Neonazis marschieren in Sempach auf – Luzerner Polizei greift nicht ein

zentralplus.ch.

In Sempach sind am vergangenen Wochenende rund 70 Neonazis aufmarschiert. Unbehelligt von den Behörden hielt der braune Mob beim Winkelried-Denkmal eine rechtsextreme Gedenkfeier zur Schlacht bei Sempach ab. Infolge der zentralplus-Recherchen hat der Kanton Luzern jetzt entsprechende Nachforschungen aufgenommen.

Dutzende Rechtsradikale sind am Wochenende zum Winkelried-Denkmal in Sempach gepilgert. Anlass für den Aufmarsch war eine von Neonazikreisen organisierte Gedenkfeier zur Schlacht bei Sempach – kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren wurde das Sempacher Schlachtgelände immer wieder zum Mekka von Neonazis. Das weiss auch der Sempacher Stadtpräsident Jürg Aebi.

«In den vergangenen Jahren haben sich hier immer wieder Neonazis anlässlich des Gedenktags versammelt», sagt Aebi zu zentralplus. Dass es vergangenen Samstag nun abermals zu einem Neonaziaufmarsch in Sempach gekommen ist, davon habe Aebi allerdings «bisher keine Kenntnis gehabt». Der Luzerner Polizei hingegen war es bekannt, dass am Wochenende eine Kranzniederlegung geplant war, wie diese auf Anfrage von zentralplus bestätigt. «Der genaue Tag und der Zeitpunkt waren uns nicht bekannt», sagt Urs Wigger, Sprecher der Luzerner Polizei.

Schweizer Neonazis zelebrieren in Sempach Schlachtfeier – unbehelligt von den Behörden

Die Schlacht bei Sempach, die auf den 9. Juli 1386 datiert wird, gilt als eine der historisch bedeutsamsten in der Geschichte der Eidgenossenschaft. Sie markiert den Höhepunkt des Konflikts zwischen Eidgenossen und Habsburgern. Nicht zuletzt ging aus ihr die Heldensage um Arnold von Winkelried hervor. Dem Mythos zufolge soll er sich in die Speere der Habsburger gestürzt haben, um seinen Landsleuten den Weg zum Sieg freizumachen. Noch bis heute dauert der Heldenkult um Winkelried an.

«Dieser Krieg hat auf beiden Seiten viele Opfer gefordert. Wir gedenken nicht nur der gefallenen Eidgenossen, sondern auch den Habsburgern», sagt Aebi. So auch am vorletzten Wochenende, als die offizielle Gedenkfeier Sempach – aufgrund von Corona im geschlossenen Rahmen – stattfand. Abseits der offiziellen Feierlichkeiten und eine Woche später marschierten dann die Neonazis in der Luzerner Gemeinde auf. Dabei trugen Neonazis aus der ganzen Schweiz – von den Behörden unbehelligt – ihre rechtsradikale Gesinnung in Sempach zur Schau.

Über den braunen Besuch zeigt sich der Sempacher Stadtpräsident wenig erfreut. Aebi moniert, dass Rechtsradikale den Charakter der Feier, in der es eigentlich um die Gefallenen auf beiden Seiten geht, für ihre Zwecke politisch instrumentalisieren. «Wir verurteilen Extreme. Und sind alles andere als erfreut darüber, dass sich Rechtsradikale in unserer Gemeinde treffen», so Aebi weiter.

Teilnehmer des rechtsextremen Aufmarschs haben Verbindung zu Neonazi-Terrornetzwerk

Organisiert wurde die Neonaziveranstaltung – wie auch schon in den Jahren zuvor – von der Nationalen Aktionsfront NAF. Die Gruppierung wurde 2014 gegründet und ist seither immer wieder in der Deutschschweiz aktiv.

Auf einer Aufnahme, die den Aufmarsch in Sempach zeigt, ist der Walliser Elektromechaniker Silvan G.* zu sehen. Der Rechtsradikale ist Mitglied des in Deutschland verbotenen Neonazinetzwerks «Blood & Honour». Er pflegt zudem enge Beziehungen zu «Combat 18» – der «Kampftruppe Adolf Hitler», dem militanten Flügel des Neonazinetzwerks. Dabei steht die «1» für den ersten Buchstaben des Alphabets, also Adolf und die Zahl «8» entsprechend für «H» wie Hitler.

C18 gilt als international agierendes Terrornetzwerk. Mit dem Schweizer Ableger der militanten Neonazigruppierung eng verbunden ist auch die rechtsextreme Zentralschweizer Bruderschaft «Brigade 8» aus dem Kanton Schwyz sowie die «Kameradschaft Heimattreu».

70 Rechtsextreme marschieren beim Winkelried-Denkmal auf

Treffpunkt der braunen Schar war der Schulhausplatz in Hildisrieden. Von dort aus marschierten die Rechtsradikalen zum Winkelried-Denkmal. Laut Luzerner Polizei waren am Samstag rund 70 Personen bei der Kranzniederlegung in Sempach anwesend. Die «Antifa Bern» berichtete zuvor von rund 90 Rechtsradikalen. Begleitet wurde der Aufmarsch in Sempach von einem Kameramann. Bei diesem soll es sich um den Anführer der Winterthurer «Eisenjugend Schweiz» und Mitglied der Neonazigruppe «Nationalistische Jugend Schweiz», Manuel C.*, der unter dem Pseudonym Eszil auftritt, gehandelt haben.

Der Jungneonazi und einstige Student der Hochschule der Künste Zürich (ZHdK) sorgte mit seinem Rauswurf von der Hochschule wegen der Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts schweizweit für Schlagzeilen. 2000 ZHdK-Studenten hatten daraufhin in einer Petition seinen Rauswurf gefordert – mit Erfolg.

Die mittlerweile aufgelöste «Eisenjugend» und die «Nationalistische Jugend Schweiz» haben sich unterdessen zur Neonazi-Nachwuchsgruppierung «Junge Tat» zusammengeschlossen. Im Vorfeld wurde der Rechtsextremen-Event in Sempach mit Flyern beworben – unter anderem auf dem Messenger-Dienst Telegram. So stand auf dem Programm «musikalische Unterhaltung» und ein «Nachmittagsprogramm bei schönem Wetter».

Rechtsradikale Walliser Musikerin singt an Sempacher Neonazi-Event

Recherchen von zentralplus zeigen: Auch die rechtsradikale Walliser Musikerin Naomi C.*, die unter dem Namen «Ewiger Sturm» auftritt, hat an der Neonaziveranstaltung teilgenommen. In der Rechtsradikalenszene ist sie längst keine Unbekannte mehr, trat früher unter dem Namen «Edelweiss 88» auf. Die Doppel-Acht gilt in rechten Kreisen als Code für den Neonazi-Gruss «Heil Hitler».

In den sozialen Medien teilt die Walliserin stolz Videos ihres Auftritts beim Sempacher Neonazi-Event, an dem sie Covers von bekannten deutschen Rechtsrockbands wie «Divison Germania» und «Frontalkraft» zum Besten gab. Letztere Band trat im Oktober 2016 beim grössten Neonazikonzert der Schweiz in den vergangenen Jahren im Toggenburg in Unterwasser auf (zentralplus berichtete).

Ebenfalls am Samstag in Sempach zugegen waren Anhänger der NAF-Jugend-Gruppe «Junge Tat» sowie Pnos-Mitglieder. In den sozialen Medien zelebriert die rechtsextreme Partei die Kranzniederlegung beim Winkelried-Denkmal mit den Worten: «In Erinnerung an die Schlacht von Sempach. Danke den Eidgenossen, die für uns gekämpft haben und jenen, die für uns kämpfen!» Begleitet wurden die Schweizer Neonazis von Gesinnungsgenossen der rechtsextremen deutschen Kleinpartei «Der III. Weg».

Brauner Mob feierte Schlacht bei Sempach – ohne Bewilligung

Unterbunden wurde der Rechtsextremen-Aufmarsch seitens der Behörden nicht. «Die Luzerner Polizei ist nicht Bewilligungsinstanz für eine Kranzniederlegung. Gemäss unserem Kenntnisstand ist eine Kranzniederlegung auch nicht bewilligungspflichtig», so der Luzerner Polizeisprecher.

Das «Reglement über die Benützung des Schlachtfeldes von Sempach» sieht allerdings vor, dass für eine öffentliche Veranstaltung auf dem Gelände eine Bewilligung notwendig ist. Eine entsprechende Anpassung wurde im Jahr 2013 erlassen. Ziel war es, so dem Kanton eine rechtliche Grundlage zu geben, um unbewilligte rechtsextreme Aufmärsche zu sanktionieren.

Bei der für die Bewilligung zuständigen Dienststelle Immobilien des Finanzdepartements des Kantons Luzern heisst es auf Anfrage von zentralplus, dass man erst nach dem Anlass Kenntnis erlangt habe, dass die Kranzniederlegung am besagten Wochenende stattgefunden hat.

Die Sprecherin des Luzerner Finanzdepartements Yasmin Kunz erklärt: «Als öffentliche Veranstaltung gilt jeder Anlass, zu dem ein unbestimmter Personenkreis eingeladen wird und der für jedermann zugänglich ist. Für die Kranzniederlegung der rechten Gruppierungen gab es gemäss unseres Wissens seitens der mutmasslichen Organisatoren keinen öffentlichen Aufruf in Sinne des Reglements.»

Kanton Luzern hat noch keine Anzeige gegen Neonaziveranstalter eingereicht

Wie Recherchen von zentralplus jedoch zeigen, ist das Gegenteil der Fall. Denn allein auf dem Telegram-Kanal von «Ewiger Sturm» wurde der von der Walliserin geteilte Veranstaltungsflyer von über 1000 Personen gesehen. Mit diesen Erkenntnissen konfrontiert, erklärt der Kanton Luzern auf Anfrage nun doch entsprechende Nachforschungen aufzunehmen. «Wir werden diese Informationen prüfen und anschliessend entscheiden, ob wir Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Widerhandlung gegen Paragraph 8a des Reglements über die Benutzung des Schlachtfeldes von Sempach erstatten», sagt Kunz.

Sollte eine Verletzung des Reglements festgestellt werden, kann diese mit einer Busse von bis zu 5000 Franken bestraft werden. Vorerst bleiben die Konsequenzen für den Aufmarsch der Rechtsradikalen beim Winkelried-Denkmal in Sempach also unklar. Ebenso wie die Frage, warum der rechtsextreme Anlass nicht bereits im Vorfeld von den Behörden im Keim erstickt wurde.

*Namen der Redaktion bekannt