Zürichsee-Zeitung. Weil ihm der Mietvertrag gekündigt wurde, musste Ondrej Ciporanov mit seinem Tattoo-Studio Barbarossa von Jona nach Bubikon ziehen. Die Gemeinde ist nicht erfreut über den Zuzug des berüchtigten Neonazi-Treffs. Ein Experte spricht von «gewalttätigen Kunden».
In der Bubiker Industriezone hat vor wenigen Wochen ein neues Tattoo-Studio eröffnet. Barbarossa Tattoo ist als Neonazi-Treffpunkt aus Rapperswil-Jona bekannt. Vermieterin an der alten Adresse war die Conesso Immobilien AG, wie die «Südostschweiz» schreibt. Dem Inhaber und Tätowierer Ondrej Ciporanov, genannt Ondra, wurde der Mietvertrag jedoch letztes Jahr gekündigt, wie er zu «Züriost» sagt.
Vandalen hätten ihm Buttersäure ins Geschäft geworfen, nachdem ein Artikel über seine Gesinnung und seine Kunden erschienen sei, so der gebürtige Tscheche. Daraufhin hätten sich Nachbarn bei den Vermietern gemeldet und dort ihre Angst kundgetan. «Ich hatte neun Monate Zeit, mir einen neuen Standort zu suchen, und habe mich für die Räumlichkeiten in Bubikon entschieden», sagt Ciporanov
Der Gemeinderat Bubikon wünschte, es wäre anders gekommen: «Wir verurteilen Extremismus und Radikalismus in jeder Form. In diesem Sinne sind wir natürlich über den Zuzug des Tattoo-Studios mit möglichen Verbindungen zur rechtsextremen Szene nicht erfreut», sagt Gemeindeschreiber Matthias Willener auf Anfrage.
Militante Rechtsextremisten
Laut Fabian Eberhard, Journalist und Experte auf dem Gebiet des Rechtsextremismus, handelt es sich jedoch nicht nur um «mögliche» Verbindungen. «Das Tattoo-Studio war in Jona ein Treffpunkt der Neonazi-Szene. Das dürfte sich auch am neuen Standort nicht ändern.» Das Studio werde seit Jahren von Rechtsextremen aus der ganzen Schweiz besucht. Laut Eberhard gehören die Hintermänner von Barbarossa Tattoo zum Umfeld der Zürcher Sektion des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerkes «Blood and Honour» und pflegen auch enge Kontakte zu militanten Rechtsextremisten in Ostdeutschland.
Dafür finden sich auf der Facebook-Seite des Tattoo-Studios in Form von einschlägigen Tattoos, Posts und Bildern etliche Beweise. So wurde einem Kunden beispielsweise die Zahl 28 auf den Hals tätowiert. Dabei steht die Ziffer 2 im Nazi-Code für den zweiten Buchstaben im Alphabet «B», die 8 symbolisiert das «H» – gemeint ist «Blood and Honour».
Holocaustleugner
Das Studio ist klein und in einem Hinterhof versteckt. Wer nicht weiss, wo es liegt, muss es zuerst suchen. Der Raum wirkt steril, ungemütlich. In der Mitte steht eine Liege, wie sie in Arztpraxen zu finden ist. Ciporanov sitzt an einem Tisch und zeichnet an
einer Vorlage. Er ist breit gebaut, seine Oberarme sind muskulös und mit Tattoos übersät, sein Shirt spannt. Freundlich schüttelt er die Hand zur Begrüssung, zeigt einladend auf das Sofa und schickt für ein ungestörtes Gespräch den wartenden Kunden nach draussen.
Seine Art entspricht nicht der Vorstellung, die man von einem brutalen Neonazi hat. Er wirkt ruhig, selbstironisch und klug. Er hört zu und reagiert überlegt. Es scheint ihm wichtig, seine Aussagen mit Argumenten zu untermauern. Obwohl er sich nicht als Nazi bezeichnen mag, sind seine Ansichten klar nationalsozialistischen Charakters. Er sei Nationalist und Patriot. Doch, ja, einige Bereiche der nationalsozialistischen Ideologie überschnitten sich mit der seinen. Auch Hitlers Vorstellung eines geeinten Volkes könne er positive Aspekte abgewinnen.
Den Holocaust, bei dem rund sechs Millionen Juden getötet wurden, verleugnet er, wie es eingefleischte Neonazis heute überall auf der Welt tun. Seine Begründung ist ebenso gesucht wie absurd: Er habe die Konzentrationslager selbst besucht, aus technischer Sicht sei die Vergasung derart vieler Menschen nicht möglich gewesen.
Auch Neonazis als Kunden
Immer noch zeichnet er an der Vorlage, blickt kaum auf. Erst die Frage, ob es Zufall sei, dass seine Natelnummer auf den Ziffern 88 ende, oder ob diese für «Heil Hitler» stünden, lässt ihn aufbrausen. Da sei doch Quatsch, sagt er. Er habe es nicht nötig, sich hinter Codes zu verstecken. Seine Freundin habe ihm diese Nummer besorgt. Er blickt erstmals auf, die blauen Augen wirken stechend.
Ja, auch Neonazis gehörten zu seinen Kunden, wechselt Ciporanov wieder übergangslos das Thema. «Ich glaube aber nicht, dass ich mehr rechtsextreme Leute bediene als andere Tattoo-Studios.» Natürlich habe er schon Symbole gestochen, die für den Nationalsozialismus stünden. «Aber auch hier unterscheide ich mich nicht von anderen Tätowierern: Wenn das Geld stimmt, sticht dir jeder alles», sagt er.
Friedrich der Erste
Rechtlich drohen dem Tschechen keine Folgen. In der Schweiz ist es weder verboten, jemandem Nazisymbole zu stechen, noch sie sich tätowieren zu lassen. Dennoch widersprechen mehrere Tätowierer aus der Region der Behauptung Ciporanovs. So beispielsweise Joe Kilchör, Inhaber von Joe’s Tattoo und Piercing Studio in Unterottikon, der sagt: «Ich würde nie jemandem ein Tattoo stechen, das eine extremistische oder diskriminierende Einstellung verkörpert.» Natürlich kenne er nicht alle Codes, hinter denen sich solche Ansichten versteckten. «Wenn ich aber etwas in diese Richtung vermute, recherchiere ich vor dem Stechen im Internet.» Er habe bereits mehrmals aufgrund seiner eigenen Überzeugung einem Kunden ein Tattoo verweigert. Rechtsextreme kämen aber ohnehin nicht zu ihm, so Kilchör. «Die haben alle ihre eigenen Tätowierer.»
Ciporanov signalisiert bereits mit dem Namen seines Studios, zu welcher Szene er gehört: Barbarossa stand einerseits für den Decknamen des Überfalls der Nazis auf die Sowjetunion. Die Operation löste 1941 den Deutsch-Sowjetischen Krieg aus. Andererseits wurde Kaiser Friedrich der Erste Barbarossa genannt. Das Profilbild auf der Facebook-Seite des Studios zeigt seine Statue in Thüringen. Der Sage nach schläft der Kaiser in einem unterirdischen Schloss und erwacht nur alle 100 Jahre, um zu schauen, ob die Zeit gekommen ist, sein Volk zu einen. Die Nazis entdeckten die Legende, die im 19. Jahrhundert zum Nationalmythos mutierte, für sich. Sowohl Hitler als auch Himmler inszenierten sich vor der Statue medienwirksam.
«Kunden sind gewalttätig»
Das Bundesland Thüringen taucht im Zusammenhang mit dem Tattoo-Studio immer wieder auf. So scheint auch die Verbindung zum deutschen Neonazi Matthias Melchner, der zumindest in Jona für Barbarossa Tattoo arbeitete, bedeutend.
Der Mann, der selbst aus Thüringen stammt, holte die Bewilligung für das gigantische Konzert in Unterwasser SG ein, das rund 5000 Neonazis anlockte und als einer der grössten Neonazi-Anlässe in Europa gilt. Melchner ist zudem ein Freund des Amok-Sängers Kevin Gutmann, gegen den ermittelt wird, weil er einen orthodoxen Juden angespuckt und attackiert haben soll. Er stand bereits zweimal wegen Körperverletzung und einmal wegen illegalen Waffenbesitzes vor Gericht. Melchner und Gutmann sind beide derzeit in Rüti wohnhaft.
«Die Rechtsextremen, die sich im Umfeld des Studios tummeln, sind gut organisiert und in internationale Strukturen eingebunden», sagt Eberhard weiter. Die Barbarossa-Tätowierer reisten vor rund einem Jahr nach Thüringen, um dortige rechte Extremisten zu tätowieren, wie mehrere Einträge auf der Facebook-Seite des Studios zeigen. Die Verbindungen nach Thüringen sind auch deshalb brisant, weil das Bundesland in den letzten Jahren immer wieder wegen Neonazi-Treffen in die Schlagzeilen geriet. Nicht nur werden dort regelmässig grosse Nazi-Rockkonzerte abgehalten, auch die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bildete sich in Thüringen.
Ciporanov sagt, er habe mit Melchner schon lange keinen Kontakt mehr. Eberhard ist dennoch überzeugt: «Einige der Männer, die nun neuerdings in Bubikon ein und aus gehen, sind gewalttätig.»
Der neue Vermieter des Tattoo-Studios Barbarossa sieht die Sache jedoch nicht so eng: «Ondra ist ein sympathischer, netter Mann», sagt er auf Anfrage. Solange es keinen Ärger gebe und er die Miete pünktlich erhalte, sehe er keinen Grund zu handeln. Er habe das Geschäft über längere Zeit beobachtet und nur «ganz normale» Kunden gesehen. Er sei überzeugt, dass es sich beim Studio um keinen Neonazi-Treffpunkt handle.
Der Gemeinde Bubikon sind derweil die Hände gebunden. Sie seien nicht Vermieterin der Geschäftsräumlichkeiten, heisst es dort. Der Inhaber benötige auch keine spezielle Bewilligung für den Betrieb. «Solange er gegen keine Vorschriften verstösst, hat weder die Gemeinde noch eine andere Stelle Anlass, gegen den Betrieb des Studios vorzugehen.»