Nur weil es seit dem Konzertanlass in Unterwasser im Oktober 2016 medial wieder ruhiger geworden ist, heisst das nicht, dass sich die extreme Rechte in der Schweiz still verhält. Wir blicken ein Jahr zurück.
Sechzehn Jahre nach ihrer Gründung will die altbekannte Neonazipartei Partei national orientierter Schweizer (PNOS) neue Wege gehen. Sie geben sich ein neues Image und wollen für den Nachwuchs ansprechender werden. Als im Sommer 2016 einige junge Leute der Region Oberaargau auf die aus ihrer Sicht unbefriedigende Nachtleben-Situation aufmerksam machen und für eine Nacht das Risi-Bad in Aarwangen BE besetzen wollten, stellten sich die Angehörigen des PNOS-eigenen Sicherheitsdienstes «Ahnensturm» auf die Hinterbeine und proklamierten eine «national befreite Zone». Offen drohte der Ahnensturm den Organisator_innen und liess durchblicken, dass wer sich in dieser Nacht auf dem Gelände des Freibades bewegen sollte, sofort angegriffen würde. Die Veranstalter_innen des so genannten Risi-Dance zogen den Aufruf für ihre Protestaktion aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen zurück. Im Sommer 2017 wagte die PNOS gar den Zusammenschluss mit der dem Untergang geweihten Direktdemokratischen Partei Schweiz (DPS).
In Wileroltigen BE tobte diesen Sommer ein Sturm gegen einen Transitplatz für Sinti, Jenische und Roma. In Bürger_innenwehr- Manier formierte sich der Widerstand gegen das «Unbekannte», das «richtig» instrumentalisiert, Menschen Angst einzuflössen vermag. Plötzlich engagierten sich dort Rechtspopulist_innen, Neonazis und selbsternannte Heimatschützer_innen von nah und fern gemeinsam für die ihnen bisher völlig unbekannte Gemeinde im Berner Mittelland und versuchten, «alteingesessene Werte» zu erhalten und zu verteidigen.
Auch anderswo versuchen Deutschschweizer Neonazis und ihre verwandten etablierten Parteien, durch volksnahe Aktionen Stimmung zu machen. Die Junge SVP verteilte am 16. September 2017 in Biel/Bienne BE 1’000 Schokoküsse, um gegen eine «übertriebene politische Korrektheit in der deutschen Sprache» zu demonstrieren. Mit Slogans wie «Kein Mohrenkopf ist illegal» und «Je suis Mohrenkopf» versuchten sie, Bürger_innen für ihre Anliegen zu gewinnen.
Dynamik in der Westschweiz
Während in der Deutschschweiz szeneinterne Umstrukturierungen das Bild prägen, ist die Westschweiz weiterhin von der rechten Dynamik aus Frankreich beeinflusst. Die französische Bewegung der Identitären bildet sowohl aktionistisch wie ideologisch ein starkes Vorbild. Einzelne Westschweizer Exponent _innen sind im «Bloc identitaire» aktiv. So etwa der aus Genf stammende Jean-David Cattin, der für die Identitäre Bewegung die Aktion «Defense Europe» koordiniert(e).
Die Zusammenarbeit in der Grenzregion Genf verstärkte sich in den letzten Jahren laufend. Das französische Bündnis «Autour du Lac» agiert etwa in der ganzen Region Genfersee und macht damit seinem Namen alle Ehre. Die Walliser Gruppe «Renaissance Helvétique» hat sich unlängst umbenannt und tritt nun unter dem Label «Résistance Helvétique» auf. Sie hat ihr Einflussgebiet ausgebaut und verfügt über mehrere Ableger in der Westschweiz. Damit gibt es neben der von Philippe Brennenstuhl dominierten Parti Nationaliste Suisse (PNS) eine weitere etablierte Struktur in der Waadt.
Ergänzt werden diese rechtsextremen Gruppierungen durch die in Genf aktive Kameradschaft Kalvingrad Patriote, die als Brückenbauerin zwischen den neueren Gruppen agiert. So waren es Angehörige von «Kalvingrad Patriote», die im April 2017 in Genf ein erstes Kampfsportevent unter dem Namen «Cabochards Contest» organisierten. Beteiligt haben sich alle genannten Gruppen, res- pektive ihre assoziierten Sportler_innen.
Am 10. Juni 2017 nahmen an einem weiteren Kampfsportevent in der Region Rhône-Alpes rund 300 Personen teil. Sie liessen den Abend bei Konzerten von Green Arrows (I), Jolly Rogers (E) und KMVII (I) ausklingen. Auch Schweizer Hammerskins (SHS) waren an diesem Anlass beteiligt.
«Résistance Helvétique» bemüht sich aber auch um ein politisches Image. Sie organisierte Konferenzen, nahm an diversen Veranstaltungen im Ausland teil und gibt sich, im Gegensatz zu den anderen Organisationen der Westschweiz, sehr medienaffin.
Musik verbindet
Der Grossanlass «Rocktoberfest» am 15. Oktober 2016 in Unterwasser SG zeigte deutlich, dass es für Neonazis bisher relativ einfach war, in der Schweiz Konzerte durchzuführen. Organisator_ innen liefen kaum Gefahr, dass Veranstaltungen von Behördenseite verboten oder aufgelöst würden. Kurz nach Unterwasser war der Druck auf die Behörden, aktiver gegen solche Veranstaltungen vorzugehen, gestiegen. Trotzdem fanden weitere Konzerte in und um die Schweiz statt: Im Grenzgebiet um Genf gab es mindestens zwei Events. Auch im Tessiner Grenzgebiet ist ein Konzert aus den Reihen von B&H/C18 bekannt geworden. Zudem hat die deutsche Band Skalinger diesen Sommer in der Schweiz gespielt.
In Lausanne verhinderte die Polizei am 2. November 2016 die «Konferenz zum Nationalismus», an der die Band Frakass (F) hätte auftreten sollen. Ein weiteres Konzert, das durch die Strukturen der «Crew 38 Romandie» organisiert wurde, ist polizeilich verhindert worden. Im Sommer vorher, am 2. Juli 2016, fand im Kanton Waadt ein Konzertabend mit drei Bands statt. Organisiert wurde der damalige Anlass ebenfalls über die ansässigen Hammerskin-Strukturen. Diese Konzerte konnten ungestört über die Bühne gehen.
Natürlich versuchte die rechtsextreme Szene, an den grossen «Erfolg» von Unterwasser anzuknüpfen: Im Juli 2017 wurden in Themar (Thüringen/D) durch das selbe Umfeld weitere Konzerte veranstaltet.
Der Gewinn der Anlässe dürfte hoch ausgefallen sein und wird wohl mindestens zum Teil den Angeklagten im so genannten Ballstädt-Prozess zugute kommen. Ein Teil des Gewinns dürfte zudem in die hiesigen Strukturen geflossen sein. Aufgrund des medialen Drucks im Nachgang zu Unterwasser wurden zwar mehrere behördliche Einreisesperren gegen rechtsextreme Bands ausgesprochen. Die gegen Phil Neumann, alias Flak (D) im Oktober 2016 verhängte Einreisesperre wurde durch die zuständigen Behörden jedoch erst nach seinem Auftritt am Event der Ostschweizer PNOS-Sektionen durchgesetzt. Im Januar 2017 wurde bei Polizeikontrollen vor einem durch die PNOS organisierten Konzert in Willisau eine Person dank gültiger Einreisesperre angehalten. Beim Hammerskin-Konzert im Sommer 2017 im fribourgischen Séry konnten die Bandmitglieder von Katastrof (I) wegen der Einreisesperren die Grenze nicht passieren – dieser Konzertabend fiel ins Wasser.
Reisefreudige Schweizer Neonazis
Nach wie vor scheinen Schweizer Neonazis gerne an Anlässen im Ausland teilzunehmen und sich europäisch besser zu vernetzen. So sind auch dieses Jahr Mitglieder von B&H/C18 Zürich am Rudolf Hess-Gedenkmarsch in Spandau beobachtet worden und Exponent_innen der frankophonen Gruppen rund um «Résistance Helvétique» nahmen im November 2016 am Grossaufmarsch der Nationalist_innen in Polen teil.
Die Anlässe im Ausland scheinen wichtiger geworden zu sein, weil praktisch alle schweizerischen (Schlacht)-Aufmärsche ausgesetzt wurden oder nicht mehr in der früheren Form durchgeführt werden können (Rütli, Sempach, Morgarten). Beobachtet wurde zudem eine Annäherung der Schweizer und der osteuropäischen Neonaziszene. Den Hammerskins nahestehende Neonazis aus der Romandie reisten mit der französischen NSBM-Band Peste Noire nach Kiew und pflegten dort bereits bestehende Kontakte. Dass Schweizer Neonazis aus der Romandie via «Misanthropic Division» die Kämpfe in der Ukraine und des «Azov-Bataillons» unterstützten, war bereits früher bekannt geworden. Weitere Beispiele für eine Annäherung sind Ausflüge von Exponent_innen der Hammerskins nach Polen und Tschechien sowie in den Balkan im Jahr 2017. Auch das Moskauer «Crew 38» Chapter steht mindestens seit 2012 unter dem Patronat der Schweizer Hammerkins. Schliesslich hat die PNOS im Februar 2017 den Russen Denis Nikitin ans Selbstverteidigungsseminar und an den russischen Kulturtag in einer Waldhütte in Aarberg eingeladen. Die gleiche Offenheit gegenüber den osteuropäischen Rechtsextremen zeigte auch die Schweizer Rechtsrockband Amok: sie trat am 11. März 2017 in Polen auf. Organisiert wurde das Event von B&H/C18-Strukturen. Nebst Amok traten Szenegrössen wie Oidoxie (D) und weitere Bands aus dem B&H-Spektrum auf.
Amok sorgte diesen Sommer für ein Novum: Die Musiker der Band, die stets darauf bedacht waren, nicht öffentlich aufzutreten, machten eine Ausnahme und gaben Bandinfos bekannt: Am Eichsfeldtag in Leinefelde (Thüringen/D), organisiert von Thorsten Heise, waren neben dem langjährigen und konstanten Mitglied Kevin Gutmann auch Jürg Steiner und Stefan Schälchli auf der Bühne zu sehen. Es erstaunt wenig, dass die über die Jahre frei gewordenen Plätze in der Band allesamt aus den B&H/C18-Reihen besetzt wurden.