20 Minuten. Dass Erich Hess im Stadtrat «Neger» sagte, stösst vielen sauer auf – und die Frage stellt sich, warum der Ratspräsident nicht eingeschritten ist.
«Tag für Tag sieht man dort hauptsächlich Neger am Dealen», sagte der Berner SVP-Politiker Erich Hess in einer Stadtratssitzung Ende Juni zu einer FDP-Motion zur Aufwertung der Schützenmatte. Die Jungen Grünen und die Juso Stadt Bern erstatteten deshalb Anzeige ( 20 Minuten berichtete).
Nun äussern viele Stadträte, dass sich Hess am Stadtratsmikrofon immer wieder verbale Entgleisungen leiste: «Ich stosse mich bei ihm fast immer an seiner Wortwahl», sagt etwa Stadträtin Bettina Jans-Troxler (FDP). Tamara Funiciello (Juso) sagt: «Ich verstehe nicht, warum Stadtratspräsident Christoph Zimmerli jeweils nicht reagiert.» Als Präsident gehöre das zu seinem Job. Laut Geschäftsreglement des Stadtrats hätte der Präsident folgende Möglichkeiten: Ordnungsruf, Wortentzug, Ausschluss für die Dauer der Sitzung. Für letzteres braucht es die Mehrheit der Ratsstimmen. Ratspräsident Zimmerli (FDP) sagt, er habe Hess schon zahlreiche Male ermahnt. «Wenn ich ihn zur Ordnung rufe, benutzt er teilweise das Wort trotzdem weiter – manchmal lächelt er noch dazu. Als Stadtratspräsident darf man sich aber nicht auf dieses Spiel einlassen, sonst verliert das Amt seine Autorität.» Und wenn er Hess das Wort entziehe, biete er ihm nur eine Plattform, auf der er sich danach profilieren könne.
Claude Grosjean (GLP), der 2015 Stadtratspräsident war, sah sich einmal gezwungen, dem SVP-Politiker das Mikrofon abzuschalten. Und die ehemalige BDP-Stadträtin Vania Kohli hat zweimal einem Redner das Mikrofon abgestellt. Grosjean und Kohli sind sich einig – beide sagen: «Ich hätte auf jeden Fall reagiert, wenn er das N-Wort gesagt hätte.»
Rechtsanwalt Steinegger: «Solche Anzeigen kommen selten durch»
Erich Hess wird angezeigt, weil er im Stadtrat das Wort «Neger» sagte.
Herr Steinegger, Sie sind Fürsprecher der Universität Bern, wie viel Chancen geben Sie der Anzeige?
Aus Erfahrung kommen solche Anzeigen selten durch. Die Richter setzen die Strafnorm gegen Rassendiskriminierung nur
bei massiven rassistischen Aussagen ein.
Welche Voraussetzungen müssen für eine Anklage erfüllt sein?
Die Aussage muss den Kern der Menschenwürde treffen. Die Praxis ist jedoch nicht ganz einheitlich. Wer laut Gerichtspraxis «Drecksneger» sagt, macht sich beispielsweise strafbar, hingegen ist «Du Scheiss-Chinese» zwar rassistisch, erfüllt aber den Tatbestand nicht.
Was bedeutet dies für den aktuellen Fall von Erich Hess?
Ob das Wort «Neger» allein den Kern der Menschenwürde trifft, muss jetzt der Staatsanwalt oder Richter entscheiden – ich denke jedoch eher nicht.
Rolf P. Steinegger. SB-LAW.CH