Anti-Antifaschisten“ nennt, Angaben über Personen zusammen, die sich gegen die „nationale Bewegung“ engagieren. Dazu werden neben „Antifaschisten“ auch „Kommunisten, Verräter und Pädophile“ gerechnet.

Doch die Neonazis beschränken sich nicht darauf, „feindliche“ Personen zu fichieren: Alleine im Raum Göteborg sind in den vergangenen Jahren mehr als ein Dutzend Menschen von Rechtsextremisten ermordet worden. Laut einer Untersuchung der Kriminologin Eva Tyby ist zudem jeder fünfte Homosexuelle in Göteborg von Rechtsextremisten misshandelt worden. Für diese Verbrechen sitzen heute zahlreiche Neonazis hinter Schloss und Riegel.

Doch im Kampf gegen die menschenverachtende Ideologie, die in Schweden im Zusammenhang mit der schweren Wirtschaftskrise der letzten Jahre Fuss fassen konnte, stehen die Behörden vorläufig auf verlorenem Posten. Von den 314 am Wochenende gefassten Rechtsextremisten mussten bis auf vier US-Amerikaner sämtliche freigelassen werden. Ein Stockholmer Amtsgericht hat die Beweislage als „ungenügend“ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hatte – gestützt auf Videoaufnahmen und Polizistenaussagen – die Verhafteten der „Völkerhetze“ und des „Tragens von Nazi-Symbolen“ bezichtigt. Beides ist laut Gesetz verboten, lässt sich aber nur schwer nachweisen.

Gestern Donnerstag ergriffen die Neonazis die Flucht nach vorn und publizierten auf einer Nordland-Internet-Seite Bilder von Polizeibeamten, die am letzten Wochenende „mit grosser Freude Patrioten verprügelt“ hätten.