Neue Zürcher Zeitung.
Sowohl auf ukrainischer wie auch auf prorussischer Seite kämpfen seit 2014 Rechtsradikale aus westeuropäischen Staaten mit. Nach der Eskalation des Konfliktes wollen Nachrichtendienste und Polizeibehörden Ausreisen von mutmasslichen Kämpfern verhindern.
Seitdem die russische Armee mit der Invasion in der Ukraine begonnen hat, hält das Schicksal dieser Nation die ganze Welt in Atem. Doch der bewaffnete Konflikt zwischen den beiden Staaten tobt bereits seit dem Frühling 2014. Damals riefen prorussische Separatisten die «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk aus.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit mischen in diesem Konflikt auch Personen aus westlichen Staaten mit. Involviert sind in den meisten Fällen Personen aus der rechtsradikalen Szene. Ob und wie viele dieser bewaffneten Kämpfer aus Deutschland und der Schweiz stammen, ist aufgrund der Verschwiegenheit der Szene unklar. Zumindest ideell und finanziell unterstützen Neonazis ihre Gesinnungsgenossen in der Ukraine.
Hohe Wachsamkeit
Der Ausbruch des offenen Krieges weckt bei den Behörden in der Schweiz und in Deutschland nun die Befürchtung, dass sich dieses Phänomen verstärken könnte. «Dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist bekannt, dass Kontakte einzelner Schweizer Exponenten der gewalttätigen rechtsextremistischen Szene zu gewalttätigen ukrainischen Rechtsextremisten bestehen», erklärt die NDB-Sprecherin Isabelle Graber auf Anfrage der NZZ.
Dem Nachrichtendienst lägen jedoch gegenwärtig keine Erkenntnisse darüber vor, dass bis anhin Schweizer Rechtsextremisten an Kampfhandlungen in der Ukraine beteiligt gewesen seien. Entsprechende Berichte kursierten wiederholt in den Medien.
Auch das deutsche Bundesinnenministerium beobachtet die Lage in der Ukraine aufmerksam. Neonazis sollen an der Ausreise in den Krieg gehindert werden. Dies geht aus der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) hervor, über welche die Nachrichtenagentur DPA berichtet. Darin schreibt das Bundesinnenministerium: «Aufgrund des gegenwärtigen Konflikts wurden die Bundespolizeidirektionen zu möglichen Reisebewegungen rechtsextremer Personen sensibilisiert. In Verdachtsfällen sind intensivere Kontrollen vorzunehmen und bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen Ausreisen zu untersagen.»
Die erhöhte Aufmerksamkeit kommt nicht von ungefähr. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Hinweise, dass sich Staatsbürger aus Deutschland und der Schweiz aktiv am Kampfgeschehen beteiligen. Dabei fällt auf, dass sowohl die prorussischen Separatisten wie auch die ukrainischen Freiwilligenverbände Sympathisanten anzogen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden war die grosse Mehrheit der deutschen Rechtsextremisten in dem Konflikt in letzter Zeit prorussisch orientiert.
Sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz kam es zu Strafverfahren in solchen Fällen. «Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat vier Ermittlungsverfahren gegen vier deutsche Staatsangehörige im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eingeleitet», teilte die deutsche Regierung im Februar 2021 auf eine parlamentarische Anfrage mit.
In der Schweiz hat die Militärjustiz seit 2014 drei Strafverfahren wegen fremden Militärdiensts im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine eingeleitet, wie ihr Mediensprecher Florian Menzi auf Anfrage erklärt. Konkret ging es um Verstösse gegen den Artikel 94 des Militärstrafgesetzes. Dieser sieht vor, dass Schweizer, die ohne Erlaubnis des Bundesrates in fremden Militärdienst eintreten, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden.
Ein Verfahren ist noch hängig, ein Verfahren wurde eingestellt, und ein Verfahren endete gemäss Menzi mit einem Schuldspruch. Wie der «Sonntags-Blick» berichtete, wurde im März 2020 ein 25-jähriger Tessiner zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich 2015 der internationalen Brigade Pjatnaschka der prorussischen Separatisten angeschlossen hatte. Ob der Mann aus Lugano aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen hatte, konnten die Ermittler nicht abschliessend klären.
Am bekanntesten ist in Neonazi-Kreisen jedoch eine Kampfeinheit auf ukrainischer Seite: das Regiment Asow. Der von nationalistischen Politikern gegründete Verband ist wegen seiner teilweise offen rechtsradikalen politischen Positionen stark umstritten. Seine Anhänger eifern Hitlers Waffen-SS nach. In Deutschland ist der Freiwilligenverband eng verbunden mit dem rechtsextremen III. Weg und der Identitären Bewegung. Gemäss Medienberichten sollen sich dem Regiment knapp hundert ausländische Kämpfer angeschlossen haben.
Finanzielle Unterstützung aus der Schweiz
Gerüchte, wonach auch Neonazis aus der Schweiz im Feld für diese paramilitärische Einheit kämpfen, konnten bisher nicht bestätigt werden. Ein rechtsextremer St. Galler, dem vorgeworfen wurde, sich dem Regiment Asow angeschlossen zu haben, wurde mangels Beweisen freigesprochen. Wie Recherchen der «Sonntags-Zeitung» ergaben, unterstützen Neonazis aus den Kantonen Genf, Waadt, Wallis und St. Gallen zumindest finanziell diese Kampfformation.
Im Herbst 2014 gründeten Rechtsradikale die Misanthropic Division (menschenhassende Einheit) Schweiz. Diese agiert als direkter Ableger der gleichnamigen Division in der Ukraine. Sie dient dem Regiment Asow als Kampfeinheit. Gemäss der «Sonntags-Zeitung» stammen die Hintermänner des Schweizer Ablegers aus dem Umfeld des internationalen Neonazi-Netzwerkes der Hammerskins.