Neonazi-Mord: Warum Marcel sterben

Blick

musste

Todesurteil vom «Orden derweissen Rasse»

VON MARKUS STEUDLER

UNTERSEEN BE – Der Rechtsextreme Marcel vonAllmen musste wegen «Verrats» sterben. Seine vierMörder hatten ihn in den geheimen «Orden derweissen Rasse» aufgenommen. An einerkonspirativen Sitzung fällten sie sein Todesurteil -und richteten ihn hin.

«Die Gruppe». SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Ihrgehörten Marcel von Allmen und seine Mörder an – dieinhaftierten und geständigen Marcel M.* (22), Alexis T.*(17), Renato S.* (22) und Michael S.* (22). Sie bildeten denharten Kern des Bundes – in Anlehnung an deutsche undamerikanische Rechtsextremen-Zirkel «Orden derweissen Rasse» genannt. Marcel von Allmen («Föni») wurde nach der Gründung alsMitglied in den Orden aufgenommen. Der 19-Jährige sollteneue Mitglieder werben. «Auch ich war ein Anwärter», sagtP.*, der sich als rechtsextrem bezeichnet und anonymbleiben will. «“Föni“ wollte mich anwerben. Im selbenAtemzug fügte er aber jeweils hinzu, es sei nicht leicht,aufgenommen zu werden: Treue und Verschwiegenheitwürden grossgeschrieben. Dabei war es „Föni“, der ammeisten herumblagierte.»

Ein tödlicher Fehler. «Alexis T. mahnte „Föni“ immerwieder, nicht zu viel herumzuerzählen», sagt P.Vergeblich. In von Allmens Stammbeiz wusste man längstvon der Existenz der «Gruppe». Gegenüber P. erwähntevon Allmen gar einzelne Mitglieder. Und: «Ziel ist es,politisch aktiv zu werden.» Von Allmen redete von CDs mitrechtsextremen Songs, Reichsfahnen und Videos. Ende Januar wurde von Allmens Redseligkeit den anderenOrdens-mitgliedern zu viel. In einer konspirativen Sitzunghielten sie über ihn Gericht. Ihr Urteil: Verrat! Gemeinsamfällten sie sein Todesurteil. Die Tat, so das Verdikt, werdeam 27. Januar vollzogen. So begab sich von Allmen am Abend des 27. Januar um22.30 Uhr nichts ahnend zum Treffpunkt beimSteindler-Schulhaus in Unterseen. An der unmittelbarenTötung bei der Ruine Weissenau waren drei der vierInhaftierten beteiligt – der vierte wartete hinter dem Steuerseines Autos auf der Zufahrtsstrasse. Mit einem Werkzeugwurde von Allmen niedergestreckt. «Mit insgesamt 35Schlägen», wie einer seiner Freunde wissen will. DieGerichtsmediziner hätten Zähne im Magen der Leichegefunden. Sie wurde am 22. Februar im Thunerseeentdeckt. An ihren Füssen waren Gewichte befestigt.

Die Tat ist in ihrer Brutalität und Hinterhältigkeit inder Schweiz unter Jugendlichen einmalig. Jetzt stelltsich gar die Frage nach einem Ritualmord. Eine These, diein Anbetracht der neuen Erkenntnisse in Erwägunggezogen werden muss: BLICK fand am Dienstag am Tatort neben abgebranntenRechaudkerzen eine in zwei Teile gerissene Bibel undstellte die Frage: «Mordeten die jungen Männer inreligiösem Wahn?» Am Tag der Hinrichtung jährte sich die Befreiung desKonzentrationslagers Auschwitz. Der 27. Januar gilt inDeutschland als Gedenktag für die Opfer desNationalsozialismus, wird von Neonazis aber zu braunenGegenkundgebungen missbraucht. Der Name «Orden der weissen Rasse» lehnt ankonspirative SS-Untergrundorganisationen wie HeinrichHimmlers «schwarzen Orden» an. Auch dieser hatte einEhrengericht und verband heidnische Kreise mit okkultenStrömungen. Tatsache ist auch, dass der «Bödeli-Orden» – in derSchweizer Skinheadszene bisher unbekannt – mitdeutschen Neonazis Kontakt aufnahm, sei es vorderhandauch nur, um Hitler-Videos, Neonazi-Musik und Fahnen zubeziehen. «Ich hätte für 50 Franken einen in Deutschland bestelltenSchlagstock kaufen können», sagt P. Doch der jugendlicheRechtsextreme hat genug. «Ich steige aus. Ich habe allerechtsextremen SMS-Mitteilungen auf meinem Handygelöscht.» Auch auf Marcel von Allmens Mobiltelefon prangte dasSchweizer Kreuz. Bei jedem Anruf erklang dieNationalhymne. Doch Ausstieg war für ihn kein Thema.Nun hat ihn der Umgang mit seinen braunenGesinnungsgenossen das Leben gekostet. * Namen der Redaktion bekannt

Bleibt der jüngste Mörder frei?

ZÜRICH – Drei der vier Mörder Marcel von Allmens müssen mit hohen Freiheitsstrafen rechnen. Der 17-jährige Alexis T. bleibt im Extremfall auf freiem Fuss!

«Marcel von Allmens Tötung muss als Mord qualifiziert werden», erklärt der emeritierte Zürcher Strafrechtsprofessor Jörg Rehberg. Sowohl der Zweck der Tat als auch die Art der Ausführung liessen auf Grund der bekannten Tatsachen keinen anderen Schluss zu. Drei der vier Mörder – die drei 22-jährigen jungen Erwachsenen – müssen mit hohen Freiheitsstrafen rechnen: entweder mit lebenslänglich oder mit bis zu 20 Jahren, mindestens aber 10 Jahren Zuchthaus. Dies, sofern die Täter nach dem Ermessen der Richter nicht in ihrer charakterlichen Entwicklung gestört oder gefährdet sind, was statt Freiheitsstrafen die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt rechtfertigen würde. Da Marcel M., Michael S. und Renato S. allesamt in einem intakten sozialen Netz eingebunden sind, ist Letzteres unwahrscheinlich.

Die Tatsache, dass einer der jungen Erwachsenen an der Tötung selbst nicht aktiv beteiligt war und im Auto wartete, wird laut Rehberg «wenig bis keinen Einfluss auf das Strafmass haben». Derweil kann der 17-jährige Alexis T. dank seines jugendlichen Alters eine milde Strafe erwarten. Auch bei ihm ist wenig wahrscheinlich, dass er als schwer erziehbar oder verwahrlost qualifiziert und in eine Erziehungsanstalt eingewiesen wird. So erwartet ihn nach schweizerischem Jugendstrafrecht die Einschliessung bis zu einem Jahr. Und selbst bei einer solch brutalen Tat ist der bedingte Strafvollzug möglich. Im Klartext: Im Extremfall bleibt Mörder Alexis T. auf freiem Fuss.

Markus Steudler