Neonazis fehlt junger Zulauf

Ostschweiz am Sonntag: Kaltbrunn Medienleute aus der ganzen Schweiz reisen zu einer Veranstaltung der rechtsextremen Pnos. Parteichef Dominic Lüthard nutzt dies zur Verkündung seiner politischen Ziele.

In Unterwasser fand die bestbesuchte Naziskinhead-Veranstaltung in der Schweiz seit den Anfängen dieser Jugend-Subkultur Mitte der 1980er-Jahre. statt. Aber der beachtliche Besucherandrang kann nicht darüber hinwegtäuschen: Seit Jahren findet die Szene kaum neue junge Anhänger. Dies belegen auch Bilder vom Konzert: Unter den Männern kaum Jugendliche, hingegen viele gestandene Herren. Anders im Tessin, dort bestehen seit Jahren mehrere aktive Naziskin-Gruppen, verbunden mit norditalienischen Gleichgesinnten. Hinweise auf Kontakte in die Deutschschweiz sind selten.

Erstes Pnos-Programm war inspiriert von der NSDAP

Drei der in Unterwasser auftretenden sechs Bands sind seit Jahren in der Bewegung, so auch die Schweizer Gruppe «Amok», deren Mitglieder dem weitverzweigten Neonazi-Netzwerk «Blood und Honour» nahestehen oder angehören. Vor über zehn Jahren hatten die vier Musiker jenen Auftritt, der bislang die grösste Beachtung fand. Die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens SRF konnte im Herbst 2005 verdeckt aufgenommene Aufnahmen eines Konzerts in Brig ausstrahlen. Diese belegten den Vortrag übler antisemitischer Lieder sowie den Verkauf von neonazistischen Schriften und Tonträgern. Sie führten dazu, dass zum ersten – und bis anhin letzten – Mal die Organisatoren eines Neonazi-Konzertes wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurden. Auch damals hatte die Polizei zuerst gemeldet, sie sei vor Ort gewesen und es sei alles ruhig abgelaufen.

Die Naziskin-Bewegung ist seit Mitte der 1980er-Jahre wellenartig gewachsen. In ihren besten Zeiten bewegten sich in ihrem Kern und näheren Umfeld über tausend junge Männer, vorwiegend in Dörfern und Kleinstädten wohnhaft. Die Fluktuation allerdings war gross, für viele junge Männer war die Skinheadphase die Zeit zwischen Stimmbruch und Konkubinat. Sie erhielt nur nach aufsehenerregenden Vorfällen breitere Medienaufmerksamkeit. So im Mai 1989 nach einer «Tamilenjagd» in Zug, nach einem Treffen von Marcel Strebels «Patriotischer Front». So im November 1995, nachdem über fünfzig Männer nach einem Aufruf der Schweizer Hammerskins im luzernischem Hochdorf ein «antifaschistisches Festival» angriffen hatten. Mediale und auch politische Resonanz löste der Versuch der rechtsextremen Vereinnahmung der 1.-August-Bundesfeier auf dem Rütli aus. Im Jahr 2000 war Bundespräsident Kaspar Villiger vom Skin-Mob ausgepfiffen und 2005 Samuel Schmid angepöbelt worden. Beim letzten Vorfall waren rund 700 Rechtsextreme präsent gewesen, rund die Hälfte der Festbesucher. Danach schlossen die Rütliwiese-Verwalter die Rechtsextremen von der Feier aus.

Die Subkultur hat auch ihre eigene politische Kraft, die noch heute für die militante Ablehnung der Einwanderung von Menschen nichteuropäischer Herkunft steht: Die Partei National Orientierter Schweizer Pnos, gegründet im Herbst 2000. Die Parteigründer kamen von «Blood and Honour». Ihr erstes Programm war inspiriert von der NSDAP und führte Jahre später zu einer Verurteilung wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm.

In der Westschweiz dominieren junge Politaktivisten

Auch der aktuelle Präsident Dominic Lüthard bewegte sich als Sänger der Rechtsrock-Band «Indiziert» zuerst in der Naziskin-Subkultur. Der Partei sollen gemäss ihren eigenen Angaben rund 400 Mitglieder angehören. Diese Zahl lässt sich nicht überprüfen, ist aber mutmasslich zu hoch. Hingegen hat die Partei sei Jahren eine Westschweizer Sektion, die Parti Nationaliste Suisse PNS, autoritär geführt vom 60jährigen Holocaust-Leugner Philippe Brennenstuhl.

In den vergangenen Jahren kündigten Pnos-Vertreter mehrmals an, es gehe aufwärts. Die Realität sah anders aus: Mehrere Sektionen (wie Innerschweiz, Aargau) stellten ihre Aktivitäten ein. Ihren Sitz im Stadtparlament Langenthal gab die Partei nach sieben Jahren – mangels Ersatz – kampflos auf. Neben der Pnos bestehen seit Jahren weitere kleine Gruppen, so die völkisch-heidnische Avalon-Gemeinschaft. Der Basler Ernst Indlekofer veröffentlicht weiterhin die Zeitung «Recht und Freiheit», in der er den Nationalsozialismus verharmlost und rassistische wie antisemitische Tiraden verbreitet. Anders ist die Situation in der Westschweiz, hier dominieren junge Polit-aktivisten, teils verbunden mit bestehenden Strukturen wie dem «Cercle Proudhon», getragen vom Genfer Anwalt Pascal Junod. Diese Aktivisten agieren auch in Städten, insbesondere in Genf. Sie orientieren sich nicht an nationalsozialistischen Vorstellungen, sondern an jenen der französischen «Nouvelle Droite», die eine getrennte Entwicklung von Menschen unterschiedlicher Herkunft fordert. Dazu zählen die Genfer «Identitären», ihr bekanntester Vertreter Jean-David Cattin, gehört zur Führungscrew der französischen Identitären. Dazu gehört die Gruppe «Egalité et Réconciliation» (Gleichheit und Aussöhnung), die sich als «Linke der Arbeit und Rechte der Werte» definiert. Diese Gruppen veranstalten Vorträge, manchmal auch Demonstrationen oder Flugblattaktionen. Sie sind präsent in den sozialen Medien. Am aktivsten ist «Résistance Helvétique». Gegründet im Wallis, wurde sie bald in weiteren Westschweizer Kantonen aktiv. Ihr politisches Programm sieht die Auflösung der Parteien vor, ebenso die Wiedereinführung der Todesstrafe und der lebenslänglichen Verwahrung sowie die Beschränkung des Asylrechts auf «Angehörige von Nachbarstaaten». An der Staatsspitze soll ein «Landammann» stehen, der «Minister» ernennen kann. Gewählt würde der starke Mann von einem Ständerat, dessen Mitglieder von den Kantonsregierungen ernannt würden. Den Nationalrat will die Partei aufheben und durch einen «Korporationsrat» ersetzen, als Vertreter wirtschaftlicher und sozialer Gruppen. Der Rat soll allerdings nur beratende Funktion haben. Ähnlich wollten einst die Frontisten der 1930er-Jahre den Staat diktatorisch organisieren, inspiriert von den italienischen und spanischen Faschisten.

Gemeindeverband prüft Massnahmen

Traktandiert Der Aufmarsch Tausender Neonazis im Toggenburg vom vergangenen Wochenende beschäftigt auch den Schweizerischen Gemeindeverband (SGV). Bei diesem sind über 70 Prozent aller Schweizer Gemeinden Mitglied. Wie Direktor Reto Lindegger sagt, sei der Vorfall beim Treffen mit den kantonalen Gemeindeverbänden am Donnerstag traktandiert. Es werde erörtert, ob der SGV einen Leitfaden für Gemeinden erarbeiten soll. «Bislang wurde dieses Anliegen aber von keiner Gemeinde an uns herangetragen», sagt Lindegger. Allenfalls – bei zu vielen kantonalen Unterschieden – müssten die Kantonalverbände das Heft in die Hand nehmen. Die Ankündigung der Polizeibehörden, Gemeinden zu sensibilisieren, begrüsst der SGV-Direktor: «Sensibilisierung ist immer gut.»

Dem Ruf nach einem neuen Gesetz, wie er vergangene Woche von Politikern laut geworden ist, steht Lindegger kritisch gegenüber. «Zuerst muss geklärt werden, ob die bestehenden Rechtsgrundlagen nicht ausreichend sind, um einen solchen Anlass zu verbieten.» Generell plädiert der SGV-Direktor dafür, solche Vorkommnisse nüchtern zu analysieren. «Man sollte nicht aus dem Effekt heraus reagieren», betont er. (seb.)

Grosses Interesse für eine kleine Partei

Grossaufgebot am Samstagabend vor dem Gasthaus Löwen in Kaltbrunn: Auf dem Parkplatz hatte die Polizei mit mehreren Autos Stellung bezogen und auf dem Trottoir wartete eine Gruppe von Fotografen, Kameraleuten und Journalisten. Gegen halb sieben Uhr trat Dominic Lüthard, Präsident der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos), vor die Medienleute und sagte: «Wir haben hier eine Parteiveranstaltung und kein Konzert mit 5000 Leuten.»

Wer ist die Pnos überhaupt?

Die gestrige Gründungsfeier von fünf Ostschweizer Sektionen der Pnos wäre wohl unbeachtet von der Öffentlichkeit über die Bühne gegangen – wären nicht vor einer Woche 5000 Rechtsextreme zu einem Konzert nach Unterwasser angereist. Der Grossaufmarsch der Neonazis im Toggenburg hat der angekündigten Gründungsfeier der Pnos unerwartete Aufmerksamkeit und Medienpräsenz beschert.

Die Pnos hat politisch so gut wie keinen Einfluss – auch wenn die Gründung neuer Sektionen diesen Eindruck vermitteln könnte. Nach eigenen Angaben zählt sie elf Sektionen quer durchs ganze Land und etwa 400 Mitglieder. Davon sollen 60 in der Ostschweiz zu Hause sein. An der Spitze der «Landesleitung» steht Dominic Lüthard. «Wir sind in den vergangenen Jahren gewachsen», sagte der Pnos-Präsident gestern Abend vor den Medien in Kaltbrunn. Noch vor eineinhalb Jahren habe die Partei erst 300 Mitglieder gezählt. Gefragt nach den Parteimitgliedern antwortete er: Das durchschnittliche Mitglied sei männlich und zwischen 20 und 30 Jahre alt.

Die Partei national orientierter Schweizer bewegt sich am äussersten rechten Rand des politischen Spektrums, sie ist aber legal. Lüthard war zwar wiederholt wegen Rassendiskriminierung angeklagt, wurde aber jeweils freigesprochen. Der Pnos-Präsident wohnt im Oberaargau, wo die Partei seit Jahren stark ist. Dennoch scheiterte Lüthard bislang bei seinen Anläufen auf ein politisches Amt. Zweimal setzte er zum Sprung ins Berner Kantonsparlament an; beide Male blieb er chancenlos. Auch in der übrigen Schweiz hat die Partei auf kantonaler Ebene keine Relevanz. Etwas anders ist es auf Gemeindeebene: Drei Jahre lang sass ein Vertreter im Gemeinderat der solothurnischen Gemeinde Günsberg; sieben Jahre stellte die Partei einen Vertreter im Stadtparlament von Langenthal, 2011 räumte sie den Sitz freiwillig – es fand sich kein Nachfolger. Zurzeit ist die Pnos in keinem kommunalen Parlament mehr vertreten. Lüthard macht jedoch klar, dass er dies ändern will. «Der parlamentarische Weg ist das Ziel.» Dafür brauche es jedoch gewisse Strukturen sowie Mitglieder, die bereit seien, sich zu exponieren.

Der Pnos-Präsident kritisierte sodann die rechtsbürgerliche Politik der SVP. Sie schaffe es nicht, Urnenentscheide wie die Masseneinwanderungs-Initiative politisch durchzusetzen. «Wir wollen nicht nur über das Ausländerproblem reden, wir wollen auch etwas verändern», so Lüthard.

Zu ihren Zielen schreibt die Partei auf ihrer Homepage, die Pnos wehre sich dagegen, dass aus Europa ein zweites Amerika gemacht werden solle. «Deshalb fordert sie den rechten Volksstaat in der Schweiz und tritt entschieden gegen die heuchlerischen Phrasen vom Multikulti und totaler Vermischung aller Völker ein, welche nur den globalistischen Plan zur Auslöschung aller Völker und Kulturen bemänteln sollen.»

«Ahnensturm» wacht über Parkplatz

Seit Anfang 2015 hat die Pnos einen parteieigenen Sicherheitsdienst, den «Ahnensturm». Er zählt rund 25 Mitglieder und ist laut Lüthard keine paramilitärische Einheit. «Wir wollen nicht Kriegerlis spielen.» Der Sicherheitsdienst habe den Auftrag, die Parteimitglieder zu schützen – «auch vor aufdringlichen Journalisten». Die Partei wolle ihre Anlässe und Veranstaltungen «störungsfrei» durchführen können. Und weiter: «Dies sollte in einem freien Land wie der Schweiz eigentlich normal sein. Der Pnos wollen gewisse Menschen – meist aus dem linksextremen Umfeld – diese Freiheit allerdings nicht gewähren und greifen nicht selten zu feigen und hinterhältigen Mitteln.»

Interview

«Schweiz ist kein Paradies für Rechtsextreme»

Bundesrat Guy Parmelin, wie haben Sie reagiert, als Sie vom grössten Treffen von Rechtsextremen seit vielen Jahren im Toggenburg gehört haben?

Ich habe mich geärgert. Solche Anlässe haben in der Schweiz nichts verloren. Natürlich habe ich mich auch gefragt, ob man das Konzert nicht hätte verhindern können. Schliesslich habe ich mich vom Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes, dem NDB, über den Ablauf orientieren lassen. Der NDB hat seine Verantwortung wahrgenommen.

Hat der NDB die Gefahr nicht unterschätzt?

Nein, das hat er nicht. Er hat alles gemacht, was in seinen Möglichkeiten lag und das geltende Recht erlaubt. Er hat seinen Wissensstand jeweils rasch an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Die Schwierigkeit bei Anlässen der links- und rechtsextremen Szene ist, dass mit falschen Angaben und hoher Geheimhaltung agiert wird.

Wie kann man verhindern, dass die Schweiz zum Magnet für Rechtsextreme aus dem europäischen Raum wird?

Es ist den Kantonen in der Vergangenheit immer wieder gelungen, solche Konzerte zu verhindern. Das gelingt am besten, wenn die möglichen Vermieter von Lokalen sensibilisiert sind und im Zweifelsfall an die Polizei gelangen. Aus der Sicht des VBS geht es hier um eine Verbundaufgabe. Alle sind gefordert: Die kommunalen und die kantonalen Behörden sowie alle betroffenen Organe des Bundes müssen in diesen Fragen an einem Strick ziehen. Wir alle müssen zusammenarbeiten, einander helfen und uns gegenseitig unterstützen. Die Schweiz ist kein Paradies für Rechtsradikale, aber wir müssen dafür sorgen, dass sie es auch nicht wird.

Braucht es vorsorgliche Massnahmen, oder genügt das neue Nachrichtendienstgesetz?

Die Schweiz kennt kein Verbot des politischen Extremismus. Aufgabe des Nachrichtendienstes ist es denn auch, ausschliesslich gewalttätigen Extremismus zu bekämpfen. Ist kein klarer Gewaltbezug erkennbar, wird nicht zu Gewalt aufgerufen oder sogar Gewalt angewendet, sind dem Nachrichtendienst die Hände gebunden. Das ist politisch so gewollt. Daran ändert auch das neue Nachrichtendienstgesetz nichts. Ebenfalls politisch gewollt ist, dass die neuen Massnahmen im Nachrichtendienstgesetz, wie zum Beispiel das Abhören von Telefonen, bei Gewaltextremismus nicht angewendet werden dürfen. Wollte man weitergehen und auch den politischen Extremismus stärker bekämpfen, wären die Politiker und die Polizeikorps gefordert.