Nach Aufmarsch in Langenthal: Rechtsextremisten reklamieren Demonstrationsrecht ? grundsätzlich mit Recht
200 Rechtsradikale sind unbe-willigt durch Langenthal gezogen, nachdem ihnen bewilligte Protestzüge verweigert wurden ? für sie gebe es «faktisch kein Demonstrationsrecht», klagen die Neonazis. Antidemokraten fordern demokratische Freiheit ? grundsätzlich mit Recht, wie ein Staatsrechtsprofessor sagt.
rudolf gafner
Unterschiedliche Ursache, gleiche Wirkung: In Bern demonstriert die linksautonome Antifa seit vier Jahren unbewilligt ? weil sie auf Bewilligungen pfeift. Und in Langenthal demonstrierte letzten Samstag die rechtsradikale Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) unbewilligt ? nachdem sie sich in den letzten vier Jahren vergeblich um Bewilligungen bemüht hatte. Der Marsch in Langenthal sei «direkte Folge der Verbote in anderen Städten» gewesen, man nehme es nicht länger hin, dass es «für uns faktisch kein Demonstrationsrecht zu geben scheint», sagt PNOS-Sprecher Renato Bachmann. Er droht: «Die Städte können sich selber lieb sein: Entweder bewilligte, kontrollierte Demonstrationen oder unkontrollierte Spontandemonstrationen.»
In sieben Städten stets abgeblitzt
Die PNOS zog unbewilligt durch Langenthal, nachdem Solothurn, Olten und Baden ihr Bewilligungen verweigert hatten ? zumal Zusammenstösse mit 1.-Mai-Aktivisten zu befürchten waren. Jedoch, auch sonst ist noch nie eine bewilligte Demonstration zustande gekommen ? von Bern und Liestal im Jahre 2000 bis zu St. Gallen und Frauenfeld im letzten Jahr, überall blitzten die Rechtsextremisten ab. Der PNOS-Mann beklagt «Willkür» und «fadenscheinige Entscheide».Solches weisen die zuständigen Behörden auf Anfrage klar zurück ? stets hätten primär Sicherheitsbedenken, Angst vor Zusammenstössen mit Linken, den Ausschlag gegeben. Indes, nicht nur: Liestal verbot die Demo auch darum, weil die PNOS eine Politik verfolge, die sich ausschliesslich gegen die ausländische Bevölkerung richte und also «mit grösster Wahrscheinlichkeit» rassistische Propaganda zu erwarten sei. Auch in St. Gallen war dies eine mit massgebende Erwägung, umso mehr weil die gesuchstellende Person als Holocaust-Leugner bekannt war: «Ich denke, dass da der Punkt ist, wo man ,Nein!? sagen muss», findet Gewerbepolizeichef Walter Schweizer. Denn immerhin «wollten diese Leute Nazi-Gedankengut vertreten» ? also «hätten wir etwas bewilligt, das keine demokratische Meinungsäusserung ist».
Den Braunen die Strasse geben?
In der Tat gemahnt an die Nazis, was die «eidgenössischen Sozialisten» der PNOS fordern: «Sturz des Systems» ? fort mit «parlamentarischer Scheindemokratie», weg mit Parteienvielfalt und Pressefreiheit. Her mit der «Errichtung eines echten Volksstaats» ? eines Ständestaats «alemannisch-eidgenössischen Rechts», «ethnisch und kulturell geschlossen» nach «gewachsenen Volks- und Rassenstrukturen». Zionisten, Freimaurer und Jesuiten wären im Übrigen verboten.Soll für solch antidemokratisch-fremdenfeindliches Gedankengut freies Demonstrieren überhaupt beansprucht werden können? Soll freie Demokratie selbst ihre Feinde schützen (müssen)? «Nein», meinte unlängst der linksgrüne Berner Anwalt und Politiker Daniele Jenni, allenthalben auch als «Grundrechte-Papst» im Ruf stehend, zur Frage von Nazi-Märschen: «Wer die Demokratie prinzipiell ablehnt, dem billige ich dieses Recht nicht zu.» Anders sieht dies der Basler Staatsrechtsprofessor Markus Schefer: Auch Neonazis hätten grundsätzlich das Recht auf Strassenkundgebungen, freie Meinungsäusserung sei ein nicht teilbares Grundrecht.Eine Nazi-Demo «aufgrund des Inhaltes zu verbieten ist nur zulässig, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht», sagt der Staatsrechtler. «Dass mit strafbaren Äusserungen zu rechnen ist, genügt noch nicht für ein präventives Verbot», insofern sei die diesbezüglich in Liestal und in St. Gallen herangezogene Argumentation in Frage zu stellen. «Repressiv kann ja interveniert werden. Aber ein Verbot auf blossen Verdacht hin halte ich nicht für zulässig.» Der Experte verweist auch auf internationale Praxis; das deutsche Verfassungsgericht etwa habe wiederholt Gemeinden zurückgepfiffen, die der NPD (die mit der PNOS programmatisch praktisch übereinstimmt) Kundgebungen verbieten wollten. Demonstrationen zu verbieten, sei ein schwerer Eingriff in die verfassungsmässigen Rechte der Bürger.
Polizei: Keine Gesinnungsfrage
Andrerseits betont Schefer klar, dass die PNOS jetzt nicht einen Anspruch auf unbewilligtes Demonstrieren ableiten dürfe. «Ein Widerstandsrecht hat sie nicht», jedenfalls nicht solange juristische Mittel nicht ausgeschöpft seien. Die PNOS stellt eine Sowohl-als-auch-Strategie in Aussicht: Sie werde, wenn nicht bewilligt, so halt unbewilligt demonstrieren ? indes auch «alle fadenscheinigen Entscheide künftig vor Gericht anfechten».Umgekehrt hat die PNOS trotz der Verbotskaskade intakte Chancen, dereinst bewilligt die Strasse zu bekommen, wie Behörden auf Nachfrage versichern. «Ganz heikel» wärs, aber «nicht a priori ausgeschlossen», sagt Oltens Polizeidirektorin Doris Rauber (sp). «Man kann sicher nicht grundsätzlich sagen, dass wir ihnen die Bewilligung nicht geben würden», erklärt auch Walter Lüdi von der Polizei in Solothurn. Max Romann, Vizepolizeikommandant von Baden, ist sogar «fast überzeugt, dass man in Baden die Bewilligung erteilen würde, sofern der Hintergrund gut abgeklärt ist». Auch im rot-grünen Bern sind Braune vom Demo-Recht nicht im Grundsatz ausgenommen: Sicherheitsbedenken gebe es, so Polizeisprecher Bruno Gurtner, aber «mit Gesinnung hat das nichts zu tun».